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Freizeit nur mehr daheim

Von Simon Rosner

Politik

Immer mehr Länder beschließen Shutdowns für Lokale, Sport und Kultur. Österreichs Regierung informiert am Samstag.


Anfang August erschien in dieser Zeitung eine Art Vorschau auf den Herbst, und zwar eine durchaus optimistische. Dass nämlich eine zweite Welle vermeidbar ist, wenn die Behörden schneller werden beim Testen und beim Isolieren der Infizierten; wenn die Kommunikation und Wissensvermittlung gezielter und besser funktioniert; wenn sich angemessenes, bewusstes Handeln in der Bevölkerung etabliert. Der leicht polemische Titel damals: "Die zweite Welle geht auf uns." Genau das ist nun passiert - unter anderem, weil nichts von dem damals Beschriebenen seither eintrat.

Mit der Entwicklung ist Österreich freilich nicht alleine. In allen europäischen Ländern ist die zweite Welle im Rollen, in manchen mehr, in anderen weniger. Österreich war früher dran, dafür ist der Anstieg in der Schweiz weitaus dramatischer und die Inzidenz mittlerweile doppelt so hoch wie hierzulande. Das ist auch der Grund, warum die Schweiz am Donnerstag die Reisewarnung für Österreich aufhob.

Die Zunahme des Infektionsgeschehens führt in einem Land nach dem anderen wieder zu drastischen Maßnahmen zur Kontaktreduktion, wobei sich diese in erster Linie auf den Freizeitbereich konzentrieren. Im Gegensatz zum Frühling sind die meisten Staaten bestrebt, Schulen und Kindergärten sowie auch Geschäfte offenzuhalten. Umso schärfer sind teilweise aber Ausgangsbeschränkungen, um private Feiern auch zu unterbinden.

In den meisten Ländern zeigt sich aber im Vergleich zum März eine verminderte Bereitschaft der Bevölkerung für einen Lockdown. Italiens Premier Giuseppe Conte will nicht zuletzt auch deshalb zuwarten, es gab bereits Ausschreitungen in Neapel und Turin. In Deutschland werden hingegen trotz einer relativ geringen Inzidenz bereits ab Montag alle Lokale, Kinos und Theater geschlossen und Hobbysport untersagt.

Für den ersten Lockdown im Frühling wurde von Forschern aus Tel Aviv in einer Studie gezeigt, dass der Zeitpunkt von Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung mit der Zahl der Covid-Toten korrelierte. Eine Verzögerung von rund einer Woche hatte demnach zu einer Verdoppelung an Toten geführt. Ein wichtiger Unterschied zu damals ist jedoch, dass die Wachstumsraten heute überall deutlich niedriger sind. Der Druck auf die Kurve der Infektionen ist stärker als in den ersten März-Tagen, aber offenbar nicht stark genug.

Dass auch in Österreich der Freizeitbereich massiv beschränkt werden wird, ließ sich am Donnerstag aus der Pressekonferenz der Regierungsspitze mit Vertretern aus dem Spitalsbereich heraushören. Am Freitag steht noch ein Treffen mit den Sozialpartnern an, dem folgen am Samstag Gespräche mit den Parlamentsparteien, anschließend, so kündigte es Bundeskanzler Sebastian Kurz an, werde die Öffentlichkeit informiert. Formal muss der Hauptausschuss des Nationalrats einem Lockdown zustimmen. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner machte bereits davor klar, dass ein zweiter Lockdown unausweichlich sei, wenn die zuletzt beschlossen Maßnahmen nicht rasch greifen sollten. Und das tun sie nicht. "Wir haben wenig Wirksamkeit im System", sagt Simulationsforscher Niki Popper zur "Wiener Zeitung". Die Auswertung von Mobilitätsdaten zeige zwar einen leichten Rückgang bei der Mobilität, aber eben nur einen leichten. Und bei der Kontakthäufigkeit dürfte es nicht anders sein, wenn man von den aktuellen Fallzahlen rückrechnet.

Ressourcen im Grenzbereich

Sehr lange reichen die (personellen) Ressourcen in den Krankenanstalten nicht mehr. Der Anteil der Infizierten, der eine Woche bis zehn Tage später auf einer Intensivstation aufgenommen wird, war vor einigen Wochen noch bei einem Prozent, nun steigt er, da sich wieder vermehrt sehr betagte Personen infizieren. Für die kommende Woche ist eine deutliche Zunahme des Belags auf Intensivstationen zu erwarten. Gesundheitsminister Rudolf Anschober erwartet das Erreichen der Kapazitätsgrenzen für Mitte November.

Am Donnerstag schwieg sich die Regierung zur Ausgestaltung der Maßnahmen aus. Durch das neue Covid-Gesetz ist die Regierung in ihren Möglichkeiten eingeengt, Ausgangsbeschränkung können zum Beispiel nur mehr für zehn Tage erlassen werden. Es ist aber anzunehmen, dass sich die Maßnahmen, wie auch in anderen Ländern, primär auf den Freizeitsektor konzentrieren werden. Das Ziel ist, dass die Kontakthäufigkeit insgesamt deutlich abnimmt. "Schon 20 Prozent weniger bei allen Freizeitkontakten bringt im Modell sehr viel", erklärt Popper.

Neben der Beschränkung der Kontaktmöglichkeiten ist die Reduktion der Übertragungswahrscheinlichkeit der zweite Bremshebel. Dazu zählen das Abstandhalten, die Händehygiene, das Lüften von Innenräumen und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Der gesetzliche Rahmen ist dabei allerdings schon weitgehend ausgeschöpft, die Maske im öffentlichen Raum fast überall vorgeschrieben.

Schutz der Pflegeheime

Potenzial besteht beim Schutz der Krankenanstalten und Pflegeheime. In diesen kam es zuletzt vermehrt zu Clustern. Die Neos fordern mehr Tests der Beschäftigten, die Stadt Wien hatte tags davor über die Anschaffung von zwei Millionen Antigentests informiert, um alle Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen zu testen. Gelingt es durch ständige Tests, Covid von diesen Einrichtungen fernzuhalten, könnte die Zahl der Menschen, die daran versterben, stark vermindert werden.

In Spanien verstarben bis Ende Juni 27.359 Personen in Pflegeeinrichtungen, das waren mehr als zwei Drittel aller Covid-Toten der ersten Welle. Damals waren die Testressourcen für Screenings nicht vorhanden, Antigen-Schnelltests, die zwar nicht perfekt sind, aber recht verlässlich eine hohe Infektiosität anzeigen, waren noch gar nicht entwickelt.

Welche Initiativen die Bundesregierung abseits von Kontaktbeschränkungen setzen will, ist aus der Pressekonferenz nicht hervorgegangen. Dass ein schweres Versäumnis von Politik und Behörden, nämlich das Kontaktpersonenmanagement nicht deutlich personell aufgestockt und professionalisiert zu haben, behoben werden muss, ist aber klar. Das war der wohl wichtigste Punkt in der Vorschau vom August, den sämtliche Fachleute damals genannt haben. Dazu eine Meldung von diesem Mittwoch: Die Stadt Linz teilte mit, das Contact Tracing auszubauen, von bisher 21 Personen auf 60.