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Probesitzen am "Pokertisch" der Regierung

Von Karl Ettinger

Politik

Am Nationalfeiertag herrschte Stolz über das höhere Heeresbudget. Thomas Schmids Aussagen wurden fast ausgespart.


Das Ehepaar aus dem Waldviertel und seine Tochter sind die ersten Besucher, die kurz vor 10 Uhr auf dem Josefsplatz in der Wiener Innenstadt auf Einlass ins Parlament warten. Der heurige Nationalfeiertag bringt nach zweijähriger, coronabedingter Unterbrechung nicht nur die Rückkehr zur Bundesheerschau auf dem Heldenplatz, sondern auch zum "Tag der offenen Tür" im Hohen Haus, im Bundeskanzleramt, in mehreren Ministerien und im Verfassungsgerichtshof. Was das Parlament betrifft, ist es dennoch ein abnormaler Feiertag.

Zum letzten Mal kann die Familie aus Niederösterreich dabei nämlich das Ausweichquartier der Volksvertreter in der Hofburg besichtigen. Denn am 12. Jänner 2023 erfolgt nach der Rückübersiedlung in das generalsanierte Haus am Ring die feierliche Eröffnung des "alten" Parlamentsgebäudes. Deswegen wolle er sich das Ausweichquartier jetzt noch anschauen, verrät der Waldviertler.

Knapp 100 Menschen in der Warteschlange erleben mit, wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), die Zweite Präsidentin Doris Bures (SPÖ) und der Dritte Präsident Norbert Hofer (FPÖ) mit Bundesratspräsidentin Korinna Schumann (SPÖ) die enge Tür ins Ersatzquartier öffnen. Der Nationalratspräsident sagt vielen mit Händedruck "Grüß Gott". Ein grauhaariger Mann in Jeans nimmt hörbar Bezug auf die Aussagen des Ex-Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, der in einer Steuercausa auch Sobotka belastet hat: "Ich hoffe, es stellt sich alles als Missverständnis heraus." Der ranghohe ÖVP-Politiker lächelt beim Händeschütteln weiter wie zuvor bei den anderen Besuchern. Schon in der Vorwoche hat er angekündigt, Schmid deswegen rechtlich belangen zu wollen.

Tanners "So wahr mir Gott helfe" für ein kampffähiges Heer

Auf der anderen Seite der Hofburg wurlt es bei der Leistungsschau des Heeres bereits: Nervöse Angehörige warten auf die Angelobung der 1.000 Rekruten, Geschwader von Kinderwägen werden herumgeschoben, mit "Einsteigen und Durchstarten" wird für die Karriere beim Heer geworben. Am Abend zählte das Verteidigungsministerium am Nationalfeiertag und tags zuvor am Tag der Schulen bei der Leistungsschau rund 720.000 Besucher.

Nach der traditionellen Kranzniederlegung durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen und die Bundesregierung am Äußeren Burgtor hält Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) heuer voller Stolz ihre Rede auf dem Heldenplatz. Schließlich wurde erst vor zwei Woche eine kräftige Erhöhung des Heeresbudgets paktiert. Sie ruft daher die "Mission vorwärts" aus, um "das Heer zu modernisieren und kampffähig zu machen". Die seit dem Amtsantritt 2020 vielkritisierte Niederösterreicherin legt noch eins drauf: "So wahr mir Gott helfe" werde sie nicht Ruhe geben, bevor das Ziel erreicht sei. Zur Neutralität, die Fixpunkt an einem Nationalfeiertag ist, merkt Tanner unter Hinweis auf Russlands Krieg in der Ukraine an: "Sie schützt nicht vor hybriden Angriffen, Terror und anderen Bedrohungen."

Der Bundespräsident erinnert als Oberbefehlshaber des Heeres daran, dass das Neutralitätsgesetz zur Verteidigung Österreichs mit allen Mitteln verpflichte. Dazu sei das Bundesheer derzeit nicht in der Lage. Die "rigorose" Sparpolitik der vergangenen Jahrzehnte habe "sichtbare Spuren hinterlassen". Freilich waren es auch die Grünen, deren Chef er ein gutes Jahrzehnt bis 2008 war, die sich oft scharf auf die Ausgaben für das Militär eingeschossen haben.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat zuvor Van der Bellen ausdrücklich zur Wiederwahl gratuliert, weil das "Berechenbarkeit und Stabilität" bedeute: Ein Seitenhieb mit dem Florett auf die durch die Schmid-Aussagen erschütterte Bundesregierung und ÖVP-Spitze.

"Repräsentanten und Repräsentantinnen der Zivilgesellschaft" waren eingeladen, Van der Bellen an seinem Arbeitsplatz zu besuchen.
© HBF / Peter Lechner

Ein Geburtstagsständchen von Ministerin Edtstadler

Wer zum Tag der offenen Tür ins Kanzleramt will, muss sich zuerst rund eine Stunde anstellen. Dafür wird er drinnen von einer locker-eloquenten Europaministerin Karoline Edtstadler im Ministerratssaal "quasi im Herzen des Bundeskanzleramtes" willkommen geheißen. Sie stimmt sogar ein "Happy Birthday" für einen 60-Jährigen an, der am Nationalfeiertag Geburtstag hat. Ein junges Mädchen darf, was andere Politiker gern tun würden, auf dem Sessel des Bundeskanzlers probeweise sitzen. Zum grün überzogenen ovalen Tisch mit den Namenskärtchen der Regierungsmitglieder meint Edtstadler scherzend: "Er schaut irgendwie aus wie ein großer Pokertisch."

In der Früh haben Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) den üblichen Sonderministerrat geleitet und in einer gemeinsamen Erklärung ÖVP und Grüne de facto aufs Weitermachen trotz der Korruptionsvorwürfe von Thomas Schmid eingeschworen. Sie versicherten, angesichts der Krisen wie im Regierungspakt "aus Verantwortung für Österreich zu arbeiten".

Staatsmännisch gibt sich Nehammer zu Mittag, als er eine Besuchergruppe nach der anderen in seinem Kanzler-Arbeitszimmer begrüßt. In den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Räumen gehe es auch um Symbolik: "Das ist der Sieg der Demokratie über Diktatur und Monarchie."

Der Österreicher denkt sich frei nach Franz Grillparzer seinen Teil und lässt Politiker reden. Auf dem Heldenplatz ist das Volksfest mit Hundertausenden Besuchern voll im Gang. Mit G’spritztem, Kracherl, Bratwürsten und Kaiserschmarrn. Mehr Österreich geht am Nationalfeiertag nicht.