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Wie man durch Anstupsen gesellschaftlichen Nutzen schafft

Von Christina Sauprigl

Politik

Die Impfquote stagniert. Die Verhaltensökonomie könnte hier Impulse liefern, seit 2018 gibt es in Österreich dafür auch eine eigene Forschungsgruppe.


Die Zahl der Erstimpfungen sinkt seit Wochen. Zuletzt waren es nur mehr ein paar tausend pro Tag. Aktuell haben etwa 60 Prozent der österreichischen Bevölkerung zumindest eine Corona-Schutzimpfung erhalten. Den Zahlen des Austria Corona Panel der Universität Wien zufolge würden sich aber 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung durchaus impfen lassen. Darüber, dass eine hohe Durchimpfungsrate nötig ist, um die Pandemie zu stoppen, sind sich Experten einig.

Bis zum Herbst gilt es also, jenen Teil der Bevölkerung, der noch ungeimpft ist, eine Impfung jedoch nicht völlig ablehnt, von dieser zu überzeugen. Durch Impfungen ohne Terminvereinbarung, in Bussen, auf einem Boot, in Einkaufszentren oder bei Veranstaltungen versuchte man in den vergangenen Wochen, den Zugang zum Impfen so einfach wie möglich zu gestalten. Auch Forderungen nach einem Ende von Gratistests für Personen, die sich ohne nachvollziehbaren Grund nicht impfen lassen wollen, werden lauter. Auch das kann man als Anreiz verstehen, sich impfen zu lassen.

Verhaltensökonomie in der Politikberatung

Wie man Menschen motiviert und wie sie Entscheidungen treffen, ist Schwerpunkt der Verhaltensökonomie. In Österreich befasst sich die Forschungsgruppe Insight Austria am Institut für Höhere Studien (IHS) mit diesen Fragen. Gegründet wurde sie 2018 vom derzeitigen Arbeitsminister Martin Kocher (damals Direktor des IHS), der ehemaligen Familienministerin Sophie Karmasin und Clemens Wallner, dem Präsidenten des industrienahen Instituts EcoAustria.

Hintergrund der Gründung war für die Meinungsforscherin Karmasin der Gedanke, dass in der Politikgestaltung neben Verboten auch wissenschaftlich fundierte verhaltensökonomische Maßnahmen wirksam sein können. Für diese hätte es in Österreich aber in ihrer Zeit als Ministerin (von 2013 bis 2017) noch zu wenig Bewusstsein gegeben, deshalb sah sie eine Notwendigkeit für verhaltensökonomische Expertisen. Sie installierte damals einen Beirat aus vier Verhaltensökonomen, zu denen auch Kocher gehörte. Seit Juli verfügt nun auch Arbeitsminister Kocher über einen solchen Beirat. In diesem sitzt jetzt wiederum Karmasin. Das Beratungsgremium beschäftigt sich unter anderem mit Anreizen für Betriebe, Weiterbildungen ihrer Arbeitskräfte zu fördern.

In vielen anderen Staaten ist eine verhaltensorientierte Politikgestaltung mithilfe von "Nudging"-Einheiten schon seit Jahren gang und gäbe. Sie forschen zum Verhalten der Bürgerinnen und Bürger und schlagen den Regierungen Vorgehen vor, um Menschen zu einem gewünschten Verhalten "anzustupsen". Geschehen soll das möglichst ohne Verbote, sondern eben durch Anreize.

Ziel von Insight Austria ist es, vor allem Politik und Verwaltung zu unterstützen. Schwerpunkte sind Themen wie Umwelt, Familie und Digitalisierung, zum Beispiel Mülltrennung, Sauberkeit im Gemeindebau, die Motivation von Männern zur Karenz oder das Unterbinden von Hass-Kommentaren im Internet. Im Vordergrund steht dabei stets der gesellschaftliche Nutzen, dem bei den oben genannten Beispielen oft individuelle Kosten entgegenstehen. Zum nächsten Glascontainer zu gehen, ist beispielsweise ein höherer Aufwand, als die Flaschen einfach im Restmüll zu entsorgen.

Dabei arbeitet die Forschungsgruppe sowohl für Ministerien, wie etwa das Wirtschaftsministerium, als auch für staatsnahe Einrichtungen und Unternehmen. Das Finanzministerium und das Familienministerium sind Partner der Forschungsgruppe. Auch für das Land Niederösterreich und die Stadt Wien führte Insight Austria Projekte durch. Beispielsweise habe man zu Beginn der Pandemie die Stadt Wien über die Vermeidung des Entstehens von größeren Menschenansammlungen durch gezieltes Lenken von Personenströmen beraten. Einige der Ratschläge wurden umgesetzt. Für das Land Niederösterreich wurde untersucht, wie Zufußgehen und Radfahren als Formen aktiver Mobilität in der Bevölkerung gefördert werden können.

Erhöhung der Impfrate durch Anstupsen

An einer Beratung der Bundesregierung zur Erhöhung der Impfbereitschaft in der Bevölkerung wäre man von Seiten der Forschungsgruppe interessiert, wie man im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" beteuert. Das IHS hat sich bereits in der Vergangenheit mit der Frage beschäftigt, welche Maßnahmen aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht in der Pandemiebekämpfung notwendig wären. Im Zusammenhang mit einer hohen Impfrate wurde unter anderem vorgeschlagen, klar zu kommunizieren, welche positiven Folgen die Impfung für die Bevölkerung hat und den Zugang zu Impfungen so einfach wie möglich zu gestalten.

Auch Prominente und Personen des öffentlichen Lebens, mit denen sich spezifische Zielgruppen identifizieren können und die als kompetent und vertrauenswürdig wahrgenommen werden, sollten in die Kommunikation eingebunden werden, heißt es von Insight Austria. Durch eine Information über die Anzahl der Impfteilnehmer in der Region, der Gemeinde oder auch diversen Bevölkerungsgruppen könnte außerdem eine soziale Norm etabliert werden, die Personen dazu motiviert, sich impfen zu lassen.

Noch ist ein substanzieller Teil der Bevölkerung ungeimpft, der sich aber prinzipiell impfen lassen würde. Die verantwortlichen Bundesländer versuchen derzeit mit diversen Impfaktionen, diese Menschen anzusprechen. Seit Donnerstag kann man sich in Wien etwa auch im Stephansdom impfen lassen. Manche dieser Aktionen fruchten, andere sind weniger erfolgreich. Zur Durchführung möglichst effektiver Maßnahmen könnte die Verhaltensökonomie einen Beitrag leisten.