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Was heißt eigentlich Femizid?

Von Theresa Steffner

Politik

Warum es einen speziellen Begriff für Mord an Frauen braucht, es aber nicht so einfach ist, Femizide klar einzuordnen, erklären Strafrechtsexpertin Isabel Haider und Publizistin Beatrice Frasl.


Femizid. Das beschreibt die Tötung einer Frau, weil sie Frau ist. Bis heute zählt der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) 22 Tötungsdelikte an Frauen im Jahr 2022. 22 mutmaßliche Femizide durch (Ex-)Partner, Familienmitglieder oder nahestehende Personen. Femizid wird als "vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ,Verstößen‘ gegen die traditionellen sozialen und patriarchalen Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden", definiert. Er gehört daher zu den Hassverbrechen. Eingeführt wurde der Begriff in den 1970er Jahren von Soziologin Diana Russel beim ersten internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Frauen in Brüssel.

Der Begriff Femizid benennt die Delikte und bringt damit tief verwurzelte gesamtgesellschaftliche Strukturen ans Licht. Es geht um das Patriarchat, missbräuchliche Beziehungen und Ungleichstellung.

Isabel Haider forschte am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Wien. Für sie ist der Begriff Femizid ein "reißerischer". Er zeige aber strukturelle Zusammenhänge auf. Frauenmorde passieren unabhängig vom Geschlecht, Femizide hingegen abhängig davon. "Die Frage, die man sich stellen sollte, ist, ob einem Mann in derselben Situation Gleiches passiert wäre", sagt sie. Und hier komme das Patriarchat ins Spiel. "Opfer sind Frauen, Täter sind Männer - aber was sind die gesellschaftlichen Aspekte?" Es hänge zusammen mit vorherrschenden Geschlechterverhältnissen, sowie gesellschaftlichen Konventionen.

Juristisch kommt dem Femizid im Sinne eines Tatbestandes in Österreich keine Bedeutung zu. Es sind Tötungsdelikte wie Mord, Totschlag oder schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Bei Femiziden geht es jedoch um den gesellschaftlichen Kontext. Das öffentliche Strafverfolgungssystem tue sich schwer, Motive zu ermitteln. Die Frage, ob eine Frau aufgrund ihres Geschlechts getötet wurde, bleibt eine schwierige.

"Es sind Morde, bei denen Frauen in der Gesellschaft ungleich gestellt sind", so Haider. Ungleich im Sinne von ungleichem Zugang zu finanziellen Ressourcen, Politik und Macht. Durch die patriarchale Struktur würde unsere Gesellschaft Gewalt an Frauen gewissermaßen in Kauf nehmen. Vergewaltigung und geschlechtliche Nötigung in der Ehe beispielsweise waren lange kein Straftatbestand in Österreich.

"Wir müssen über Gewalt in Beziehungen sprechen", so auch Publizistin Beatrice Frasl. Die Wienerin steckt hinter dem feministischen Podcast "Große Töchter". Über Gewalt in Beziehungen solle auch berichtet werden, nicht nur, wenn ein Mord passiert.

"Wir müssen über Gewalt in Beziehungen sprechen"

Nicht nur, wenn der Täter als Monster dargestellt werden kann. Immer wieder seien Morde an Frauen in Medienberichten als "Beziehungsdrama" verharmlost worden. Das habe den Anschein erweckt, es gehe um einen Streit. Ein täterloses Verbrechen. "Aber es ist ja nicht zufällig so, dass wer stirbt bei einem Streit." Frauen werden oft in den eigenen vier Wänden zum Opfer und stehen in einem Naheverhältnis zum Täter. Exmänner, Expartner, Familienmitglieder. Besonders der Moment der Trennung sei gefährlich. "Man muss den Leuten bewusst machen, dass es sich speziell um Gewalt gegen Frauen handelt", betont Frasl. Sie bringt auch den Begriff "Coercive Control" (Zwangskontrolle) ins Spiel. Dabei geht es um Erniedrigung, Demütigung, finanzielle und soziale Isolation einer Frau durch den Partner. In England und Wales ist diese Form der häuslichen Gewalt strafbar. In den USA war es das, bis Donald Trumps Regierung das Gesetz im Jahr 2018 kippte.

Bei den Fragen, warum sich Frauen nicht aus Beziehungen lösen und welche Faktoren und Dynamiken dahinterstecken, gibt es laut Haider Wissensdefizite. Es gehe um missbräuchliche, toxische Beziehungen. Davon spricht man, wenn Partnerschaften von subtiler Gewalt geprägt sind, sei es psychisch oder physisch. Und es reiche nicht, Frauen zu ermutigen, sich zu melden. Die Gesellschaft erwarte einen Hilferuf, aber auch, dass Frauen Gewalt vorhersehen können. "Es sollte einer Frau nicht angelastet werden, dass sie nicht erkannt hat, wann sie sich aus der Beziehung lösen muss."

Gender-Aspekte werden zu wenig beachtet

Darüber hinaus unterscheidet sich die Gewaltkriminalität an Männern und Frauen. Bei Männern seien Motive heterogener, von organisierter Kriminalität bis hin zu wirtschaftlichen Motiven. Wird Gewalt an Frauen begangen, so stehen Täter und Opfer oft in Beziehung zueinander. Das Konzept des Femizids soll eben diese Unterschiede unterstreichen und darauf hinweisen, dass Gender-Aspekte zu wenig beachtet werden. Die Prävention von Gewaltkriminalität richte sich meist an Männern aus und verfehle daher ihre Wirkung.

"Es braucht maßgeschneiderte Konzepte", erklärt Haider. Dabei zuzusehen, dass "so viel ignoriert wird von dem, was wir schon wissen sollten", ist für Haider frustrierend. Viele politische Initiativen beschäftigen sich mit unmittelbarer Gewaltbekämpfung, aber gerade vor Gender-Aspekten verschließe man die Augen: "Trotz gesellschaftlichen Drucks ändert sich politisch nichts."

Das Bundeskriminalamt zählt 2022 vorläufig 23 weibliche Mordopfer, 22 von diesen sind, worauf die AÖF hinweisen, Femizide. Aktuell erfasst der Verein statistisch nur die Fälle, die es in die Medien schaffen. Die polizeiliche Kriminalitätsstatistik gibt keine Auskunft darüber, warum es zu einem Mord kam und in welchem Verhältnis Opfer und Täter standen.

Definition und Zählung gefordert

Eine Definition sowie die professionelle Zählung und den Eingang der Femizide in die polizeiliche Kriminalstatistik forderten kürzlich die Neos - "damit es nicht NGOs mit unterschiedlichen Zählmethoden überlassen ist, die vielen Frauenmorde zu zählen", sagte Neos-Frauensprecherin Henrike Brandstötter.

"Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen: Wie muss sich Frauenfeindlichkeit ausdrücken, damit wir sie als solche gelten lassen? Ab wann ist etwas frauenfeindlich?", sagt Haider. Eine Definition dessen könnte die Datenlage verbessern - und die müsse ja nicht "auf ewig in Stein gemeißelt sein".