Zum Hauptinhalt springen

Was das Volk begehrt

Von Martina Madner

Politik

Soziale und rechtsstaatliche Anliegen vermischen sich zunehmend mit solchen von Trittbrettfahrern.


Neben den vier Volksbegehren zur "Notstandshilfe", "Kauf Regional", "Impfpflicht: Notfalls JA" und "Impfpflicht: Striktes NEIN", für die vom 20. bis 27. September bereits die Eintragungswoche läuft, sammeln im Moment weitere 26 Initiativen Unterstützungserklärungen. Seit der Wahlrechtsreform 2016 zählt jede Unterschrift genauso wie das Zeichnen in der Eintragungswoche. Per elektronischer Handysignatur ist es auch einfacher geworden.

Deshalb häufen sich die Anliegen, mit denen das Volk an die Gesetzgebenden herantritt. Neben zahlreichen sozialen und rechtsstaatlichen Anliegen, finden sich darunter auch Trittbrettfahrer und Forderungen von Corona-Schwurblern, die mit haarsträubenden Falschinformationen argumentieren.

Prominenz ist zwar hilfreich, aber kein Garant für Erfolg

Prominenz jener, die Volksbegehren initiieren, umfangreiche PR, der oft mediale Berichterstattung folgt, sind klarerweise genauso hilfreich für den Erfolg, wie konkrete gut begründete Forderungen - so zum Beispiel das "Rechtsstaat- und Antikorruptionsvolksbegehren". Der Gruppe an Juristinnen und Juristen rund um den früheren Leiter der Internationalen Antikorruptionsakademie Martin Kreutner ist es gelungen, seit Ende Juni bereits mehr als 40.000 Unterstützungserklärungen zu sammeln. Die 8.401 notwendigen für die Eintragswoche sind damit längst deutlich überschritten. Ziel sind 100.000 Wahlberechtigte, damit die Anliegen im Parlament behandelt werden.

Obwohl man auf einem guten Weg ist, gibt es ein Problem. Gleichzeitig wurde mit "Unabhängige Justiz sichern" ein zweites, thematisch ähnliches Volksbegehren aufgelegt. "Wir hören immer wieder von Menschen, die versehentlich das falsche gezeichnet haben", heißt es von den Proponenten des Antikorruptionsvolksbegehrens. "Wir kennen die Initiatoren nicht, wissen nicht, ob das bewusst auf eine Verwechslung angelegt ist, es könnte aber sein". Eine solche schade eher, weil damit Unterschriften für das eigene Begehren verloren gehen könnten.

Die Namen der Bevollmächtigten werden laut Innenministerium, wie seit 1973 gesetzlich geregelt, erst mit der Eintragungswoche veröffentlicht - "auch aus datenschutzrechtlichen Gründen". Solange sie Unterstützungserklärungen sammeln, können sie auch anonym bleiben. Verwechslungsgefahr besteht deshalb auch zwischen dem Volksbegehren für ein "Lieferkettengesetz" und der Initiative von Bürgerinnen und Bürgern dazu. Auch wenn das Anliegen, ein Gesetz, damit internationale Konzerne sicherstellen, dass ihre Tochterfirmen, Produzenten und Zulieferer nicht gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen, das Gleiche ist, stellt Veronika Bohrn Mena, eine der Sprecherinnen der Initiative, klar: "Wir können es durchaus unterschreiben, aber es ist nicht von uns. Volksbegehren sind bei Themen, die etabliert sind, erfolgreich - Frauen, Klimaschutz oder Tierschutz zum Beispiel. Es gibt noch zu viele, die nicht wissen, was ein Lieferkettengesetz ist, deshalb machen wir unsere Kampagne."

Auf eine bekannte Forderung setzt das Volksbegehren "Arbeitslosengeld rauf!" - und zwar die Nettoersatzrate für die Bemessung des Arbeitslosengeldes auf wenigstens 70 Prozent zu erhöhen und Zumutbarkeitsbestimmungen zu entschärfen. Das lässt sich vom Proponenten und Sozialstaatsexperten Emmerich Tálos einfach begründen: "Die Frage der materiellen Absicherung von Arbeitslosen spitzt sich in der Pandemie zu. Wir müssen Verarmungsrisiken für Langzeitarbeitslose reduzieren."

Schwieriger scheint es, eine Parteinähe in Abrede zu stellen, schließlich fordert die SPÖ wiederholt das Gleiche: "Es ist überhaupt kein Parteivolksbegehren. Weder SPÖ, noch ÖGB oder AK waren Anstoßgeber, sondern selbst Betroffene, die sich zivilgesellschaftlich engagieren und organisieren." Die Kommunikation sei außerdem rein spendenfinanziert, versichert Tálos. Seit 31. Mai unterstützen rund 11.000 das Anliegen.

Beim "Recht auf Wohnen" sind es bereits mehr als 40.000. Initiator Helmut Bitschnau, im Brotberuf Polizist, hat das seit 16. März 2020 alleine geschafft. Seine Idee für eine bedarfsorientierte, staatliche Unterstützung beim Erwerb von Wohneigentum und kostenfreie Unterkünfte für Wohnungslose sei aus einem Bedürfnis nach sozialer Gerechtigkeit entstanden. "‚Koste es, was es wolle’, muss auch bei Grundbedürfnissen gelten", erklärt der Vorarlberger. Obwohl sich das mediale Interesse bislang auf das Bundesland beschränkt hat, seien viele der Unterzeichnenden aus Wien.

Es geht auch um populäre Themen: Erst seit 31. Mai 2021 sammelt das Volksbegehren für "uneingeschränkte Bargeldzahlung" mit einem Facebook-Auftritt und einigen Medienberichten Unterstützungserklärungen - und hat bereits 141.400. Bevollmächtigte ist Sabine Hatzl, Sekretärin in einem Tischlereibetrieb, Ideengeber sei ihr Chef Josef Binder junior: "Wir wollen natürlich keine kriminellen Geldgeschäfte fördern. Es kann aber auch nicht sein, dass alle unter Geldwäsche- oder Terrorismusgeneralverdacht gestellt werden", sagt Hatzl. Neben Online-Banking, das sie ebenfalls nützt, müsse Bargeld als Alternative erhalten bleiben.

Was Volksbegehren mit der Pandemie zu tun haben

Das Volksbegehren, das seit 6. Februar 2020 am längsten Unterstützungserklärungen sammelt, ist jenes zum bedingungslosen Grundeinkommen. Bis jetzt sind es mehr als 76.300 Zeichnende, die sich für ein regelmäßiges, existenz- und teilhabesicherndes Einkommen für alle einsetzen. Warum? Proponentin Ulli Sambor sagt zum Beispiel: "Ich kann das Leben nicht genießen, wenn ich weiß, dass andere zu wenig Geld haben, und nicht selbst über ihre Arbeit und ihr Leben entscheiden können." Ein Grundeinkommen sichere, dass "Arbeitnehmer mit Arbeitgeber auf Augenhöhe verhandeln können und aus Abhängigkeitsverhältnissen raus kommen".

Mit der Coronakrise hat dieses Volksbegehren nur insofern zu tun, als dass sich die offizielle Frist für das Einreichen, nicht wie sonst mit dem Ende des Folgejahres nach der Registrierung, also Ende 2021, verstreicht. Sie wird "um jene Dauer verlängert, während der für die Unterstützung maßgebliche Parteienverkehr eingeschränkt war", heißt es aus dem Innenministerium.

Wegen der Pandemie sind nur einige wenigen entstanden, etwa "Wiedergutmachung der Covid-19-Maßnahmen" und "Covid-Maßnahmen abschaffen". Während sich die erste Initiative für evidenzbasierte Corona-Informationen und Ersatz für soziale und wirtschaftliche Schäden einsetzt, wirbt die zweite mit falschen Informationen für Unterstützung. Initiator Robert Marschall behauptet etwa, dass Impfungen "gentechnische Experimente" seien. Auf die Evidenz angesprochen, sagt er: "Es gibt genügend Berichte." Warum er diese Quellen nicht angegeben hat? "Weil sonst die nächste Diskussion losgeht." Er war bei Anti-Corona-Demos, auf Nachfrage bezieht er sich auf Personen, die mit dem "Goldene Brett vorm Kopf" für die Verbreitung von wissenschaftlichem Unfug ausgezeichnet wurden.

Die Kriterien für eine Ablehnung eines Volksbegehrens seien "sehr eng gesteckt", so das Ministerium. Vorgabe sei nur, dass das Anliegen gesetzlich regelbar ist, die Forderung nicht gegen das Verbotsgesetz verstößt oder strafrechtlich relevant sein könnten. Sollten sie das sein, übermittle man eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft. "Fake News alleine sind noch kein Grund für eine Ablehnung eines Textes eines Volksbegehrens", sagt Robert Stein, der für Wahlen im Innenministerium zuständig ist.