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Werner Kogler ist "ein Bündnis mit den Österreichern eingegangen"

Von Walter Hämmerle

Politik
© Wiener Zeitung/Moritz Ziegler

Der Vizekanzler erklärt, warum er Bundeskanzler Sebastian Kurz vertraut, warum die Grünen nicht das Finanzministerium wollten und wie er die Sicherungshaft sieht.


"Wiener Zeitung": Herr Vizekanzler, Sebastian Kurz war Ihr politischer Gegner, nun ist er Ihr Verbündeter. Wenn man sich Ihre Wortmeldungen aus den vergangenen Monaten vor Augen führt, dann war das wohl keine so leichte Wandlung.

Werner Kogler: Ich habe mich mit den Mehrheitsinteressen in Österreich zu verbünden versucht. Und die sind so gelagert, dass eine Regierung aus ÖVP und FPÖ nach all den Vorkommnissen nicht erneut zum Zug kommen sollte. Türkis-Blau wäre ja nicht ausgeschlossen gewesen, am ehesten über den Weg einer Minderheitsregierung. Unsere Verbindung zur ÖVP ist eine Folge davon.

Wie sehr misstrauen Sie Sebastian Kurz?

Wir haben die Sondierungen nicht nur aus inhaltlichen Gründen so ausführlich angelegt, sondern auch, um Vertrauen zu bilden. Diese Übung hat es schon gebraucht. Das Vertrauen war bald da. Solange wir uns wechselseitig nicht richtig reinlegen, wird das Vertrauen weiter wachsen.

Halten Sie das ÖVP-Führungsteam um Kurz immer noch für eine Schnöseltruppe?

Ich habe diesen Begriff nicht erfunden. Er stammt von Raiffeisen-affinen ÖVP-Funktionären, die im Wahlkampf 2017 befürchtet haben, dass die vielen jungen Leute um Kurz die Macht in der Partei an sich ziehen. Ich habe das zwischendurch, wie das so meine Art ist, aufgegriffen. Ich konnte nicht widerstehen.

Warum haben die Grünen nicht versucht, den Finanzminister zu bekommen?

Wir Grüne haben uns darauf verständigt, nicht von den Ressortüberschriften auszugehen, sondern von den Aufgaben darunter. Als Erstes haben wir auf das Großressort hingearbeitet, das fast ein Doppelressort ist: Klimaschutz plus Infrastruktur. Das Finanzministerium war eine Zeit lang tatsächlich ein Thema für uns. Aber dann hätten wir woanders viel, viel weniger erreicht, etwa in den Bereichen Soziales, Pflege, Gesundheit und Konsumentenschutz. Es ist ja immer alles eine Preisfrage.

Aber einen Staatssekretär hätten Sie schon ins Finanzministerium hineinsetzen können.

Ich erinnere mich noch gut, als Andreas Schieder, den ich gerne mag, Finanzstaatssekretär war (2008 bis 2013, Anm.), aber von den Informationen – damals gab es eine Finanzkrise und Bankenaffären – abgeschnitten wurde. Mit uns hat die Ministerin, Maria Fekter, damals mehr Informationen ausgetauscht als mit ihm. Das hat mich geprägt. Die Mitbeeinflussung der Finanz- und Budgetpolitik kann auch ohne Staatssekretär gelingen. Und die Informationen müssen wir ja sowieso bekommen, denn sonst gibt es eh eine Krise.

Das heißt: Ulrike Lunacek ist auch eine Art Außenstaatssekretärin?

Nein. Aber sie kommt ja aus dem Metier. Und wenn es imagemäßig dazu beiträgt, dass die Regierung deutlich proeuropäischer dasteht, dann war das durchaus nicht unbeabsichtigt.

Ist es nicht so, dass drei Quereinsteigerinnen als Ministerinnen mit Alma Zadic, Eva Blimlinger und Leonore Gewessler zu viel für die grüne Basis gewesen wären?

Diese Sorge habe ich nicht gehabt. Ich habe Verständnis für die aktuelle Kritik in den Sozialen Medien an der Wahl von Ulrike Lunacek. Allerdings war ich ja selbst bei der Nationalratswahl 2017 stellvertretender Bundessprecher. Wir haben gemeinsam verloren – und jetzt ist sie wieder dabei.

Und die grüne Basis?

Mein Bezug zur Basis ist unmittelbar. Mir ist wichtig, dass ich verstanden werde. Ich hätte auch vor dem Bundeskongress zu Basisveranstaltungen eingeladen, wäre Zeit dafür geblieben. Und zu den Quereinsteigerinnen ist zu sagen, dass hinter mir drei Quereinsteigerinnen zur Wahl angetreten sind. Aber insgesamt gilt: Das ist ein Ritt auf der Rasierklinge. Ich habe immer mit dem Clint-Eastwood-Prinzip argumentiert: Wir reiten in die Stadt – und der Rest ergibt sich.

Stichwort Twitter: Es gibt massive Attacken gegen Justizministerin Alma Zadic, vor allem von rechts. Gleichzeitig gibt es das auch von linker Seite gegen Bundeskanzler Kurz oder FPÖ-Politiker. Haben die Grünen und NGOs hier eine Mitverantwortung?

Ich sehe nicht, dass die Grünen einen besonders bösartigen Beitrag liefern würden. Natürlich, ein gleicher Maßstab wäre sinnvoll. Aber Vergleichbares zu Vergleichbarem. Generell ist zu sagen, dass Frauen stärker von Hasspostings betroffen sind. Bei Zadic kommt alles zusammen: Frau, grün, erfolgreich und Migrationshintergrund. Ich erinnere daran, dass der Prozess von Eva Glawischnig gegen Facebook, für den wir trotz Schulden viel Geld reserviert haben, um ihn austragen zu können, gut ausgegangen ist.

Sollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden, damit Poster auf Sozialen Plattformen zur Verantwortung gezogen werden können?

Wir werden uns weiter heftig gegen Hass im Netz wehren. ÖVP und FPÖ haben über eine Ausweispflicht debattiert, aber wir sind aus anderen Gründen gegen eine Klarnamenpflicht. Denn die meisten Hassbotschaften erfolgen unter Klarnamen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hier wachsam zu bleiben.

Sie wollen die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent senken und keine neuen Schulden machen. Gleichzeitig enthält das Regierungsprogramm manch ehrgeizigen Punkt, von der Pflegeversicherung bis zur ökosozialen Steuerreform. Wie soll sich das finanziell ausgehen?

Am Ende der Verhandlungen hat der Fiskalrat mehrjährige Prognosen abgeliefert. Wenn die Wirtschaft nicht komplett einbricht, sind wir eineinhalb bis zwei Milliarden Euro pro Jahr im Plus. Wir sind zum Start des Budgetpfads sogar von einem leichten Minus – 400 bis 500 Millionen Euro – ausgegangen. Insofern ist da ein gewisser Spielraum. Bei der Formel ausgeglichener Haushalt muss man dazu sagen, dass das konjunkturell schwanken kann. Natürlich innerhalb des europäischen Rechtsrahmens. Bei gröberen Krisen müssen wir reagieren können.

Wären Sie bereit, die Verfassung zu ändern, um eine Sicherungshaft zu ermöglichen?

Wozu wir bereit sind, sehen wir, wenn wir dort sind. Der Begriff Verfassungskonformität zielt meiner Meinung nach auf die Einhaltung der bestehenden Verfassung ab. Möglicherweise gibt es da Interpretationsunterschiede. Andere lesen das so, als könnte die Verfassung geändert werden. Wir leuchten auf der bestehenden Basis überhaupt einmal aus, ob das möglich ist. Und dann bin ich bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen und möchte wissen, für welche bösartigen und tragischen Einzelfälle das genau angedacht ist und was damit gelöst werden soll. Die Fragen sind: Was wollen wir damit verhindern? Und was können wir damit verhindern?

Hat Sie in den vergangenen Wochen irgendetwas überrascht?

Ich habe noch zu wenig reflektiert. Aber in den Koalitionsverhandlungen hat mich, offen gestanden, nichts mehr überrascht.

Es hat Sie nicht überrascht, dass manche der Personen, die Sie früher heftig kritisiert haben, sich als paktfähig erwiesen haben?

Das habe ich ja schon beim Sondieren gesehen. Die Leute um Kurz, die die Fäden in der Hand haben, sind schon sehr straight unterwegs. Man merkt, dass da eine relativ kleine, aber umso besser abgestimmte Gruppe sämtliche Bücher im Regal hat. Insbesondere das von Niccolò Machiavelli.

Wird es mit den Grünen eine Message Control geben?

Nein – nicht in der Form. Das war schon vor dem Sondieren vereinbart. Es wird öfter verschiedene Kommentare zum Gleichen geben. Die Beschreibung des Regierungsprogramms – "Das Beste aus beiden Welten" – stammt nicht von uns. Das funktioniert medial natürlich hervorragend. Aber zumindest rational-philosophisch betrachtet ist das ein Unsinn. Es gibt nur eine Welt. Und auf dieser Welt gibt es verschiedene Sichtweisen. Und so wird es sein.

Werner Kogler (58) kommt aus St. Johann in der Haide. Er studierte Volkswirtschaft und Rechtswissenschaften und war in den 1980er Jahren Gründungsmitglied der Alternativen Liste Steiermark und Österreich. Von 1985 bis 1988 war er Gemeinderat in Graz. Von 1999 bis 2017 war er im Nationalrat. Danach übernahm er die Partei und führte sie nicht nur in das Hohe Haus zurück, sondern auch in die Regierung.

Das Interview hat die "Wiener Zeitung" gemeinsam mit den Tageszeitungen "Die Presse", "Oberösterreichische Nachrichten", "Salzburger Nachrichten" und "Tiroler Tageszeitung" geführt.