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Warum zur Eindämmung des Virus Wissen nicht reicht

Von Simon Rosner

Politik

Ein zu wenig beachteter Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie ist die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung. Sie ist in Österreich schwach ausgeprägt.


Als das Coronavirus Ende Februar offiziell in Österreich ankam, hieß es aus der Politik zunächst einmal: kein Grund zur Panik, und zwar wörtlich und so gut wie jeden Tag. Einmal erhöhte Innenminister Karl Nehammer sogar auf "überhaupt kein Grund zur Panik". Besondere Maßnahmen wurden zunächst nicht getroffen. Warum auch? Kein Grund zur Panik. Der Autor dieses Textes saß übrigens am 27. Februar in einem Flugzeug nach Berlin für einen kleinen Kurzurlaub. Warum auch nicht?

In Hongkong trat der erste Corona-Fall bereits am 23. Jänner auf. Auf den Agenturfotos der folgenden Tage sieht man vor allem: Masken. Beim Beten, bei der Neujahresfeier, im Geschäft, auf der Straße, ja sogar beim Protestieren gegen das chinesische Regime. Binnen eines Tages war das gesamte Land im Pandemiemodus.

Ein Grund für dieses Verhalten, das gar nicht verordnet war, geht auf ein Ereignis im Hongkonger Metropole Hotel im Jahr 2002 zurück. Ein Hochzeitsgast aus China hatte sich in einem Zimmer im neunten Stock einquartiert und erkrankte. Der Mann steckte de facto den gesamten Stock an, es handelte sich um Reisende, die daraufhin ein Virus auf alle Kontinente trugen. Es war der Beginn der Sars-Pandemie, die weltweit zu 750 Toten führte. Hongkong registrierte davon 300, der Hotelgast war einer davon.

Ein Jahr nach Beginn der zweiten Sars-Pandemie steht Österreich bei etwa 8.500 Todesfällen nach einer Covid-Erkrankung. Hongkong mit seinen rund 7,5 Millionen Einwohnern nur bei 200, weniger als vor 18 Jahren.

Experten betonen die Bedeutung der Health literacy

Im Kampf der einzelnen Länder gegen die Ausbreitung des Virus stehen die jeweiligen Maßnahmen und Regeln im Fokus der Debatte. Sollen die Schulen geschlossen werden? Welches Land agiert wie? Welche Beschränkungen sind wirksam? Bisweilen fußen die Argumente auf theoretischen Annahmen, die sich nicht immer mit der Realität decken. Erst dieses Jahr wurde diesem Aspekt mehr Beachtung geschenkt, etwa, als sich die Zahl der Kinder in den Schulen mehrte, die dorthin zur Betreuung geschickt wurden. Die Fernlehre verlor dadurch aber deutlich an Wirksamkeit.

Die Erfahrung, dass kontaktbeschränkende Maßnahmen bis hin zum Lockdown nur bedingt aus sich heraus wirken, haben fast alle Länder im Laufe der Pandemie gemacht. Auch Österreich registrierte im März 2020 eine viel stärkere Reduktion der Kontakte als beim Lockdown im Herbst.

Unstrittig ist, dass dabei die Akzeptanz eine Rolle spielt, aber nicht nur. Bereits im April 2020 machten Wissenschafter darauf aufmerksam, welche Rolle die sogenannte Health literacy für die erfolgreiche Bekämpfung einer Pandemie spielt. Auf Deutsch wird diese als Gesundheitskompetenz beschrieben, eine Übersetzung, mit der Robert Griebler von der Gesundheit Österreich GmbH "nicht ganz glücklich ist", wie der Soziologe mit Spezialgebiet Gesundheit sagt.

Unter Gesundheitskompetenz versteht man, vereinfacht gesagt, die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu verarbeiten, also Informationen zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und einschätzen zu können und sie auch auf die persönliche Situation umlegen zu können. Was bedeutet das für mich? Gesundheitskompetenz ist generell wichtig. Sie ermöglicht das richtige Lesen von Beipackzetteln von Medikamenten und deren korrekte Einnahme, sie fördert gesundheitsbewusstes Verhalten oder hilft, Gesundheitshinweise richtig zu deuten.

Der Unterschied zwischen Wissen und Verstehen

Der sarkastische Hinweis, dass Österreich im Vorjahr zu einem Volk der Virologen geworden sei, zielt auf das Wissen ab, das sich viele, vermeintlich oder tatsächlich, angelesen haben. "Es gibt aber einen Unterschied zwischen Wissen und Verstehen", sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am Institut für Höhere Studien (IHS). Ein Beispiel für diesen Unterschied ist das Tragen der Maske. Dass diese vor der Weitergabe des Virus schützt, ist ein sicher weitverbreitetes Wissen. Doch so, wie die Masken im Alltag teilweise getragen werden, offenbart sich doch ein mangelndes Verstehen dieser Maßnahme.

Was man aus einer EU-weiten Untersuchung in acht Ländern 2012 weiß: Österreichs Bevölkerung verfügt über eine vergleichsweise schlecht ausgeprägte Gesundheitskompetenz. Mehr als die Hälfte der Menschen weist eine inadäquate oder gar problematische Health literacy auf, nur Bulgarien schnitt schlechter ab.

Ist das vielleicht auch ein Faktor, weshalb Österreich mit einem hohen Schaden durch diese Pandemie schreitet? Es ist wohl nicht so trivial. Die Niederlande, die in der Studie damals am besten abschnitten, registrierten mehr Infektionen als Österreich, gemessen an der Bevölkerung. Andererseits gilt das Covid-Musterland Finnland, das an der Untersuchung damals nicht teilnahm, als echtes Vorbild in Sachen Gesundheitskompetenz, wie Griebler sagt. "Das hat dort Tradition, vor allem Kinder und Jugendliche schneiden dort sehr gut ab."

Gemeinsam mit dem Virus ist seit einem Jahr eine unglaubliche Informationsflut über die Menschen gekommen, darunter aber auch viele falsche Informationen und Deutungen in allen Schattierungen. Man muss nicht gleich an 5G-Verschwörungstheorien denken. "Die Fähigkeit, aus einer Vielzahl an Informationen die richtigen und wichtigen herausfiltern zu können, gewinnt [in einer Pandemie] umso mehr an Bedeutung", heißt es in einer Studie zur gesellschaftlichen Krisenresilienz des IHS aus dem Dezember. Czypionka ist einer der Mitautoren. In der Arbeit wird auch auf eine Studie aus Norwegen verwiesen, in der eine Korrelation zwischen Gesundheitskompetenz und dem Einhalten von Hygieneregeln bei Jugendlichen gezeigt wird.

Symptome werden falsch eingeschätzt

Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz und Österreich sah sich Griebler in einer noch unveröffentlichten Studie die spezifische Corona-Kompetenz der österreichischen Bevölkerung an. "Insgesamt ist sie nicht so schlecht ausgeprägt", sagt er. "Vermutlich, weil so viele und dichte Informationen wie nie zuvor über alle Kanäle kamen." Am besten waren die Werte bei der Selbstprävention, also wie man sich vor einer Ansteckung schützt. Schon etwas weniger, wie man andere schützt, und deutlich schwächer ausgeprägt war die Kompetenz beim Erkennen von Symptomen. "Es ist aber auch ein diffuses Symptombild."

Covid-19 kann mit sehr allgemeinen Symptomen beginnen, vom Kopfweh bis zu einem generellen Krankheitsgefühl wie bei Erkältungserkrankungen. Es ist ein Grund für den Erfolg dieses Virus, da sich Infizierte bei solchen eher unspezifischen Symptomen oft nicht selbst isolieren, sondern eher an andere Ursachen denken. Umso entscheidender für einen wirksamen Kampf gegen die Pandemie ist das richtige Deuten der Symptome.

Ist die Gesundheitskompetenz stärker ausgeprägt, erlaubt dies auch eine präzisere Kommunikation. Im anderen Fall muss, äquivalent zur "Leichten Sprache", eine inhaltliche Reduktion vorgenommen werden, um Informationen transportieren zu können. Das kann zu Auslassungen führen, die vielleicht doch auch wichtig sind. Griebler verweist dazu auf anerkannte Leitlinien für evidenzbasierte Gesundheitsinformationen. Kriterien sind hier etwa die Zielgruppenorientierung, der Einsatz von Grafiken, Bildern und von Narrativen, jedenfalls aber eine Einbeziehung der Zielgruppe beim Erstellungsprozess. "Es gibt einen wichtigen Grundsatz: Es soll für Menschen mit Menschen gemacht werden."

Kommunikation für Akzeptanz wichtig

In Österreich wurde zwar im März der Babyelefant geboren, der seinen Zweck wohl erfüllte, darüber hinaus bediente sich die Bundesregierung aber kaum dieser Leitlinien. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums wurden zwar schon früh Seiten eingerichtet, auf denen allerlei Fragen, die auch per E-Mail eingingen, beantwortet wurden, doch diese Form der Kommunikation ist mittlerweile eher altbacken.

Social Media spielen längst eine überragende Rolle. "Wir müssen spätestens mit der Pandemie zur Kenntnis nehmen, dass diese Infoquellen zu den wichtigsten zählen", sagt Griebler. Diese Medien sind allerdings auch Hort vieler Falschinformationen, die nicht als solche erkannt werden. Wobei es eben nicht nur darum geht, zu kommunizieren, was die Menschen tun sollen, sondern auch, wie und warum man es tun sollen. Es geht eben ums Verstehen, nicht nur um das nackte Wissen.

Je stärker ausgeprägt das Verstehen ist und präziser die Risikokommunikation sein kann, desto höher ist auch die Akzeptanz für die Maßnahmen, die wiederum für eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung zentral ist. Österreich hat hier Aufholbedarf. Deutschland leistet sich eine "Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung", so etwas gibt es in Österreich nicht. Die Stelle entwickelt Piktogramme, Videos und andere Materialien für spezifische Gruppen wie Kinder und chronisch Kranke.

In Österreich wurde der "Babyelefant" zum "Wort des Jahres", die millionenschwere Werbekampagne wurde auch ausgezeichnet, leider ist der Babyelefant, wie Studien ab Sommer belegten, oftmals zu klein. Der Corona-Abstand wuchs im Jänner auf zwei Meter. "Der Babyelefant wurde erwachsen", sagte Minister Rudolf Anschober. Seither ward der Elefant nicht mehr gesehen.