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Das vorläufige Ende einer langen Reise

Von Walter Hämmerle

Die Autorin Maja Haderlap rückte in ihrer Festrede "das ethisch handelnde Individuum" ins Zentrum der Geschichte.


Wien. Sechs Redner unternahmen am Montag in der Staatsoper den Versuch, mit eigenen Worten und eigenem Blickwinkel Geschichte und Gegenwart dieser Republik zu fassen. Den Anlass lieferte der "Staatsakt anlässlich der 100. Wiederkehr des Jahrestags der Gründung der Republik Österreich", zu dem neben den bei solchen Anlässen üblichen Amts- und Würdenträger, Honoratioren und vielfacher Prominenz auch Überlebende des Holocausts eingeladen waren, die heute in Israel leben. Diese hätten ihm gegenüber bei Besuchen den Herzenswunsch geäußert, noch einmal die alte Heimat zu besuchen, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz in seiner Rede; "tatsächlich haben Sie uns einen Herzenswunsch erfüllt, indem Sie heute mit uns feiern".

Die so entscheidende Frage, wie kollektive Geschichte erlebbar werden könne angesichts der zahllosen Geschichten der Einzelnen, machte Maja Haderlap zu ihrem Thema. Die 1961 geborene zweisprachige Kärntner Schriftstellerin war als Festrednerin eingeladen. Und wie um ihre Frage zu veranschaulichen, begrüßte sie die Festgäste erst auf Deutsch, und dann auch auf Slowenisch.

Identität ist für Haderlap deshalb kein abgeschlossener Zustand, sondern ein fortschreitender Prozess, der sich zusammensetzt aus dem, "was wir waren, was wir sind und was wir werden wollen". Und ihr zentraler historischer Akteur ist weder Masse noch Volk oder Klasse, sondern "das ethisch handelnde Individuum". Dieses gelte es zu allen Zeiten zu stärken und zu schützen, heute etwa vor einem übermächtigen Markt oder Staat, der jeden Menschen vollkommen ökonomisieren oder digitalisieren wolle. "Es geht uns gut, aber die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm."

Ganz zu Beginn hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen gleich das Motiv gesetzt, das sich durch den weiteren Verlauf ziehen sollte, indem er die Aufforderung zum Miteinander und Gemeinsamen zur historischen Lektion aus dem Scheitern der Ersten und dem Erfolg der Zweiten Republik erkor. "In gemeinsam errungenen Lösungen liegt das größtmögliche Wohl für alle", zeigte sich der Bundespräsident überzeugt. "Daran sollten wir uns heute wieder erinnern." Und auch, dass in einer liberalen Demokratie politisch Andersdenkende nicht Feinde, sondern Partner seien. Ein dezenter Hinweis auf die sich zunehmend verschärfenden Fronten in der tagespolitischen Auseinandersetzung.

Der Kanzler nahm das von Van der Bellen gesetzte Motiv auf: "Jede Generation muss sich Sicherheit, Frieden, Wohlstand und Demokratie neu erkämpfen", so Sebastian Kurz; ein solches Unterfangen gelinge jedoch "nur gemeinsam", womit Kanzler und Bundespräsident dann doch wieder auf gleicher Welle lagen.

Als Nächster war Vizekanzler Heinz-Christian Strache an der Reihe. Als Obmann der FPÖ sprach nun ein Vertreter der Erben des ehemals Dritten, des deutschnationalen Lagers, das mit Rot und Schwarz erst die Erste Republik mitbegründete, um dann maßgeblich zu ihrem Untergang - und mehr - beizutragen. Nun sprach Strache die Verbrechen des NS-Regimes und den Holocaust im Besonderen deutlich an und bekannte sich ausdrücklich zur gemeinsamen Verantwortung des "Niemals wieder".

Nach dem ehemaligen Grünen, der zum Bundespräsidenten aufstieg, dem schwarzen Kanzler und dem blauen Vize kam nun mit Hans Niessl ein Vertreter der SPÖ zu Wort. Als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz hatte der demnächst scheidende Landeshauptmann des Burgenlands beim Loblied auf das Miteinander natürlich vor allem das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern im Sinn.

Daran, dass die Republik "nicht alle ihre hundert Jahre als Demokratie durchgehalten hat", erinnerte dann Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Diejenigen, die damals, 1933, 1934 und 1938 triumphierten, will er dennoch im Nachhinein nicht zu Gewinnern erklären. Schließlich sei heute klar, dass die Demokratie gewonnen, ihre Feinde jedoch verloren hätten. Der 12. November sei deshalb damals, 1918, ein Freudentag gewesen, und er sei es auch heute, 2018.

Auch dieser Satz zeigt eine lange Reise an, wenn man bedenkt, wie umstritten dieses Datum einst war. Weil über den 12. November kein Konsens zwischen Rot und Schwarz zu erzielen war, feiert Österreich heute seinen Nationalfeiertag am 26. Oktober.