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Ausweitung der Kampfzone

Von Karl Ettinger und Martina Madner

Politik

Die Metallerlohnrunde im Schatten des Zwölf-Stunden-Tages: Streiks sind in Österreich aber die Ausnahme.


Wien. "Wer glaubt, dass das gegessen ist, ist am Holzweg. Viel Spaß bei den Lohnrunden im Herbst." Wolfgang Katzian machte als frischgebackener Präsident des Gewerkschaftsbundes (ÖGB), schon nach seiner Kür im Juni kein Hehl daraus, dass die heurigen Gehaltsverhandlungen härter geführt werden als in vielen Jahren zuvor.

Den Hauptgrund für die besondere Kampfeslust hat die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung mit an den Verhandlungstisch geliefert: das neue Arbeitszeitgesetz mit der Möglichkeit des Zwölf-Stunden-Tages und einer 60-Stunden-Woche - ohne Einbindung der Sozialpartner, der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Die Gewerkschafter wollen sich - gestützt auf Streikbeschlüsse - eine Kompensation dafür holen.

Entsprechend verhärtet waren die Fronten bei den Kollektivvertragsverhandlungen für rund 130.000 Beschäftigte in der Metalltechnischen Industrie. Am Donnerstag saßen sich die Verhandler ab 13.30 Uhr in einem Wiener Hotel schon zum fünften Mal gegenüber. Die Stimmung war angespannt. Die Gewerkschaft hat eine kräftige Erhöhung der Löhne um fünf Prozent verlangt, die Arbeitgeber wollten vorerst nur die Inflationsrate von 2,02 Prozent und einen Anteil am Produktivitätszuwachs von 0,7 Prozent zugestehen.

Eingriff zu Ungunstender Sozialpartner

Belastet waren die Gespräche aber vor allem vom Gewerkschaftsforderungspaket im Gegenzug zum Zwölf-Stunden-Tag. Der Fachverbandsobmann der Metalltechnischen Industrie, Christian Knill, verwahrte sich dagegen, dass seine Branche für eine Entscheidung der Politik in "Geiselhaft" genommen wird. "Nicht ganz zu Unrecht", sagt Wirtschafts- und Organisationssoziologin Susanne Pernicka von der Johannes-Kepler-Universität in Linz.

Die Regierung habe das Machtverhältnis zwischen Sozialpartnern und Politik zu ihren Gunsten verändert. "Während die Tarifpolitik unter Schwarz-Blau I nicht angetastet wurde, greift man jetzt in klassische Sozialpartner-Materien wie Arbeitszeiten ein. Diese hängen ganz eng mit der Entlohnung zusammen und könnten über Überstundenzuschläge oder unbezahlte Mehrarbeit das Lohnniveau drücken", sagt Pernicka.

Das bringt insbesondere Arbeitnehmer und ihre Vertretung unter Druck. Eine Schwächung der Sozialpartnerschaft treffe aber laut der Soziologin nicht nur diese, sondern mittelfristig auch Kleine und Mittlere Unternehmen. "Kleinere müssten ohne Branchenkollektivverträge tiefer in die Tasche greifen, um an gefragte Fachkräfte zu gelangen." Größere hätten mehr Macht, ihre Positionen gegenüber starken Gewerkschaften und Betriebsräten selbst durchzusetzen.

Genau diese großen aus der Industrie sehen die Gewerkschafter als "Besteller" des neuen Arbeitszeitgesetzes und verlangten deswegen auch höhere Zuschläge, eine Vier-Tage-Woche und ein leichteres Erreichen der sechsten Urlaubswoche. Alles zusammen koste "fast 15 Prozent" mehr, rechneten die Arbeitgeber vor. Knill warf der Gewerkschaft vor, dieser fehle "der Blick fürs Ganze". Der Chefverhandler der Produktionsgewerkschaft (früher Metaller), Rainer Wimmer, kam mit Resolutionen aus 350 Betriebsversammlungen im Gepäck - Einigung oder gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen, also Streik. "Ohne Ergebnis heute wird es ernst."

Einen Warnstreik der Metaller gab es das letzte Mal 2011, davor 1986 und 1962. Streik ist in Österreich ein nicht nur selten, sondern auch kurz eingesetztes Mittel. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung in Deutschland hat die durch Streik ausgefallenen Arbeitstage zwischen 2007 und 2016 in 17 verschiedenen Ländern miteinander vergleichen: Dänemark liegt mit 119 streikbedingt jährlich ausgefallenen Arbeitstagen pro 1000 Beschäftigten an der Spitze, gefolgt von Frankreich mit 117 und Belgien mit 79. Österreich gehört dagegen mit durchschnittlich zwei Arbeitstagen pro Jahr und 1000 Mitarbeitern zu jenen Ländern mit den wenigsten Streiktagen, nur die Schweiz toppt das mit einem.

Streik als legitimes Mitteloder Sündenfall

Dass die Arbeitnehmervertretung mit Streiks nun die sonstige Konsenspolitik der Sozialpartnerschaft bricht, sieht Pernicka nicht: "Streik ist ein legitimes Mittel in Lohnverhandlungen, vor allem, wenn es die Bereitschaft gibt, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren."

Das ist bisher auch immer passiert. Auch 2011, als die Metaller für 165.000 Arbeiter und Angestellte verhandelten und rund 100.000 Mitarbeiter in 200 Betrieben ihre Arbeit während eines Warnstreiks niederlegten.

"Das Werk steht", hieß es da zum Beispiel am Morgen des 14. Oktober 2011, einem Freitag, seitens des Betriebsrats im MAN Truck & Bus-Werk in Wien-Liesing, und: "Wir müssen Flagge für mehr Lohn zeigen." Für Industriellen-Generalsekretär Christoph Neumayer handelte es sich damals um einen "wirklichen Kulturbruch und hoffentlich einmaligen Sündenfall". Pro-Ge-Chef Wimmer ortete dagegen "enorme Solidarität mit den Beschäftigten" und eine "Welle an Zustimmung".

2011 blieb es bei Warnstreiks, und es kam zu keinem "richtigen" Streik: Nach Sondierungsgesprächen am Sonntag wurden die Verhandlungen schon tags darauf wieder aufgenommen. Um 4.29 Uhr Dienstagmorgen kam die Eilt-Meldung mit der Einigung auf 4,2 Prozent mehr Lohn und Gehalt, also zwischen dem Angebot der Arbeitgeber von plus 3,65 Prozent und der Forderung der Arbeitnehmer von plus 5,5.

Selbst bei einem Scheitern der Verhandlungsrunde am Donnerstag wurde allerdings in der Gewerkschaft erst ab Montag rein aus organisatorischen Gründen mit den ersten Streiks gerechnet. Die Tür zum Eintritt in den Arbeitskampf wurde schon in den vergangenen Tagen bewusst offen gelassen. Denn die rund 350 Betriebsversammlungen wurden lediglich unterbrochen. Diese können damit jederzeit wieder aufgenommen werden. Es handelt sich damit um sogenannte Warnstreiks, bei denen während der Fortsetzung der Betriebsversammlungen die Arbeit in bestimmten Unternehmen stundenweise unterbrochen wird.