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Nachrichtendienst im Schatten des Attentats

Von Daniel Bischof und Martin Tschiderer

Politik

Im Zuge des Wien-Anschlags wird Reform des BVT gefordert. Experten zeigen Problemfelder und Lösungen auf.


Das BVT gerät unter Druck. Der Ruf nach einer Neuaufstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wird lauter. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) forderte am Donnerstag einen "Neustart" der Behörde. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) versprachen eine umfassende Reform des BVT.

Denn jüngste Erkenntnisse zum Wien-Attentäter haben zuletzt Zweifel an der Arbeit der Behörde und des Innenministeriums aufgeworfen. "Einiges scheint da wirklich schiefzulaufen", sagt der Historiker sowie Nachrichten- und Geheimdienstexperte Siegfried Beer zur "Wiener Zeitung".

Für Diskussionen sorgt vor allem eine Warnung, die das slowakische Innenressort laut eigenen Angaben seinen Kollegen in Wien am 23. Juli 2020 zukommen ließ. Demnach hatte der spätere Wien-Attentäter und verurteilte Terrorist F. am 21. Juli in Waffengeschäften in Bratislava versucht, Munition für ein Sturmgewehr des Typs AK-47 (Kalaschnikow) zu kaufen. Mangels Waffenscheins scheiterte er daran.

Unklarheiten um Warnung

Die Slowakei informierte Österreich über die nationale Verbindungsstelle von Europol, so wie vorgesehen. Zunächst stand im Raum, dass diese Meldung in den Amtsstuben versickert und nicht weitergegeben worden sein könnte. Immerhin hatte am Mittwoch die Justiz angegeben, vom BVT nicht über diese Warnung informiert worden zu sein. Wäre dem so, so sei das "völlig unverständlich", sagt Beer: "So ein Verdächtiger müsste ständig observiert werden."

Am Donnerstag betonten hochrangige Exekutivvertreter, dass man der slowakischen Meldung sehr wohl nachgegangen sei. Die Informationen in der Warnung seien aber schwammig, die Qualität eines beigelegten Lichtbilds schlecht gewesen, was eine Identifikation von Verdächtigen nicht möglich gemacht habe, so der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl. Eine Observation wäre aber nur mit gesicherten Informationen möglich gewesen. Daher habe man bei der Slowakei um besseres Material angefragt. Erst nach zweimaligem Urgieren habe man am 16. Oktober weitere Informationen erhalten. Trotz des neuen Materials habe aber keine abschließende Klarheit bezüglich der Verdächtigten bestanden.

Justiz nicht einbezogen

Weiteres Licht auf den genauen Ablauf soll eine unabhängige Untersuchungskommission werfen. Fest steht, dass die Justiz erst im Zuge des Anschlags von der slowakischen Warnung erfuhr. Ein Grund für die Zurückhaltung von Informationen könne sein, dass man nicht zu viel Wasser aufwirbeln wolle, erklärt der Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler gegenüber der "Wiener Zeitung". Ganz ohne Einbeziehung der Justiz seien größere Ermittlungsschläge aber auch nicht möglich.

Debatten wurden auch durch FPÖ-Klubchef Herbert Kickl ausgelöst. Er hatte am Mittwoch auf Informationen verwiesen, wonach F. schon bald nach seiner vorzeitigen Haftentlassung unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stand. Kickl erwähnte auch verdeckte Ermittlungsoperationen gegen Islamisten.

Angeheizt wurden die Gerüchte auch durch Berichte, wonach am Morgen des 3. November - sieben Stunde nach dem Attentat - eine Großrazzia gegen die islamistische Szene stattfinden hätte sollen. Spekuliert wurde, dass die Islamisten Wind von der Operation bekommen haben könnten - und F. deshalb mit seinem Anschlag der Razzia kurzfristig zuvorgekommen ist. Was bedeuten würde: Es müsste einen "Maulwurf" gegeben haben. "Sollte es bei so einer großen Ermittlungsoperation tatsächlich eine undichte Stelle gegeben haben, wäre das ein starkes Stück", sagt Riegler.

Franz Ruf, der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, dementierte diese Berichte zwar nicht vollständig. Es handle sich aber um eine irreführende Darstellung. Gegen F. und sein unmittelbares Umfeld sei keine Schwerpunktaktion in Vorbereitung gewesen, hielt er fest.

Studium statt Parteibuch

Während viele Fragen zu den Ermittlungen noch offen bleiben: Die strukturellen Probleme des BVT sind seit längerem bekannt. "Es fehlt das Personal und das Budget", sagt Fachmann Beer. In der Vergangenheit seien nicht genügend kompetente Personen ins BVT gelangt, oft habe nur das richtige Parteibuch den Ausschlag gegeben: "In Österreich gibt es ja leider die lange Tradition, dass Leute, die an der Macht sind, Posten einfach verteilen", so der Nachrichtendienst-Fachmann.

Davon müsse man abkommen, es brauche eine "Akademisierung des BVT", sagt Beer. "Dazu gehören eine konsequente Hintergrundausbildung und Weiterbildung der Mitarbeiter." Die Behörde müsse auf den Universitäten Ausschau nach den besten Köpfen halten und nicht Parteifreunde einschleusen. In den USA würden etwa regelmäßig CIA-Anwerber nach Harvard kommen, um mit Studenten zu sprechen. Auch Ungarn, Rumänien und Tschechien "sind uns da weit voraus".

Katastrophale Folgen zeitigte im Februar 2018 die Razzia beim BVT unter Innenminister Herbert Kickl (FPÖ). Die Hausdurchsuchung wurde auf Basis schwammiger Indizien durchgeführt und beschädigte die Behörde nachhaltig. Die Partnerdienste schränkten ihre Kooperation massiv ein.

Reform soll besseres Personal bringen

Der Zustand des BVT gab dann auch Anlass zu einer ersten Reform, die im Juli 2020 vom Nationalrat beschlossen wurde. Sie zielt auf eine Verbesserung der Personalsituation ab, die Rekrutierung soll transparenter und objektiver werden. Ein Grundausbildungslehrgang und eine Spezialausbildung wurden eingeführt. Mit Oktober 2021 soll ein FH-Lehrgang Staatsschutz starten.

In der Diskussion wenig vorgekommen ist das Abwehramt des Bundesheeres. Es ist für die militärische Sicherheit zuständig und schützt militärische Rechtsgüter. Ein Sprecher des Bundesheeres verweist darauf, dass das Attentat in Wien ausschließlich in die polizeiliche Zuständigkeit falle und es keine gesetzliche Handhabe für ein Einschreiten des Abwehramts in solchen Fällen gebe.

Beer sieht es als schwierig an, zwischen militärischer und polizeilicher Sicherheit zu unterscheiden: "So etwas muss eigentlich ein Gesamtsystem sein, wobei es vor allem um die Kommunikation zwischen den Behörden geht." Ein solch weitreichendes Attentat, bei dem Waffen wie eine Kalaschnikow im Spiel seien, komme einem "militärischen Problem" schon in gewisser Weise nahe, sagt Beer.

Er verweist darauf, dass es aber seit jeher ein gewisses Konkurrenzdenken zwischen BVT und Abwehramt gebe: "Das ist nicht nur in Österreich, sondern auch bei Diensten in anderen Staaten - etwa bei den Amerikanern - so." Doch sei ein solches Konkurrenzdenken gefährlich und könne auch zu Pannen führen, sagt Beer. Wie Riegler ausführt, hatten im Vorfeld von 9/11 auch CIA und FBI untereinander bewusst nicht kommuniziert. Nach den Anschlägen wurde diese Praxis aber geändert.

Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) forderte am Donnerstag, die drei Nachrichtendienste (BVT, Abwehramt und Heeresnachrichtendienst) als Konsequenz aus den Fehlern in Wien zusammenzulegen. "Einer reicht. Einer, der gut aufgestellt ist", sagt Doskozil in einem Interview mit der "Presse". Diesen würde er so wie in Deutschland "organisatorisch beim Bundeskanzler ansiedeln, aber mit einer starken parlamentarischen Kontrolle versehen".

Zusammenlegung wäre ein "Mentalitätsbruch"

Er sei an sich ein Verfechter der Teilung solcher Aufgaben, sagt Nachrichtendienste-Experte Beer: "Die Amerikaner sind überzeugt, dass dadurch die Organisationen spezialisierter arbeiten." Zudem müsse man "gewachsene Strukturen" betrachten. "Wie sollen polizeiliche und militärische Nachrichtendienstler plötzlich miteinander reden, wenn die sich bisher immer voneinander abgegrenzt haben? Das wäre ein Mentalitätsbruch, der in Österreich undenkbar ist."

Dass eine Zusammenlegung von Diensten aber auch funktionieren könne, zeige sich anhand der Schweiz, meint Beer. "Die sind mit der Zusammenlegung gut gefahren - auch dank einer guten Führung."