Zum Hauptinhalt springen

Feindschaft, Genossinnen und Genossen!

Von Jan Michael Marchart

Politik

Die rote Frustration wird größer und größer. Das hat aber nicht nur mit Parteichefin Rendi-Wagner zu tun. Eine Analyse.


Es gibt in der Politik Dynamiken, die unumkehrbar zu sein scheinen, die plötzlich und so rasch eine Größe annehmen, dass sie sich kaum mehr einfangen lassen und letztlich ihren Tribut fordern. Eine solche Dynamik entfaltete sich in der SPÖ, als die "Wiener Zeitung" am späten Donnerstagnachmittag darüber berichtete, dass zahlreiche Mitarbeiter der Belegschaft in der SPÖ-Parteizentrale in der Wiener Löwelstraße per Mail von ihrer baldigen Kündigung erfuhren. Mit dem Zusatz: "Bitte verstehe dieses Schreiben nicht als Kündigung, sondern als schlichte Information." Es war die Spitze einer roten Frustration, die sich wohl über Jahre aufgestaut und nicht nur mit Pamela Rendi-Wagner zu tun hat.

Die Meldung über die Kündigungen verbreitete sich in den sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer - auch und vor allem durch rote Funktionäre, die zum Teil völlig losgelöst den Rücktritt der bereits seit Monaten angeschlagenen Rendi-Wagner und ihres Bundesgeschäftsführers Christian Deutsch forderten.

Das Ende der roten Frontfrau wurde wahrscheinlich auch deshalb noch am selben Abend kolportiert. Doch Rendi-Wagner macht weiter - vorerst. Es drängt sich auch kein Nachfolger auf, Parteigranden versuchen zu beruhigen. Aber der (digitale) Herdentrieb - auch der eigenen Basis - sorgt dafür, dass Rendi-Wagners mögliches Ende an der SPÖ-Spitze so nah wie nie zu sein scheint und kein Zeitungscover und kein Interview ohne die Frage auskommt: Wie lange noch? Eine ungemütliche Situation für die ehemalige Ministerin.

"Unser größter Gegner sitztin den eigenen Reihen"

Rendi-Wagner hat in ihrer mehr als einjährigen Zeit als Parteichefin zweifellos einige Fehler gemacht. Aber sie ist auch ein Opfer der innerparteilichen Umstände.

Die Zukunft der SPÖ wird für gewöhnlich nach Wahlniederlagen diskutiert, von denen es in der jüngeren Vergangenheit der Partei einige gegeben hat. Auf die Frage nach ihrer Ausrichtung findet die Sozialdemokratie europaweit nicht wirklich eine Antwort. Im Fall der SPÖ kommt ein jahrelanger Streit zwischen zwei verfeindeten Wiener Clans in der Partei hinzu, der auf die gesamte Partei destruktiv wirkt. Symbolhaft an ihren Spitzen stehen zwei Politiker, die gar nicht mehr aktiv sind: Ex-Kanzler Werner Faymann und der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Rendi-Wagner konnte diesen Streit nicht befrieden. Daran scheiterte auch ihr Vorgänger Christian Kern.

Ein Schicksalsmoment waren die Pfiffe gegen Faymann beim Maiaufmarsch 2016. Kurz darauf trat Faymann zurück. Kern folgte ihm nach. Für einige Genossen war jener 1. Mai ein unwürdiges Schauspiel. Einer, der das genauso empfand, ist Christian Deutsch, heute Bundesgeschäftsführer.

Deutsch kennt Faymann noch aus seiner Zeit bei der Sozialistischen Jugend, ebenso wie die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures. Sie alle sind Teil der "Liesinger Partie", ein bis heute einflussreiches Netzwerk innerhalb der SPÖ.

Spätestens seit Häupl den damaligen Wohnbaustadtrat Faymann 2007 ins Infrastrukturministerium weglobte, gelten die Lager als voneinander getrennt (Wien und Bund) und wurden immer wieder zu Rivalen. Häupl ließ Deutsch einige Jahre später dann noch dazu als Wiener Landesparteisekretär fallen. Der Faymann-Intimus Deutsch fachte nicht nur den Streit um die Nachfolge Häupls mit an, sondern auch das Ende von Christian Kern 2018, das nach dem Verlust der Kanzlerschaft innerparteilich recht schnell kolportiert wurde.

Der über zwei Jahre öffentlich und teils unversöhnlich geführte Kampf um den Wiener SPÖ-Vorsitz endete damit, dass der von Deutsch unterstützte Michael Ludwig Bürgermeister wurde. Aber er hinterließ eine nicht gelöste Richtungsdebatte und tiefe Gräben. Kerns chaotischer Abgang verunsicherte und beschädigte die Partei ebenfalls. Die innerparteilich noch leichtgewichtigere Rendi-Wagner, Kerns Wunschkandidatin, übernahm.

In einem Brief anlässlich der Parteischuldendebatte Anfang dieser Woche blickte Kern auf sein politisches Ende zurück: "Ich habe im Wahlkampf 2017 erlebt, welchen Schaden Illoyalität verursachen kann. Und in der Oppositionszeit konnte man den Eindruck gewinnen, dass unser größter Gegner in den eigenen Reihen sitzt." Kern wollte sich nicht "von den ‚eigenen‘ Leuten scheibchenweise abmontieren" lassen. Der linke Publizist und SPÖ-Kenner Robert Misik meinte kürzlich in einem Kommentar im "Standard", dass die Ereignisse in den vergangenen drei Jahren so viele Wunden hinterlassen hätten, "dass viele Spitzenleute durch chronisches Misstrauen, wenn nicht durch offene Feindschaft verbunden sind".

FolgenreichePostenbesetzung

Innerparteilich hat Rendi-Wagner von Anfang an Gegner, die sie das auch öffentlich spüren lassen. Ihre Personalpolitik brachte ihr in der SPÖ keine Sympathien ein. Dass eine Parteireform, die die Mitglieder stärken sollte, nachträglich entschärft wurde, empörte die Jungen.

Ungleich stärker erhöhte sich der Druck auf Rendi-Wagner aber nach dem Wahldebakel bei der Nationalraswahl einerseits. Aber viel mehr noch durch die Bestellung von Deutsch zum Bundesgeschäftsführer andererseits. Diese wurde von der Basis aufgrund seiner Vergangenheit teils heftig kritisiert. Die Bestellung, die teuren Beraterverträge und 27 Kündigungen, über die die rote Belegschaft zunächst kaum und dann nur per Mail informiert wurde, scheint die Frustration in der SPÖ auf eine Ebene gehoben zu haben, die sich - wenn überhaupt - nur schwer überwinden lässt.