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Gesundheitsökonom: "Kein Grund zur Panik"

Von Brigitte Pechar

Politik

Experte Czypionka hält die Debatte über das zu erwartende Defizit der Krankenkassen für übertrieben. Runder Tisch "konstruktiv verlaufen".


Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), in der seit Jänner alle Gebietskrankenkassen und die Betriebskrankenkassen zusammengefasst sind, rechnet für heuer mit einem Abgang von 175,3 Millionen Euro, wie die "Wiener Zeitung" bereits im Dezember berichtet hat. In den vergangenen Tagen ist darüber eine Debatte zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern in der ÖGK entbrannt.

Mittwochnachmittag bat der Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) zu einem Runden Tisch zur finanziellen Lage der ÖGK. In Anschluss war die Gewerkschaft positiv gestimmt. Aus Sicht der Gewerkschaft sei das Gespräch  "sehr konstruktiv verlaufen", hieß es vonseiten der Co-Vorsitzenden im Dachverband und Leitenden ÖGB-Sekretärin Ingrid Reischl. Die Einführung von Selbstbehalten und Leistungskürzungen als Gegenmaßnahmen zum drohenden Defizit in Höhe von 1,7 Milliarden Euro bis 2024 seien ausgeschlossen worden.

Der ÖGB habe bei der Aussprache mit Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne) zudem seine Forderungen nach gleichen Leistungen und einem Risikoausgleich zwischen den Kassen bekräftigt. Anschober wollte sich zu der Aussprache vorerst nicht äußern.

Bis 2024 wird der kumulierte Fünf-Jahres-Verlust laut ÖGK offenbar 1,7 Milliarden Euro betragen. Diese Milliardenzahl lässt zwar erschauern, sagt aber tatsächlich nicht sehr viel aus. Erfahrungsgemäß sind die Defizitprognosen des Verwaltungsrats der Sozialversicherung viel zu hoch gegriffen; die Differenz zum Ergebnis beträgt häufig 100 Millionen Euro und mehr. Schließlich sind diese dazu da, um eben nicht erfüllt zu werden.

Und ein Defizit von 175 Millionen Euro wäre bei einem Budget der ÖGK von fast 16 Milliarden Euro immer noch kein Beinbruch.

Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS), sieht "keinen Grund zur Panik, weil ja niemand wollen kann, dass die Patienten nicht versorgt werden". Das Problem sei höchstens, dass Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter das Thema so strittig austragen, sagt er. Tatsache sei, dass der bisherige jährliche Pauschalbeitrag der AUVA von 100 Millionen Euro für Arbeitsunfälle an die Gebietskrankenkassen jetzt wegfalle und dadurch die Einnahmen etwas geringer ausfallen. Tatsache sei auch, dass es Fusionskosten gebe. Tatsache sei weiters, dass die Leistungen für Patienten ausgeweitet werden. Es sei eben ein Gemisch, warum die Gebarung etwas schwieriger werde.

Die Wahrheit ist zumutbar

Einen Grundfehler der Sozialversicherungsreform sieht Czypionka darin, dass die Fusionskosten heruntergespielt und stattdessen von einer Patientenmilliarde gesprochen worden sei. "Natürlich kostet eine Fusion zuerst einmal Geld. Erst langfristig sind Einsparungen möglich. Diese Wahrheit hätte man den Versicherten durchaus zumuten können."

Einsparungen werde es sicher geben, auch in der Verwaltung, die 2,8 Prozent des Budgets ausmacht. Viel wichtiger aber sei, dass die Verwaltung so gut sei, um bei den Leistungen - nämlich den 97,2 Prozent des Budgets - die Mittel richtig einzusetzen und dort zu sparen. Die Verwaltung solle einerseits Gerechtigkeit zwischen den Versicherten herstellen, sich Gedanken über Tarife und Honorare machen und Verträge erstellen. Grundsätzlich glaubt Czypionka an erhöhte Effizienzen durch die Fusion. Ein Ansatz werde sicher die Honorarordnung sein. Eine Studie zeige, dass Vertragsärzte nicht so schlecht verdienen würden. Man könnte also sensible Angleichungen vornehmen - auch zwischen den Ärztefachgruppen, sagt der Gesundheitsökonom. Das Gesetz könnte dabei eine Hilfe sein, denn darin heißt es sinngemäß: Honorarverhandlungen müssen sich nach den finanziellen Möglichkeiten der Kassen richten.

Auch BVAEB im Minus

Am Mittwoch hat auch die BVAEB, die mit den Eisenbahnern und Bergleuten fusionierte Beamten-Versicherungsanstalt, rote Zahlen angekündigt. Bis 2024 wird ein jährliches Defizit von gut 80 Millionen Euro für den Bereich der Krankenversicherung vorhergesagt. Auch hier wurde kumuliert: 422 Millionen Minus in den nächsten fünf Jahren. Nur die SVS, die Versicherung der Bauern und Selbständigen, erwartet bis 2023 Bilanz-Überschüsse und erst 2024 ein leichtes Minus von 1,1 Millionen Euro.