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Kleine Eiszeit wegen Klimaerwärmung

Von Simon Rosner

Politik

Die Koalitionspartner krachten wieder einmal aneinander. Aber es ist wohl halb so schlimm. Vermutlich. Eine Analyse.


Der Streit in der Sozialdemokratie, der mit einem Geheimtreffen zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil in "Camp Peter" in Kärnten vorerst befriedet wurde, ist recht nahtlos in einen offenen Konflikt der beiden Regierungsparteien ÖVP und Grünen übergegangen. Nun sind Meinungsverschiedenheiten in der Politik nicht außergewöhnlich und in einer Koalition zweier sehr unterschiedlicher Parteien noch weniger. Und Türkis und Grün haben sich zudem bewusst dafür entschieden, nach außen hin ein Nebeneinander zu leben. Und doch ist rund um das Thema Klimawandel jetzt etwas passiert.

Bisher war das Migrationsthema die größte Bruchstelle, für die sogar erstmals ein koalitionsfreier Raum im Nationalrat eingerichtet worden war. Er wurde bisher noch nicht wirklich betreten, was auch daran liegt, dass die ÖVP alle für sie wichtigen Entscheidungen in diesem Bereich autark treffen konnte: keine Aufnahme von Kindern aus Lesbos, kein Abschiebe-Stopp.

Auf der anderen Seite nutzten die Grünen die Option, um es der ÖVP, speziell Innenminister Karl Nehammer, reinzusagen. Inhaltlich ändern konnten sie nichts, es blieb ihnen daher nur, der aufgeregten grünen Wählerschaft rhetorische Ventile anzubieten. "Unmenschliche Kälte", ortete etwa der grüne Abgeordnete David Stögmüller bei Nehammer. So hatten zwar auch Rote und Schwarze während der großen Koalition manchmal über einander gesprochen, aber nicht öffentlich.

In Sachen Klimaschutz sind die Vorzeichen andere. Es sind die Grünen, die an einigen, aber nicht allen Stellhebeln sitzen. Vor allem Finanzminister Gernot Blümel von der ÖVP schaltet mit. Ohne Geld gibt es keine Investitionen für den Klimaschutz. Doch diese Investitionen gibt es, genauso wie ein neues Ökostrom-Gesetz, auch wenn es eine schwere Geburt war. Das 1-2-3-Ticket, das den öffentlichen Verkehr speziell für Pendler günstiger machen sollte, ist in Umsetzung und eine CO2-Steuer wurde für 2022 zumindest hoch und heilig versprochen.

Die türkise Seite der Macht mag bisher nicht als radikale Eingreiftruppe gegen den Klimawandel aufgefallen sein, aber eben auch nicht als deren Gegenteil. ÖVP-Chef Sebastian Kurz blieb selbst stets vage in seinen Aussagen, das Programm der Volkspartei wurde unter ihm aber zweifellos etwas grüner, auch wenn das nicht sehr schwer war. Elisabeth Köstinger, einst Präsidentin des Ökosozialen Forums Europa, richtete als Umweltministerin eine eigene Klimasektion ein, die nun unter Leonore Gewessler an der Spitze unverändert weiter werkt. In der Koalition mit der FPÖ war das Thema Klimawandel präsent, ebenso beim EU-Ratsvorsitz Österreichs 2018.

Was nicht im Regierungsprogramm steht

In den vergangenen Tagen sind die beiden Regierungsparteien aber in einen Konflikt gestolpert, der Kurz zu Aussagen veranlasste, die man nicht nur als Affront dem Koalitionspartner gegenüber verstehen konnte, sondern seine bisher uneindeutige Linie beim Klimaschutz scharf zog. Und zwar in einer Art, die überraschte, weil sie in der Tonalität das bisherige Wirken von Türkis doch konterkariert; und die auch unter konservativen Politikern in der EU nicht mehr vorherrscht. Dass Klimaschutz in die "Steinzeit" führe, wie das der Kanzler in Richtung Grünen insinuierte, beantwortete etwa EU-Kommissionschefin Ursula Van der Leyen am Wochenende in Salzburg lapidar mit "Nein".

Der Anlass des Streits ist fast nichtig. Vielleicht sagt er auch mehr über das aktuelle Verhältnis zwischen Bundes-ÖVP und den Länderorganisationen aus als über Türkis/Grün. Dass bei beschlossenen Straßenprojekten geprüft wird, ob sie die Klima-Ziele von Paris gefährden, ist logischer Ausfluss der recht allgemein gehaltenen Formulierungen im Regierungsprogramm zum Umbau des Mobilitätssektors.

Manchmal ist es aber auch interessant, was eben nicht im Regierungsprogramm steht. Und das ist die Anmerkung, dass bereits beschlossene Projekte ausgenommen sind. Das wurde nicht einfach vergessen. Die Straßenprojekte, die nun Stein des Anstoßes sind, wurden thematisiert, ÖVP und Grüne fanden aber nicht zusammen. Also wird eben evaluiert - wie insgesamt 150 Mal im gesamten Regierungsprogramm.

Es wird mühsamer, aber es geht noch

Dass die (schwarzen) Länder nun anlässlich der Prüfungen der Autobahnen beim Kanzler wieder vorstellig werden, ist klar. Und Kurz hat gar nicht erst versucht, hier den Mittler zu geben. "Es ist ein demonstrativer Schulterschluss mit den Ländern", sagt der Politologe Peter Filzmaier. Dass geht nun aber zulasten des Klimas in der Koalition, die am Mittwoch einen Ministerrat in Reichenau an der Rax abhält. Es geht dabei aber vor allem um das Corona-Management, wo es zuletzt jedoch auch geknirscht hat, ehe doch eine Lösung gefunden wurde. Und das ist gegenwärtig der Stand der Dinge in der Koalition: Es ist mühsam, es geht schleppend und nicht ohne wechselseitige Fouls- aber es geht.

Gewessler wird auch nicht alle Projekte stoppen. Vizekanzler Grünen-Chef Werner Kogler sagte im Sommergespräch mit Puls 4 am Montag: "Es wird Projekte geben, die gebaut werden, in vielen Bereichen gibt es aber schnellere, günstigere und naturschonendere Lösungen". Welche Projekte, erklärte Kogler auf Sendung nicht.

Kommunikation mit klarer Stoßrichtung

Die Grünen sind aber nicht die einzigen Gegner dieser Projekte, auch auf lokaler Ebene gibt es diese, oft auch parteiübergreifend. Generell ist der Klimaschutz für die ÖVP ein heikles Feld. Dass die Linie der Partei bisher unscharf gezogen war, ist wohl nicht einfach so passiert, sondern war gewollt. "Die Kompromissfindung ist nun eingeschränkt", sagt der Politologe Peter Filzmaier. Und das gilt nicht nur für Kompromisse innerhalb der Regierung.

Bei der vergangenen Nationalratswahl, erzählt er, war der Klimaschutz unter Grün-Wählern zwar von überragender Bedeutung, aber auch bei jenen der ÖVP nicht unter ferner liefen, sondern im vorderen Mittelfeld zu finden. Das erdachte Match Wirtschaft versus Klimaschutz ist ebenso eine Verkürzung. Es gibt viele Unternehmen, die von Investitionen in den Klimaschutz profitieren, abgesehen davon ist die Sorge vor den Folgen der Klimaerwärmung generell breit gestreut.

Die Aussagen des Kanzlers waren allerdings auch keine grundsätzliche Absage an den Klimaschutz. Sonst hätte auch kaum Köstinger vor Jahren darüber jubilieren können, dass Strohhalme und Teller aus Plastik auf Initiative Österreichs hin abgeschafft wurden. Der "Steinzeit"-Sager war wohl als Signal an jene gedacht, deren Angst vor Verzicht, vor allem auf das (Benzin-)Auto, größer ist als die Sorge vor der Erderwärmung. In Wählerstimmen gerechnet, und diese stellen immer noch die harte Währung in der Politik dar, kann dieser Weg für die ÖVP durchaus lukrativ sein, vor allem im ländlichen Raum.

Im städtischen Umfeld könnten Stimmen an die Neos wandern, die beim Klimaschutz den Grünen näherstehen. Der ungleich größere Pool ist aber jener mit den blauen Stimmen. Rund 250.000 ehemalige FPÖ-Wähler stimmten 2019 für Kurz, noch einmal so viele wählten gar nicht. Gewinnt die ÖVP dort mehr, als sie an die Neos verliert, gehe die Rechnung auf, sagt Filzmaier.