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Mehr Flexibilität auf Kosten der Klarheit

Von Simon Rosner

Politik
Die entscheidende Frage ist, ob es sich um verfassungskonforme Eingriffe handelt.
© VfGH / Achim Bieniek

Dass im Impfpflicht-Entwurf der Gesundheitsminister mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet wird, ist heikel.


Der Entwurf zum Impfpflichtgesetz hat sich von seiner ersten zur zweiten Version nach der Begutachtung doch maßgeblich verändert. "Er hat an juristischer Qualität gewonnen", sagt der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk, Dekan an der Sigmund-Freud-Privatuniversität. Er sagt aber auch: "Die Frage ist nach wie vor in der Hauptsache, ob es sich um verfassungskonforme Eingriffe handelt." Eine "manifeste Verfassungswidrigkeit", sagt Funk, sehe er aber nicht.

Ein zentraler Punkt, der sich geändert hat: Eine ganze Reihe an wichtigen Details zu den Impfstoffen, den Fristen, zu Ausnahmen und Stichtagen sind aus dem Gesetzesentwurf verschwunden. Sie sollen vom Gesundheitsminister per Verordnung definiert werden, wobei dieser von einem vierköpfigen Fachgremium (juristisch, medizinisch) beraten wird. "Das ist ein verfassungsmäßig zweischneidiges Schwert", sagt Christoph Bezemek, Verfassungsjurist an der Universität Graz. Einerseits schafft dieser legistische Kniff größtmögliche Flexibilität, um zeitnahe auf das dynamische Pandemiegeschehen zu reagieren und sachlich gerechtfertigte Entscheidungen zu treffen. Andererseits, so Bezemek, sei die Konstruktion verfassungsrechtlich "nicht unproblematisch".

Anpassungen je nach Lage

Derart gravierende Eingriffe sind grundsätzlich vom Gesetzgeber zu steuern. So sehen es das Legalitätsprinzip und das Bestimmungsgebot vor. Vereinfacht gesagt dürfen Gesetze nicht zu unbestimmt sein, die Verwaltung (zu dieser zählen auch Minister) darf auch nur auf Basis von Gesetzen handeln. Laut dem Entwurf kann aber der Gesundheitsminister per Verordnung die Impfpflicht temporär aufheben, über häufigere Auffrischungen verfügen, Impfschemata ändern, Vakzine in- oder exkludieren und so weiter. Das sind sehr maßgebliche Aspekte der Impfpflicht.

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Sowohl Bezemek als auch Funk sehen im konkreten Fall aufgrund der Besonderheit einer Pandemie, in der sich Parameter sehr rasch verändern können, die Konstruktion als gerechtfertigt an. Durch das Fachgremium werde auch den Sachlichkeitsanforderungen entsprochen, sagt Bezemek, die notwendige Befassung des Hauptausschusses des Nationalrats erhöhe auch die demokratische Legitimation der Verordnungen. Peter Bußjäger, Verfassungsrechtler der Uni Innsbruck, kann diesen Argumenten zwar folgen, "es bleibt aber ein heikler Punkt, ob es nicht doch zu unbestimmt ist".

Die Flexibilisierung muss in der Praxis aber auch gelebt werden. Sollte sich zum Beispiel herausstellen, dass das Virus endemisch wird, und sei es nur vorübergehend, und keine Überlastung des Spitalssystems mehr droht, dann wird eine Anpassung nötig sein und muss wohl auch recht rasch erfolgen.

Neue Konstruktion

Ein weiterer heikler Punkt ist die Umgehung des Verschlechterungsverbots. Vorgesehen ist, dass in einem abgekürzten Verfahren die Strafverfügung mit 600 Euro begrenzt ist. Wenn Einspruch erhoben wird, kann zwar einerseits auf die Einkommensverhältnisse und den Grad des Verschuldens eingegangen werden, andererseits erhöht sich die Strafdrohung auf 3.600 Euro. Das widerspricht dem Verschlechterungsverbot, das ja verhindern soll, dass Menschen aus Angst vor einer höheren Strafe auf ihr Recht auf Beschwerde verzichten.

"Die Konstruktion ist neu", sagt Bezemek. Das verkürzte Verfahren wurde gewählt, um die Verwaltungsbehörden zu entlasten. Wer Einspruch erhebt, tut dies "begründet", womit ein neues Verfahren beginnt - und das Verschlechterungsverbot umgangen wird. Bezemek und Funk sehen es argumentierbar, Bußjäger ist skeptischer. Es werde auf jeden Fall eine sachliche Differenzierung notwendig sein, warum in diesem Fall anders als sonst vorgegangen wird.

Relevant wird auch sein, wie die Fristen für die Impfungen festgelegt werden. Die betreffen auch impfwillige Personen. Bisher ist die Dauer der Gültigkeit der Impfungen aber nicht an die Realität der Infektionswellen ausgerichtet, wie das bei der Grippe der Fall ist. Gegen Influenza wird nicht im Mai geimpft, weil sich diese im Sommer, ganz wie Sars-CoV-2, markant zurückzieht.