Zum Hauptinhalt springen

Schulstart mit offenen Stellen

Von Petra Tempfer

Politik

Neben der Corona-Pandemie wird nun der Lehrermangel zum gravierenderen Problem zu Beginn des neuen Schuljahres.


"In Oberösterreich haben wir eine achtklassige Volksschule, für die es fürs kommende Schuljahr nur drei Lehrer gibt", sagt Paul Kimberger, oberster Lehrergewerkschafter (FCG) und Vorsitzender der Arge Lehrer in der Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (GÖD). "Zwei von diesen arbeiten in Teilzeit."

Das sei nur ein Beispiel von vielen, so Kimberger. Nach den Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, den Lockdowns und dem Fernunterricht, kristallisiere sich nun der Lehrermangel zum gravierenden Problem zu Beginn des neuen Schuljahres heraus, das im Osten Österreichs am 5. September beginnt. Bis 2030 werden laut Kimberger voraussichtlich 20 Prozent aller Dienstposten unbesetzt sein. Das lasse sich von einer Studie aus Deutschland, wo die Situation ähnlich sei, auf Österreich umlegen.

Aktuell sieht es in der Praxis so aus, dass etwa die Bildungsdirektion für Wien "noch daran arbeitet, offene Stellen zu besetzen", wie es von dieser auf Nachfrage heißt. Im Pflichtschulbereich benötige man vor allem in der Volksschule ausgebildete Bewerberinnen und Bewerber. Hier sei auch der Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung Thema.

Bis 2030 geht dieHälfte aller Lehrer in Pension

Dass bis 2030 die Hälfte aller Lehrer in Pension gehen werde, wie Kimberger sagt, sei schon länger bekannt. Aufgrund der zahlreichen Krankenstände während der Pandemie und schließlich des gesteigerten Bedarfs an Pädagogen durch ukrainische Flüchtlingskinder habe man nun jedoch auch sämtliche Reserven aufgebraucht. Im Juli habe man mehr als 11.000 ukrainische Flüchtlingskinder gezählt, die an einer österreichischen Schule unterrichtet wurden. "Das Kontingent an höhersemestrigen Lehramtsstudenten, die unterrichten, und an Kollegen, die aus der Pension zurückgeholt wurden, ist ausgeschöpft", so Kimberger.

Die Quelle für diese gegen den Lehrermangel gesetzten Maßnahmen ist also versiegt. Daher müssen nun als nächster Schritt die anderen Lehrer mehr arbeiten, heißt es aus den Bildungsdirektionen Oberösterreich und Tirol. "Zum Zweck der Sicherstellung des Unterrichtes an allen Standorten können dienstrechtliche Maßnahmen genützt werden, wie vor allem die Anordnung von Mehrdienstleistungen (Überstunden) und die einvernehmliche Erhöhung des Beschäftigungsausmaßes von Lehrpersonen, die in Teilzeit arbeiten", so die Bildungsdirektion Tirol.

"Quereinsteiger werden klaffende Lücke nicht füllen"

Dass Quereinsteiger die klaffende Lücke füllen können, bezweifelt Kimberger. Quereinsteiger, die nicht für ihr Unterrichtsfach ausgebildet sind, werden bereits jetzt eingesetzt. Ab dem Sommersemester 2023/24 soll zudem laut Bildungsministerium das Quereinsteigerstudium für die allgemeinbildenden Fächer der Sekundarstufe wie Deutsch oder Turnen starten. In Folge gibt es dann auch mehr Geld: Aktuell unterrichten Quereinsteiger auf Basis nicht so gut bezahlter Sonderverträge. Künftig sollen jene, die die Voraussetzungen für die Quereinsteigerausbildung erfüllen (passendes Studium, drei Jahre Berufserfahrung) und eine Stelle an einer Schule bekommen, von Anfang an in das Lehrer-Gehaltsschema eingebettet werden - inklusive attraktiverer Einstiegsgehälter.

So könnten pro Jahr etwa 200 bis 300 Personen als Quereinsteiger gewonnen werden, schätzte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) im Vormonat. "Das ist eine wichtige Ergänzung. Es ist aber nicht so, dass wir damit alleine das Problem lösen." Im vergangenen Schuljahr unterrichteten laut Statistik Austria rund 120.000 Lehrerinnen und Lehrer die mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler.

Das Grundproblem seien die Arbeitsbedingungen, meint dazu Kimberger. Denn diese seien gespickt mit Zusatzaufgaben und Administration. Laut Polaschek wurden die Berichtspflichten zwar schon zurückgeschraubt, und das bisher befristete AMS-Projekt zur Anstellung von Administrativkräften wurde entfristet - Kimberger zufolge kommen aber auch aus der Ausbildung nicht genug Lehrerinnen und Lehrer nach. Einerseits sei diese Ausbildung viel zu lang: Sowohl für die Primar- als auch die Sekundarstufe, also für Lehrer von der 1. bis zur 13. Schulstufe, schließt an das vier Jahre dauernde Bachelorstudium ein Masterstudium an, das mindestens ein oder zwei Jahre dauert. "Andererseits ist die Ausbildung zu praxisfern", sagt Kimberger. Viele steigen daher noch während dieser aus oder seien nach dem Studium von den Unterrichtsbedingungen so überrascht, dass sie gleich wieder aufhören.

Auch Ursula Madl, Direktorin des Billrothgymnasiums in Wien, musste bereits intensiv nach Lehrerinnen und Lehrern suchen. "Vor allem in den Fächern Mathematik, Physik und Chemie und in den künstlerischen Fächern wie Bildnerische Erziehung oder Werken gibt es bestimmt mehr Stunden als Bewerber", sagt sie zur "Wiener Zeitung". Daher müssten schon jetzt andere Lehrer diese Stunden supplieren. Auch eine 65-jährige, pensionierte Lehrerin kam ans Billrothgymnasium zurück und ist laut Madl wieder für ein paar Stunden angestellt.

Corona-Pandemie brachteein hohes Maß an Flexibilität

Selbst im Rückblick auf die vergangenen zweieinhalb Jahre Corona-Pandemie sei der Lehrermangel nun das größere Problem. Aus dem Fernunterricht und der sich mitunter mehrmals wöchentlich ändernden Covid-19-Maßnahmenverordnung habe man jedenfalls "ein hohes Maß an Flexibilität" mitgenommen, sagt Madl. Auch die Kompetenz der Schüler und Lehrer, mit kurzfristigen Veränderungen bestmöglich umzugehen, sei gewachsen.

Wie es mit den Corona-Maßnahmen im neuen Schuljahr konkret weitergeht, gibt Polaschek am kommenden Montag, 29. August,bekannt. Sein Plan, dass wie jeder Arbeitnehmer auch symptomlose coronainfizierte Lehrer in die Schule gehen dürfen sollen, wenn sie eine FFP2-Maske tragen, sieht Madl kritisch. Nicht nur, dass die Maske dann stigmatisierend sei und daher vermutlich nicht mehr freiwillig getragen werde. "Um eine symptomlose Infektion festzustellen, müsste man ja regelmäßig testen", sagt sie - und das zeichnet sich im Moment nicht ab. Ganz im Gegenteil. Im Variantenmanagementplan der Bundesregierung seien regelmäßige Tests und eine Maskenpflicht erst ab dem Übergang zu Szenario 3 ("Ungünstiger Fall") vorgesehen, hieß es aus dem Bildungsministerium diese Woche. Aktuell wird laut Gesundheitsministerium jedoch Szenario 2 angenommen: eine längerfristige Abschwächung der Pandemie.

Die Vorsitzende des Dachverbands der Elternverbände an Pflichtschulen, Evelyn Kometter, hält es für besser, wenn symptomlose infizierte Lehrer und Schüler in jedem Fall zuhause blieben. Von dort aus sollen die Lehrer allerdings unterrichten - via aufgeklappten Laptop auf dem Lehrertisch in der Klasse - und die Schüler online am Unterricht teilnehmen.

Elternvertreterinbefürchtet größere Klassen

Zudem fordert Kometter eine sogenannte Sicherheitsphase zu Beginn des neuen Schuljahres, wie es sie im vergangenen Schuljahr gab: Damals musste bei der mit schwereren Krankheitsverläufen verbundenen Delta-Variante vorerst drei Wochen lang verpflichtend dreimal pro Woche ein Covid-19-Test absolviert und außerhalb der Klasse eine Maske getragen werden. Aufgrund der darauffolgenden Welle mit der ansteckenderen Omikron-Variante wurden diese Maßnahmen bis Ende Februar verlängert. "Außerdem sollen an jeder Schule die aktuellen Informationen zu den Corona-Zahlen und -Maßnahmen auf der Homepage ersichtlich sein, und es soll einen Beauftragten geben, der diese verwaltet", sagt Kometter, "das müsste doch nach zweieinhalb Jahren Pandemie möglich sein."

Und wie stehen die Eltern zum Lehrermangel? "Es ist das gravierendere Thema", sagt auch Kometter. Als Konsequenz nun größere Klassen zu bilden, wäre jedoch der falsche Weg. "Die Anzahl der Schüler muss bitte unter 28 pro Klasse gehalten werden - sonst ist ein normaler Schulunterricht nicht mehr möglich."