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Gefährlich krank

Von Petra Tempfer

Politik
Der Weg von der Psychiatrie in den Maßnahmenvollzug ist oft kurz.
© adobe.stock / pogonici

Damit ein Mord wie am Brunnenmarkt 2016 nicht noch einmal passiert, ist eine Gesetzesreform zur Unterbringung psychisch Kranker in Begutachtung. Sie ist laut Experten aber nicht unbedingt gelungen.


Er war psychisch krank und vorbestraft: Als in der Nacht auf den 4. Mai 2016 eine 54-Jährige beim Wiener Brunnenmarkt mit einer Eisenstange erschlagen wurde, war der Täter kein Unbekannter. Der damals 21-jährige Obdachlose hatte schon mehrere Male davor Passanten mit einer Eisenstange angegriffen und war dem Jugendamt, der Polizei und der Justiz vertraut. Mittlerweile wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingeliefert, das Urteil ist rechtskräftig. Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen zufolge hatte er seit Jahren an einer schweren paranoiden Schizophrenie gelitten. Von der Polizei soll er bereits öfters in psychiatrische Abteilungen gebracht worden sein.

Seit damals beschäftigt daher eine drängende Frage die Justiz: Hätte dieser Mord verhindert werden können? Bereits unmittelbar danach legte eine vom damaligen Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eingerichtete Sonderkommission Vorschläge dazu vor. Die Behörden sollten besser zusammenarbeiten, hieß es damals. Im Februar dieses Jahres hat das Justizministerium nun einen Gesetzesentwurf zur Reform des Unterbringungsgesetzes (UbG) auf den Weg gebracht, dessen siebenwöchige Begutachtungsfrist derzeit läuft und am 19. April endet. Das UbG regelt die Aufnahme und Behandlung psychisch Kranker in der Psychiatrie. Die Empfehlungen der sogenannten Brunnenmarktkommission seien eingeflossen, so das Ministerium.

Ziele der Reform sind laut Entwurf, die "Zusammenarbeit aller Akteurinnen/Akteure" zu verbessern, deren Aufgaben zu klären und vor allem im Umgang mit sensiblen Daten Rechtsklarheit zu schaffen. Im Abschlussbericht der Brunnenmarktkommission wurde zum Beispiel bemängelt, dass der fehlende Informationsfluss zwischen den Behörden zum Teil dem Datenschutz geschuldet war.

"Vorgaben für Daten zu eng"

Diesem Thema ist im Gesetzesentwurf besonderes viel Raum gewidmet. Der lückenlose Informationsaustausch sowie die Kooperation der beteiligten Stellen stehen im Fokus. Künftig soll für jede Berufsgruppe genau geregelt werden, wann wer welche Daten mit welchem Zweck weitergeben darf - und soll. "Ist eine Gefährdungslage gegeben, dann soll zum Beispiel die Exekutive von der Entlassung informiert werden", konkretisiert Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft des VertretungsNetzes, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". In der Praxis bedeute das: "Wenn etwa zum Zeitpunkt, wenn ein zwangsweiser Psychiatrieaufenthalt beendet wird, eine Wegweisung gegen einen Mann vorliegt, ist im Entwurf geregelt, dass die Psychiatrie die Polizei von der Entlassung informiert", so Rappert. Laut Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung, ist die bessere Durchlässigkeit für Informationen allerdings nicht uneingeschränkt gelungen. Denn die Vorgaben für die Datenspeicherung und -einsicht sowie für die Vernetzung von Polizeibehörden, Gerichten und Staatsanwaltschaften seien zu eng gefasst.

Mit dem UbG soll jedenfalls auch der Tatsache, dass Täter wie der 21-Jährige vom Brunnenmarkt bereits als Jugendliche aus dem System gefallen sind, entgegengewirkt werden: Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass im Zuge der Abklärung der Unterbringungsvoraussetzungen für die Psychiatrie der Jugendliche, seine Familie und sein Lebensraum kennengelernt werden. Auch der Jugendhilfeträger soll mitunter beigezogen werden, um zu klären, in welcher Form man einer Selbst- und/oder Fremdgefährdung vorbeugen kann. Neu und in gewisser Weise ein Paradigmenwechsel ist, dass Minderjährige künftig selbst bestimmen sollen, ob sie freiwillig untergebracht werden, und nicht der Erziehungsberechtigte.

Besserer Rechtsschutz

Ein wesentlicher Punkt der Reform ist nämlich auch, die Rechte der psychiatrischen Patienten zu stärken. "Die zwangsweise Durchführung einer Heilbehandlung gibt es nur auf der Psychiatrie", sagt dazu Rappert. "Hier wird der Rechtsschutz verbessert."

Rappert hält den Gesetzesentwurf grundsätzlich für gelungen, "weil im Vorfeld alle Beteiligten eingebunden waren". In der Praxis ist es so, dass, wenn zum Beispiel jemand auf der Straße psychisch auffällig und die Polizei gerufen wird, der Amtsarzt diesen gegen dessen Willen in die Psychiatrie einweisen kann. Auf dieser entscheidet der zuständige Arzt, ob er gegebenenfalls auch gegen seinen Willen aufgenommen wird. "Eine solche zwangsweise Anhaltung dauert durchschnittlich zehn Tage lang, viele bleiben danach noch freiwillig auf der Station", sagt Rappert. Im Vorjahr seien österreichweit 24.616 Unterbringungen ausgesprochen worden. Seit den 90er-Jahren habe sich diese Anzahl etwa verdreifacht.

"Personalressourcen fehlen"

Gabriele Wörgötter, Psychiaterin und Gerichtsgutachterin, ist indes im Gegensatz zu Rappert von der Reform nicht überzeugt. "Die Änderungen werden in der Praxis nichts bringen", meint sie. Denn: "Die Personalressourcen fehlen." Eine Aufstockung sei im Entwurf nicht vorgesehen - womöglich mit ein Grund, warum das Finanzministerium in seiner Stellungnahme keinen Einwand gegen diesen erhebt.

Auf den Psychiatrien herrscht laut Wörgötter allerdings schon jetzt "enorme Personalknappheit". Die Akutversorgung sei gerade noch gewährleistet, für soziale Vernetzungskonferenzen und aufwendige Besprechungen zu einzelnen Patienten sei aber keine Zeit.

Der Weg von der Psychiatrie in den Maßnahmenvollzug sei daher kurz - und werde häufig beschritten. "Zu viele begehen nach ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie im Zuge ihrer Erkrankung eine Straftat und landen im Maßnahmenvollzug", sagt Wörgötter. Das müsse nicht immer ein Mord wie jener vom Brunnenmarkt sein. Auch Widerstand gegen die Staatsgewalt ist im strafrechtlichen Sinn eine Anlasstat. Die Psychiatrien müssten daher mit deutlich mehr Personal ausgestattet werden.

Forsthuber geht noch einen Schritt weiter. In seinen Augen wäre die Gesetzesreform nur dann ein großer Wurf geworden, wenn bei erheblich fremdgefährlichen Personen ein Lückenschluss zum Maßnahmenvollzug geglückt wäre: indem eine nachhaltige Therapie mit einem ambulanten Behandlungs- und Betreuungskonzept auch nach der Entlassung aus der Psychiatrie gesetzlich verankert worden wäre. "Das ist aber leider nicht versucht worden", sagt Forsthuber. Es sei daher weiterhin oft nur eine Frage der Zeit, wann ein aus mehreren fruchtlosen, kurzen Unterbringungen Entlassener eine Anlasstat begehe und in den Maßnahmenvollzug komme. Das UbG schränke zwar die Freiheit der Patienten ein, diene aber deren Schutz, sagt auch Wörgötter, "um nicht in der Maßnahme zu landen". Diese ist nämlich die nächste Baustelle und seit Jahren überlastet: Eine Reform des Maßnahmenvollzugs ist seit 2014 geplant.