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Sich wie der Phoenix aus der Asche der Armut erheben

Von Martina Madner

Politik
Der Kampfgeist der Grazerin, die sich Phoenix nennt, lässt sich symbolisch einfach illustrieren.
© Irma Tulek

Hohe Wohnkosten und prekäre Arbeit, die krank macht, erhöhen das Risiko, in Armut abzurutschen. Eine Grazerin und Experten zeigen Wege auf, die wieder heraus führen.


"Keiner sucht sich das aus", sagt Phoenix, eine Grazerin, die in der Zeitung lieber diesen symbolisch passend selbst gewählten Namen anstelle ihres echten lesen will. "Wir sind keine Sozialschmarotzer. Jeder versucht, alles zu tun, um eine Arbeit zu finden, jeder will ein gutes Leben, jeder will Sicherheit haben. Und dann hörst du, wenn du die Arbeit verlierst: ‚Du bist eh nur ein Tachinierer, du bist faul, weil wer arbeiten will, findet eine Arbeit.‘ Nein, so stimmt das nicht. Es gibt zu wenige offene, gute Stellen, zu viele, die arbeitslos sind."

Phoenix weiß, wovon sie spricht: Nach einem Burnout hat sie erst ihren Job bei einem Callcenter, den sie über eine Leiharbeitsfirma hatte, verloren, dann auch noch die Wohnung. Sie kämpft nun für zwei Dinge: ihre eigene Situation zu verbessern und sich wie der mythologische Vogel aus der Asche zu erheben. Sie kämpft aber auch für ein realistisches Bild von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten - und zwar als Vertreterin der Plattform "Sichtbar werden" gemeinsam mit der steirischen Arbeitsloseninitiative Amsel und der Grazer Werkstatt für Theater und Soziokultur InterAct.

Schließlich steht Phoenix mit ihren Problemen nicht alleine da: Laut EU-Silc-Erhebung sind 1,5 Millionen Menschen in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. "Um zu verhindern, dass sie in Armut abrutschen, müsste man die Risiken eindämmen", sagt der Armutsforscher und stellvertretende Direktor der Diakonie, Martin Schenk. Er, Phoenix und andere Experten erklären, was die Regierung 2020 gegen Risiken wie hohe Wohnkosten, prekäre Arbeit und für psychisch Erkrankte tun könnte.

Arbeitsdruck, geringe Bezahlung, prekäre Jobs

In Armut abrutschen kann jeder. Bei Phoenix kam es so: Auf Wunsch der Mutter musste sie erst eine Lehre im Handel machen und nicht die Matura, wie sie selber wollte, danach arbeitete sie in der Gastronomie. Probleme mit dem Knie und mit Allergien führten sie über eine Leiharbeitsfirma ins Callcenter, einen Vollzeit-Brotjob, den sie mit Theaterarbeit bei InterAct ergänzte, weil ihr das politische Engagement wichtig war: "Also habe ich in Summe 60 Stunden die Woche gearbeitet."

Es war aber nicht nur die Arbeitszeit alleine, die Phoenix belastete: "Die Arbeit im Callcenter wurde immer mehr zum Bullshit-Job. Am Anfang wurde noch auf Kundenservice Wert gelegt. Dann aber hattest du nur noch 230 Sekunden pro Anruf. Wenn du länger gebraucht hast, wurdest du sofort gefragt: ‚Warum das?‘" Sie konnte nicht mehr durchschlafen, dann wechselte die Leiharbeitsfirma hinter dem Job. Sie konnte keinen Urlaub machen, hatte zu wenig Erholung: "Das hat mich ins Burnout, dann in eine Depression geführt."

Phoenix ist kein Einzelfall: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch sind", stellt Judith Pühringer, Geschäftsführerin von "arbeit plus", einem Netzwerk sozialer Unternehmen, fest. Arbeitsdruck, Verdichtung und schlechte Bedingungen verschärfen das Problem. Tatsächlich zeigt eine Studie der Statistik-Austria-Ökonomin Käthe Knittler zwar, dass es im Vergleich zur Zeit vor der Wirtschaftskrise heute mit 3,7 Millionen um 8,1 Prozent mehr Arbeitsplätze gibt. Allerdings gibt es nicht nur mehr Vollzeitjobs, auch die unsichere, atypische, schlecht bezahlte Arbeit steigt: Bei Jobs mit weniger als 12 Wochenstunden gibt es ein Plus von 33,6 Prozent, bei befristeten Verträgen 31,4 Prozent und bei Leih- und Zeitarbeitsplätzen 22 Prozent.

Arbeit, die das Leben finanziert, aber nicht krank macht

"Jüngere dürften mehr von instabiler Beschäftigung betroffen sind", meint Wifo-Ökonomin Silvia Rocha-Akis, die vor kurzem die neue Wifo-Verteilungsstudie präsentiert hat. Demnach sind die Einkommen von Haushalten mit jüngeren Hauptverdienenden bis 45 Jahre - anders als früher - zwischen 2010 und 2015 nicht gestiegen. Im Gegenteil: "Sie rutschen ab", sagt Rocha-Akis. Nominell hatten jene von ihnen ohne Kinder im Jahr 2015 im Vergleich zu 2010 zwar noch ein Plus von 6,5 Prozent zu verbuchen. Real, also um die Kaufkraft bereinigt, hatten sie aber um 3,7 Prozent weniger Einkommen als fünf Jahre zuvor. Noch höher waren die Verluste in Haushalten jüngerer Hauptverdiener mit Kindern: Sie verloren gegenüber 2010 sogar nominell 4 Prozent und real 13 Prozent.

Was also tun? Pühringer würde in Branchen ansetzen, wo "die Tätigkeit zu gering entlohnt ist - also Gastronomie, Handel, Gesundheits- und Sozialwesen -, und einen Mindestlohn von 1700 Euro realisieren". Eine Neubewertung von Arbeit wäre "ein Drehen an großen Stellschrauben". Phoenix plädiert wie die Initiative Amsel dafür, die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 30 Stunden zu reduzieren, generell höhere Löhne und ein Verbot von Zeitarbeit: "Damit Firmen Mitarbeiter nicht mehr so leicht wegschmeißen können. Das geht so einfach. Du wirst käseweiß im Gesicht, weil du Angst hast, zum AMS geschickt zu werden."

Von Letzterem fordert sie mehr Unterstützung. Sie hat für eine Umschulung zur sozial- und berufspädagogischen Trainerin zwei Jahre lang kämpfen müssen. Jetzt sucht sie nach einer Möglichkeit, Praxis zu sammeln. Neben der Notstandshilfe ist Phoenix stundenweise, geringfügig bei der Lernbetreuung im Stadtteilzentrum Triester, einer Sozialeinrichtung in Graz, tätig. Genau solches stundenweises Arbeiten, das dann Schritt für Schritt ausgedehnt wird, schlägt Pühringer bei psychischen Erkrankungen vor: "Man muss vom ‚Ganz oder gar nicht arbeiten‘-Gedanken abrücken." Deshalb braucht es laut Schenk auch mehr leistbare Therapie "insbesondere außerhalb der Ballungszentren". Aber auch in den Städten ist noch Luft nach oben. Phoenix hätte selbst in Graz ein Jahr zu warten gehabt, hat sich "also quasi selbst therapiert und wieder auf die Beine gebracht".

Leistbarer Wohnraum darf nicht zum Lotto-Sechser werden

Psychische Erkrankungen führen häufig zu Langzeitarbeitslosigkeit. Diese gilt es zu verhindern. Denn die EU-Silc-Erhebung zeigt, dass drei Viertel der Langzeitarbeitslosen von Armut betroffen oder gefährdet sind. Dazu kommt, dass Arbeitslosigkeit laut einer Wiener Studie die Hauptursache für den Verlust der Wohnung ist: 42 Prozent konnten sich die Miete nicht mehr leisten. Fast ein Viertel hatte übrigens davor Probleme mit der psychischen Gesundheit.

Phoenix, die ihre Wohnung im Zuge ihres Burnouts verlor, konnte erst nur ein 9 Quadratmeter kleines "abgewrackten Zimmer mit versiffter Gemeinschaftsdusche am Gang" in einem Beherbergungsbetrieb ergattern. Dafür musste sie 280 Euro monatlich löhnen, ohne Vertrag und Sicherheit: "Wenn die dir am Morgen sagen, dass du jetzt gehen musst, bist du am Abend raus."

Rund 21.500 Wohnungslose gibt es österreichweit offiziell, sagt Alexander Machatschke, Geschäftsführer der Wohnungslosenhilfe Bawo. Anlagewohnungen, Leerstand, Mietkaufwohnungen, Aufkategorisierungen, auch ein restriktiverer Zugang zu Gemeindewohnungen - all das habe die Lage verschärft, sagt Phoenix: "Bei uns in Graz haben wir sehr teure Wohnungen, da kann sich fast nicht einmal mehr eine Mittelschichtsfamilie erhalten." Tatsächlich zeigt die Wifo-Umverteilungsstudie, dass die Wohnungsmieten von 2010 bis 2015 generell mit knapp 21 Prozent viel stärker als die durchschnittlichen Verbraucherpreise (plus 10,7 Prozent) angestiegen sind. "Zudem sind die Wohnkosten pro Quadratmeter für kleinere Hauptmietwohnungen mit befristeten Mietverträgen überdurchschnittlich hoch", ist zu lesen.

So kommt es, dass zwei Drittel der Armutsgefährdeten laut EU-Silc mehr als ein Viertel ihres Haushaltseinkommens fürs Wohnen aufwenden müssen, in der Gesamtbevölkerung ist es ein Fünftel. Bei einem Drittel der Armutsgefährdeten kann man sogar von einer Wohnkostenüberbelastung sprechen, insgesamt bei 7,1 Prozent, wie eine Erhebung der Statistik Austria darüber hinaus zeigt. Und: "Die Preise bei Neuvermietungen sind in den vergangenen zehn Jahren massiv gestiegen", sagt Machatschke. Verliert jemand heute eine Wohnung, ist es mit schmalem Budget heute also weit schwerer, an eine neue zu gelangen. Phoenix konnte nach intensiver Suche am Stadtrand von Graz eine günstige Wohnung finden: "Die ist wirklich fast wie ein Lotto-Sechser."

Vorbeugen kommt günstigerals Nachsorgen

Auch gegen die Missstände beim Wohnen kämpft Phoenix weiter an, InterAct macht diese im Theaterstück "Ware Wohnen Menschenrecht" sichtbar. Rocha-Akis zeigt auf, dass die Wohnbeihilfe für jene mit geringerem Einkommen ein wichtiges Mittel zum Ausgleich ist: Die 10 Prozent der österreichischen Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen hätten ohne sie 9,3 Prozent weniger zum Leben zur Verfügung.

Machatschke fordert "ein Ende der Förderung des Eigentums" im Wohnbereich. Denn es sei zwar relativ viel gebaut worden in den vergangenen Jahren, aber: "Wunderschöne Vorsorgewohnungen bringen unserer Klientel nichts." Stattdessen brauche es mehr mietpreisgebundenen Wohnbau, insbesondere in den Städten. Das schwebt auch Schenk vor. Er plädiert darüber hinaus dafür, dass die öffentliche Hand Mietschulden übernimmt oder zumindest vorstreckt; "Delogierungen kommen teuerer - sowohl den Betroffenen als auch der Gesellschaft."