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Wien als "kleiner Nordkorea-Hotspot"

Von Daniel Bischof

Politik

Österreich gilt seit Jahrzehnten als zentraler Standort für Nordkoreas Spione in Europa. Ein Politikwechsel der USA gegenüber dem kommunistischen Regime könnte sich auch in Wien niederschlagen.


Es ist ein eigenwilliges Verhältnis, das der scheidende US-Präsident Donald Trump zu Nordkoreas Diktator Kim Jong-un pflegte. Voller Schmeicheleien waren die Briefe, die sich die beiden schrieben, immer wieder wartete Trump mit Lob für den Machthaber auf. Und auch so manche Drohung konnte den Eindruck nicht verscheuchen, dass Trump dem Nordkoreaner wohlgesinnt war.

Eine härtere Gangart könnte nun der künftige US-Präsident Joe Biden einleiten. "Gegenüber Nordkorea wird es wohl einen Politikwechsel geben. Die Amerikaner werden das Land wieder verstärkt kritisch beobachten", sagt der Nachrichtendienst- und Sicherheitsexperte Thomas Riegler.

Dieser Kurswechsel könnte sich auch in Österreich bemerkbar machen. Bereits vor Jahrzehnten haben nordkoreanische Spione in Wien Wurzeln geschlagen. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass die Verbindungen bis heute nicht gekappt wurden. Die Nachrichtenagentur "Bloomberg" zitierte im Dezember 2020 einen anonymen, hochrangigen Nachrichtenoffizier eines westlichen Staates, demzufolge Österreich eine zentrale Rolle für die nordkoreanische Spionage spielt.

HistorischeVerbindungen

"Nach meinen Erkenntnissen würde ich vermuten, dass Österreich ein kleiner Hotspot für die Nordkoreaner war und ist", sagt auch der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU). Er sitzt im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die drei Nachrichtendienste des Bundes überwacht. Dass die Nordkoreaner aktiv in Deutschland spionieren würden, dafür gebe es derzeit hingegen keine Erkenntnisse, sagt Sensburg. Die Bundesrepublik Deutschland sei nämlich nie wirklich in Nordkoreas Blick geraten. Zu Österreich gebe es deutlich mehr historische Verbindungen, unter anderem im Bankenwesen, so der deutsche Parlamentarier.

"Die Nordkoreaner sind in Wien personell stark aufgestellt", berichtet Riegler. Das Land unterhält in Wien eine seiner größten Botschaften in Europa. Im Juni 2019 wurde Choe Kang Il, ein führender USA- und Atomexperte, neuer nordkoreanischer Botschafter in Österreich.

Wien ist aus mehreren Gründen für die Nordkoreaner interessant. "Die Bewegungsfreiheit des Regimes ist stark eingeschränkt. Wenn es im Westen tätig sein will, geschieht das bevorzugt über die Schweiz und Österreich", erklärt Riegler. Die beiden neutralen Staaten waren lange für ihren laxen Umgang mit Spionen bekannt. Das nutzten die Nordkoreaner aus, um Luxuswaren und strategische Ressourcen für Waffenprogramme zu schmuggeln.

Die Luxuswaren seien entscheidend, um sich die "Loyalität der obersten Machtclique" in Nordkorea zu erkaufen, sagt Riegler. Aufgrund der Sanktionen sei es dem Regime zudem nicht möglich, auf legalem Weg Güter für sein Nuklearprogramm zu besorgen. "Daher ist die Arbeit der Geheimdienste wesentlich, um die nukleare Aufrüstung voranzutreiben", schildert Riegler. "Es werden Tarnfirmen und verdeckte Netzwerke eingerichtet. Beschaffungen sind in der Vergangenheit nachweislich auch über Österreich gelaufen."

Parallelen dazu zeigen sich auch in der Schweiz, sagt der Historiker und Nachrichtendienst-Experte Adrian Hänni: "Die Motivlage der Nordkoreaner ist hier sehr ähnlich. Die Schweiz ist für sie wichtig für die Beschaffung von Gütern und Technologie." In Bern und Genf sind die Nordkoreaner ebenfalls stark präsent. Verantwortlich dafür sind die Neutralität und die in der Schweiz ansässigen internationalen Organisationen. Eine wichtige Rolle spiele zudem die "diskrete Schweizer Gastfreundschaft", erklärt Hänni.

"Geldwäsche undGeheimkonten"

Nordkoreas Diktatorendynastie ist familiär mit der Schweiz verbunden. Kim Jong-un lebte als Schüler mit falscher Identität unbehelligt einige Jahre in der Schweiz. Aus Unterlagen aus den 1990er-Jahren sei auch ersichtlich, dass Nordkoreaner "Schweizer Banken für Geldwäsche und Geheimkonten verwendet haben", so Hänni. Damals sei die Schweiz die europäische Drehscheibe für das Kim-Regime gewesen.

In Österreich wiederum war zwischen 1982 und 2004 die "Golden Stark Bank" in Wien tätig. "Das war die einzige nordkoreanische Bank, die es im westlichen Ausland gab", erklärt Riegler. Die Bank geriet wiederholt ins Zwielicht. Sie soll etwa mit waffenfähigem Plutonium gehandelt haben. Laut US-Behörden nahm sie gar eine "tragende Rolle" im nordkoreanischen Finanzsystem ein. Die USA übten deshalb auch Druck auf Österreich aus, schließlich wurde die Bank im Jahr 2004 geschlossen.

Die Schließung dürfte dem Schmuggel und der Spionage aber kein Ende gesetzt haben. Im Jahr 2009 wurde der Fall eines Wiener Geschäftsmanns bekannt, der versucht haben soll, als Strohmann Yachten in Italien zu kaufen. Diese sollen für die Familie von Diktator Kim Jong-il, Vater von Kim Jong-un, bestimmt gewesen sein. Das Geschäft flog auf, Italien beschlagnahmte die Yachten.

2015 ließ Nordkorea rund 200.000 Reisepässe bei der österreichischen Staatsdruckerei drucken. Die Südkoreaner bekamen Wind von der Sache und wollten Musterexemplare in die Finger bekommen. Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz- und Terrorismusbekämpfung gaben dann auch drei Stück an die Südkoreaner weiter.

Wie der "Standard" berichtete, wurde einem Mitarbeiter der nordkoreanischen Botschaft im Jahr 2015 vom österreichischen Außenministerium die erneute Akkreditierung verweigert. Der Grund: Der Mitarbeiter soll laut nachrichtendienstlichen Informationen abtrünnige Staatsbürger nach Nordkorea entführt haben. Als die Nordkoreaner nachfragten, warum der Mitarbeiter nicht mehr in Wien arbeiten dürfe, sei ihnen vom Außenministerium beschieden worden, das wisse dieser "wohl selbst am besten", so der "Standard".

Seilbahn fürLuxus-Resort

Laut der Tageszeitung soll Nordkorea in den vergangenen Jahren versucht haben, in Österreich Bestandteile zu kaufen, die bei der Herstellung von Nuklearwaffen verwendet werden können. Aber auch Luxusgüter stehen laut "Bloomberg" auf der Einkaufsliste, darunter etwa Medizin und Alkohol. Im Jänner 2016 wurde zudem bekannt, dass ein gebrauchtes Seilbahnsystem eines Tiroler Unternehmens in einem nordkoreanischen Luxus-Skigebiet installiert wurde.

Ein weiterer Grund für Nordkoreas Interesse sind die in Wien ansässigen internationalen Organisationen, vor allem die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO). Hier sollen nicht nur Informationen beschafft werden. Laut "Bloomberg" sollen Spione auch verhindern, dass Diplomaten oder Wissenschafter zum Feind überlaufen. Denn immer wieder sind auch nordkoreanische Atomforscher in Wien anwesend.

"Alle möglichen ausländischen Dienste spitzen darauf, mit denen ins Gespräch zu kommen", berichtet Riegler. Ex-CIA-Agent Gene Coyle gab gegenüber dem britischen "Guardian" an, dass bei Konferenzen der IAEO in Wien wohl mehr Agenten als Wissenschafter anwesend seien. Diese würden vor allem versuchen, Forscher aus dem Iran und Nordkorea zu kontaktieren und zum Absprung zu bewegen.

Überwachung vonForschern und Diplomaten

Diplomaten und Wissenschafter werden von Agenten daher streng überwacht und an der kurzen Leine gehalten. Gegenüber "Bloomberg" berichtet der Nachrichtendienstoffizier von einem Vorfall, der sich in einem österreichischen Restaurant bei einem Essen nordkoreanischer Diplomaten zugetragen haben soll. Demnach stand ein Diplomat plötzlich auf und huschte davon. Ein weiteres Mitglied der Runde sprang auf und verfolgte ihn durch das Lokal. Dabei wollte der Mann gar nicht desertieren, vielmehr suchte er nur in aller Eile die Toilette auf.

Sollte nun durch Biden wieder Bewegung in die Gespräche über Nordkoreas Atomprogramm kommen, könnte die in Wien ansässige IAEO eine entscheidende Rolle spielen. Damit würden auch die diplomatischen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten in Wien ansteigen.