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Neue Aufgaben für Sexarbeiterinnen

Von Petra Tempfer

Politik

Die Ausbildung für Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderungen wurde eingestellt. Nun übernehmen Sexarbeiterinnen die Arbeit.


Wien. Erlaubt ist alles bis auf Zungenküsse, Oral- und Geschlechtsverkehr: Sexualbegleiter unterstützen Menschen mit körperlicher oder kognitiver Beeinträchtigung dabei, ihren eigenen Körper zu entdecken und Sinnlichkeit zu spüren. Das kann über Streicheln, Liebkosen, Massagen, nackte Berührungen oder einfach nur Festhalten passieren. Die Kunden können dabei das Gefühl der Erregung und Befriedigung erleben - zum Beispiel, indem ihnen auch Wege zur Selbstbefriedigung gezeigt werden. Schleimhautkontakt ist für Sexualbegleiter jedoch tabu.

Dadurch unterscheidet sich deren Aufgabenspektrum zwar klar von jenem der Sexarbeiterinnen, und dennoch ist ihnen ein ganz wesentlicher Punkt gemein: Sie fallen beide unter das Prostitutionsgesetz, weil sie sexuelle Handlungen gegen Entgelt anbieten. Das ist der Grund, warum der Verein Alpha Nova in Kalsdorf bei Graz, der Menschen mit Behinderungen begleitet und unterstützt, die dreijährige Ausbildung zum Sexualbegleiter im Vorjahr eingestellt hat.

Einzige Ausbildungsmöglichkeit

Diese war im Jahr 2008 als österreichweit einzige Ausbildungsmöglichkeit gestartet, hatte aber laut Margit Schmiedbauer von der Fachstelle Hautnah des Vereins Alpha Nova stets im Graubereich agiert. Im Vorjahr habe dann das Land nach einer behördlichen Überprüfung konkret Position bezogen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch einmal abgesteckt, sagt Schmiedbauer, die Lebens- und Sozialberaterin sowie Mediatorin ist. Dem Prostitutionsgesetz folgend, müssen sich demnach auch Sexualbegleiter genauso wie Sexarbeiterinnen alle sechs Wochen untersuchen lassen und alle drei Monate einem Aids-Test unterziehen. Und: Sie haben einen speziellen Ausweis für das "Freisein von Geschlechtskrankheiten" bei sich zu tragen.

Diese vom Land noch einmal verdeutlichte Positionierung der Sexualbegleiter hatte nicht nur für diese besagte Konsequenzen. Auch der Verein Alpha Nova sah sich mit der Aufforderung seiner Fördergeber - darunter Land und Bund - konfrontiert, "zu deklarieren, dass wir ,sauber‘ arbeiten und förderungswürdig sind", so Schmiedbauer zur "Wiener Zeitung". Der Verein stellte die Ausbildung zur Sexualbegleitung ein. Die Fördergelder blieben.

"Die Kunden waren vor den Kopf gestoßen", sagt Schmiedbauer. Denn der Bedarf sei groß. "Wer keine Möglichkeit hat, Sexualität zu leben, gerät in Not und kann depressiv und/oder aggressiv werden. Davon sind Angehörige und Mitbewohner ebenfalls betroffen." Bei der Sexualbegleitung gehe es daher auch stark um das Setzen klarer Grenzen. "Sie ist ein wichtiger Schritt in Richtung Prävention sexualisierter Gewalt."

Von den insgesamt 20 Sexualbegleitern - 15 Frauen und fünf Männer -, die Alpha Nova ausgebildet hatte und die jährlich rund 1000 Sexualbegleitungen durchführten, ist nun kaum einer mehr offiziell tätig. Stattdessen ist laut Schmiedbauer ein neuer Zweig der Sexualbegleitung entstanden: Sexarbeiterinnen bieten Menschen mit Behinderungen ihre Dienste an. Und das zum etwa selben Preis wie Sexualbegleiter, die rund 100 Euro pro Stunde erhalten haben.

Schmiedbauer verfolgt diese Entwicklung allerdings skeptisch. "Sexarbeiterinnen haben oft eine große Hemmschwelle und Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen", sagt sie. Ihnen fehle die konkrete Ausbildung, dazu kämen sprachliche Barrieren und dass kaum Männer in diesem Bereich tätig sind. "Es ist genau das eingetreten, was vermieden werden sollte."

Bedürfnisse klären

Sexualpädagogin Anna Wolfsberger, Leiterin des Vereins Senia in Linz, sieht das anders. Die Fach- und Beratungsstelle zum Thema Sexualität und Beeinträchtigung beziehungsweise Behinderung bereite ihre Kunden gut auf den Besuch bei der Sexarbeiterin vor, sagt Wolfsberger. "Wenn man das Thema ausführlich bespricht und klärt, was der Kunde erleben möchte, dann sehe ich hier kein Problem."

Die Arbeit einer Sexarbeiterin habe sogar ihre Vorteile. "Natürlich kann man genauso nur kuscheln, wenn man aber mehr möchte, ist das im Unterschied zur Sexualbegleitung auch möglich", so Wolfsberger. Genau dieser Punkt, dass Sexualbegleiter den Wunsch nach mehr nicht erfüllen konnten, wurde in der Vergangenheit mehrmals kritisiert.

Senia berate seine Kunden nur - auf welche Dame die Wahl schließlich fällt, entscheide der Kunde allein, sagt Wolfsberger. Obwohl der Tatbestand der Kuppelei nicht vorliegen würde, weil dafür laut Jurist Heinz Trompisch "die Zuführung zur Prostituierten gegen Entgelt erfolgen müsste", will hier Senia offenbar nicht einmal einen Verdacht in diese Richtung aufkommen lassen.

Eine spezielle Schulung für Sexarbeiterinnen, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, wäre freilich wünschenswert, meint Wolfsberger. Ob diese das Geld und die Zeit aufbringen können respektive wollen, sei jedoch mehr als fraglich. Die Erfahrung zeige aber ohnehin, dass es diese Schulung nicht unbedingt brauche.

Wirklich problematisch seien vielmehr die unterschiedlichen Regelungen der einzelnen Prostitutionsgesetze, österreichweit neun an der Zahl. Denn das Prostitutionsgesetz ist Ländersache. In diesem ist unter anderem geregelt, ob Hausbesuche möglich sind. In Oberösterreich, Salzburg, Kärnten und Vorarlberg ist das nicht der Fall - in Vorarlberg kommt noch die spezielle Situation hinzu, dass hier kein einziges behördlich genehmigtes Bordell existiert. Die Überwindung, in ein Laufhaus zu gehen, sei für Menschen mit Behinderungen mitunter groß, sagt Wolfsberger, was die Möglichkeit der Sexualbegleitung erschwere. Zudem erhöhe es die Dunkelziffer der illegalen Sexarbeiterinnen.

Schmiedbauer von Alpha Nova aus Graz wollte daher einen ganz anderen Weg einschlagen und hatte einen Antrag auf Gesetzesänderung an den steirischen Landtag gestellt. Das Prostitutionsgesetz hätte um den Passus erweitert werden sollen, dass die Sexualbegleitung ausgenommen ist. Der Antrag wurde abgelehnt.

Auch Bestrebungen, die Sexualbegleitung als eine Form der Therapie im Gesundheitsministerium anzusiedeln, verliefen im Sand. Laut Schmiedbauer gab zwar mit der Arbeitsgemeinschaft Prostitution, die das Familienressort im Rahmen der Task Force Menschenhandel leitet und die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen einsetzt, Gespräche in diese Richtung. Das Familienressort verweist heute auf Nachfrage jedoch auf das Gesundheitsministerium, von dem es heißt: "Allfällige Diskussionen hinsichtlich des damaligen Gesundheitsministeriums und Anerkennung als Therapie sind uns nicht bekannt."

Recht auf Liebe

Es gäbe allerdings noch einen weiteren Weg, sagt der Jurist Trompisch, der auch für die Lebenshilfe tätig war. Diesem liegt die 2008 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention zugrunde, wonach auch jeder Mensch mit Behinderung ein Recht auf körperliche Liebe hat. Trompisch schlägt nun die strafgesetzliche Überprüfung deren Rechte vor. Als Überwachungsorgan für die Umsetzung der UN-Konvention wurde ein Monitoringausschuss eingerichtet, der Stellungnahmen von Verwaltungsorganen einholt, Empfehlungen abgibt, einen Dialog mit der Zivilgesellschaft unterhält und Sozial- und Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) jährlich über seine Wahrnehmungen und Tätigkeiten berichtet. Doch auch dieser Weg scheint wenig erfolgsversprechend zu sein. "Die angefragte strafgesetzliche Überprüfung fällt nicht in die Zuständigkeit des Ausschusses", heißt es vom Gesundheitsministerium.

Die Sexualbegleitung in Österreich wird somit wohl für längere Zeit Sexarbeiterinnen vorbehalten bleiben. Mittlerweile "streckt auch die Schweizer Organisation Sexcare ihre Fühler nach Österreich aus", sagt Schmiedbauer. Diese organisiert für Menschen mit Behinderungen Treffen mit Sexarbeiterinnen. "Jede Frau, jeder Mann hat das Recht auf eine erfüllte Sexualität. Durch geschulte und feinfühlige Sexualbegleiterinnen und Sexualbegleiter bietet Sexcare unbeschwerte erotische Erlebnisse für Frauen und Männer mit Handicap", ist auf deren Homepage zu lesen. Für Sexcare sind zwar auch Sexarbeiterinnen als Sexualbegleiterinnen tätig, diesen wird jedoch eine Ausbildung angeboten. Kunden können online ihre Bedürfnisse angeben. Auch ein Besuch in einem Hotel ist möglich.

In Deutschland gibt es ebenfalls diverse Möglichkeiten. Das Institut zur Selbstbestimmung Behinderter (ISBB Trebel) vergibt den Ausbildungstitel "Sexualbegleitung ISBB" und das Qualitätszertifikat "Empower-Sexualbegleiter/in-ISBB". Und in den Niederlanden gibt es sogar Sexualbegleitung auf Rezept: Die Krankenkasse beteiligt sich dort an den Kosten.