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"Lückenschluss bei Maßnahmenvollzug nicht geglückt"

Von Petra Tempfer und Karl Ettinger

Politik

Bei erheblich fremdgefährlichen Personen gebe es trotz Reform kein Auffangnetz, kritisiert Strafrechtsexperte Friedrich Forsthuber. Zudem brauche es Geld, Personal und mehr Platz.


Psychiatrisch behandeln statt lebenslang wegsperren: Das ist das Credo der geplanten Neuregelung des Maßnahmenvollzugs für psychisch kranke Straftäter. Justizfachleute begrüßen diese jedoch nur bedingt.

Das Netzwerk Kriminalpolitik etwa, dem unter anderen die Richtervereinigung, die Opferhilfsorganisation Weißer Ring und Strafrechtsexperten angehören, unterstützt grundsätzlich die vorgesehene Änderung bei Einweisungen. Jene Straftäter, von denen keine dauerhafte Gefahr ausgeht, sollen künftig in psychiatrischen Abteilungen von Spitälern behandelt werden.

Eine Sonderhaft von bis zu zehn Jahren für terroristische Rückfalltäter, die ebenfalls vorgesehen ist, wird allerdings als "unangebracht" abgelehnt. Und: Die angestrebte Reform stehe und falle mit mehr Geld und Personal, heißt es in deren Stellungnahme. Ohne eine finanzielle, personelle sowie räumliche Aufstockung könne sie nicht funktionieren, sagt auch Friedrich Forsthuber, Präsident des Wiener Straflandesgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung, zur "Wiener Zeitung". Zudem sei aber vor allem der Lückenschluss zwischen Unterbringung und Maßnahmenvollzug nicht geglückt.

Auch Psychiatrien überlastet

Die Idee hinter dem ersten Reformpaket für den Maßnahmenvollzug, das Justizministerin Alma Zadic (Grüne) und Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nach jahrelangen Verzögerungen in Begutachtung geschickt haben, ist denkbar einfach: Werden künftig nur Rechtsbrecher mit psychischen Erkrankungen, von denen längerfristig eine Gefahr für die Gesellschaft ausgeht, sowie all jene mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe weiterhin weggesperrt, wird der massiv überlastete Maßnahmenvollzug entlastet.

Denn die anderen Rechtsbrecher sollen im Gesundheitssystem in psychiatrischen Abteilungen behandelt werden. Konkret ist vorgesehen, dass diese künftig unter das Unterbringungsgesetz (UbG) fallen, dessen Gesetzesentwurf zur Reform im Februar dieses Jahres auf den Weg gebracht wurde, und die nun schon im Parlament vorliegt. Auch für Straftaten, bei denen zwar mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe droht, die aber dennoch zur Kategorie "leichte Delikte" gehören, soll künftig das UbG gelten.

So einfach ist diese Rechnung dann aber doch wieder nicht, sagt Forsthuber. Denn auch die Psychiatrien seien enorm überlastet, in denen Betroffene nach dem UbG durchschnittlich zehn Tage lang zwangsweise akut angehalten werden. Im Vorjahr seien österreichweit 24.616 Unterbringungen ausgesprochen worden, präzisiert Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft des VertretungsNetzes. In den vergangenen 30 Jahren habe sich diese Anzahl etwa verdreifacht.

Der Weg von der Psychiatrie in den Maßnahmenvollzug sei generell kurz, so Forsthuber. Viele begehen nach ihrem Aufenthalt in der Psychiatrie im Zuge ihrer Erkrankung eine Straftat und landen dann erst recht im Maßnahmenvollzug. Forsthubers Kritik am Reformpaket lautet daher: Bei erheblich fremdgefährlichen Personen habe man die Lücke zwischen Unterbringung und Maßnahmenvollzug nicht geschlossen. "Es muss ein Auffangnetz geben", sagt er. Der Bedarf an einer gesetzlich verankerten, therapeutischen Nachbetreuung mit einem ambulanten Behandlungs- und Betreuungskonzept auch nach der Entlassung aus der Psychiatrie sei nach wie vor dringend.

"Sanierungsbedarf hoch"

Im Maßnahmenvollzug sind derzeit mehr als 1.300 Menschen untergebracht. Auch diese Zahl hat sich laut Forsthuber verdreifacht - und zwar erst in den vergangenen 20 Jahren. Wie viele von diesen künftig unter das UbG fallen, lasse sich nicht konkret sagen. Der Platz wird jedenfalls da und dort immer knapper. Zuletzt wurden in der Justizanstalt Wien-Josefstadt - die ohnehin überbelegt ist - wegen Ressourcenmangels als Außenstelle für Göllersdorf noch 60 weitere Plätze geschaffen. Gleichzeitig sei der Sanierungsbedarf ungebrochen hoch: "Wir haben Wasserschäden, Toiletten, die saniert gehören, veraltete Leitungen und keine Brandmelder im alten Gerichtsgebäude", zählt Forsthuber auf. Die letzte Sanierung liege rund 30 Jahre zurück.

Dass es personelle und finanzielle Verbesserungen geben soll, hat Justizministerin Zadic am Mittwoch nach dem Ministerrat zumindest zugesichert. Insgesamt sollen für gefährliche, psychisch kranke Straftäter 200 Therapieplätze zusätzlich geschaffen werden - das sei jedoch erst Teil eines zweites Reformpakets zum Strafvollzug, dessen Eckpunkte in der Regierungssitzung beschlossen wurden.

Im Budget seien dafür bereits zusätzliche Mittel vorgesehen. Konkret kündigte die Ressortchefin auch den Ausbau der Justizsonderanstalt Göllersdorf in Niederösterreich an. Diese Anstalt werde mit einer Summe von 75 Millionen Euro zu einem forensisch-therapeutischen Zentrum im Zuge der Reform des Maßnahmenvollzugs ausgebaut. Gemeinsam mit dem Zentrum in Asten bei Linz würden für den Ausbau insgesamt 140 Millionen Euro aufgewendet, sagte sie. Außerdem werde es mehr Betreuer geben, eine Anzahl nannte sie dabei nicht. Auch für eine ausreichende Nachbetreuung soll gesorgt werden, so Zadic.

Die Justizministerin kündigte zudem Verbesserungen beim Rechtsschutz an. Künftig werde innerhalb der Frist von einem Jahr entschieden, ob jemand weiter im Maßnahmenvollzug bleibt oder nicht. Bisher haben sich derartige Entscheidungen viel länger hingezogen.

Mangel an Sachverständigen

Die Gefährdungseinschätzung beginne bereits bei der Festnahme durch die Polizei, sagt dazu Forsthuber. Im Unterbringungsverfahren entscheidet bei akuter Selbst- oder Fremdgefährlichkeit der Amtsarzt über eine allfällige Einweisung in die Psychiatrie. Dort liege es am Arzt, ob der Betroffene auch gegen dessen Willen aufgenommen wird. Auf eine Straftat folgt ein Gerichtsverfahren, die Entscheidung über das weitere Vorgehen liegt dann bei Staatsanwaltschaft und Gericht, nachdem Sachverständigengutachten eingeholt wurden.

Schon jetzt gebe es zu wenige qualifizierte Sachverständige, so Forsthuber. Der Grund dafür sei unter anderem die schlechte Bezahlung. Für einen psychiatrischen Befund bekommen Sachverständige je nach Gerichtssprengel pauschal meist 116,20 Euro, in einigen Fällen 195,40 Euro. Auch hier kündigte Zadic Verbesserungen an. "Wir haben das System für die Sachverständigen geändert", sagte sie am Mittwoch. "Es gibt jetzt eine bessere Entlohnung: und zwar auf Stundenbasis."