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Die Schlussplädoyers im Wiener Terrorprozess

Von Patrick Krammer

Politik

Die Geschworenen müssen über Schuld oder Unschuld entscheiden.


Am Dienstag ging es für sechs Männer zwischen 22 und 32 Jahren am Wiener Landesgericht für Strafsachen um viel. Ihre Verteidiger hielten die Schlussplädoyers, in denen sie ein Verfahren zusammenzufassen versuchten, das die Unschuld ihrer Klienten zu Tage befördert habe. Auf der anderen Seite stand die Staatsanwältin, die die Geschworenen vom Gegenteil überzeugen wollte: Alle sechs Angeklagten hätten gewusst, wie gefährlich der spätere Wien-Attentäter K.F. war, der am 2. November 2020 durch die Wiener Innenstadt zog, dort vier Menschen tötete und 22 weitere verletzte, bevor er von der Polizei selbst erschossen wurde. Sie hätten ihm bei den Vorbereitungen und Planungen geholfen, Waffenhändler vermittelt und seine Pläne unterstützt. Damit hätten sie sich der Beihilfe des Mordes schuldig gemacht. Vier Angeklagten wird auch vorgeworfen, islamistisch extremistisches Propagandamaterial verbreitet zu haben. Indirekt forderte die Staatsanwältin für die Angeklagten die Höchststrafe.

Der versuchte Munitionskauf des Erstangeklagten

Der Erstangeklagte A.F. wird beschuldigt, an der Anschlagsplanung beteiligt gewesen zu sein, weil er mit dem Attentäter versucht hat, in der Slowakei Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen. Der Erstangeklagte gab an, nicht zu wissen, was K.F. kaufen wollte. Die Staatsanwaltschaft sieht mehrere Widersprüche zwischen seinen Aussagen im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung. Auch sein Verhalten nach dem Anschlag sei "hochverdächtig und konspirativ" gewesen. Er habe sein Handy auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und es im Auto seiner Mutter versteckt. Dem Drittangeklagten hat er geschrieben, dass eine Razzia bevorstehe und er sich darauf vorbereiten sollte.

Die Verteidigung meinte, dass die Anklage nur auf einem Widerspruch zwischen seinen Aussagen und denen der Waffengeschäft-Mitarbeiter setze. "Hat er gewusst, dass der spätere Attentäter Munition für einen Anschlag kaufen will?", fragte sein Anwalt David Jodlbauer. Denn das sei die Frage, die die Geschworenen zu beantworten hätten. Nur, wenn der Erstangeklagte schon vor dem Besuch im Waffengeschäft wusste, was K.F. dort kaufen wollte, sei er auch schuldig zu sprechen. Man dürfe jemanden nicht als Ersatz für den Attentäter verurteilen, der nicht mehr greifbar sei - ein Argument, das alle Verteidiger vorbrachten. Er sprach sich für einen Freispruch aus.

Die zwei langjährigen Freunde des Attentäters

Der Zweitangeklagte I. B. und der Drittangeklagte B. K. waren Jugendfreunde des Attentäters. B. ist der Jüngste der Angeklagten. Beide waren am Tag des Anschlags beim Attentäter, nach eigenen Angaben, um ein Buch zurückzugeben. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass die beiden bei diesem Besuch bestärkend auf K.F. eingewirkt haben. In den frühen Morgenstunden habe er schon ein Abschiedsvideo gepostet, "es ist vollkommen lebensfremd", dass seine besten Freunde das nicht mitbekommen hätten, so die Staatsanwaltschaft. Wie genau der Zweitangeklagte mitgewirkt haben soll, habe die Anklage nicht erklären oder belegen können, kritisierte wiederum Verteidiger Manfred Arbacher-Stöger. Es konnte auch nicht zweifelsfrei belegt werden, ob die Zweit- und Drittangeklagten überhaupt in der Wohnung des Attentäters waren oder nur im Stiegenhaus, wie sie selbst angeben. In der Wohnung hätten sie die Waffen sehen können, deshalb ist dieser Aspekt wichtig für Anklage und Verteidigung.

Arbacher-Stöger sagte auch, dass die Staatsanwaltschaft ihre Vermutungen nicht untermauern könne. Sein Mandant sei vielmehr zur Polizei gegangen, "um an der Aufklärung einen Beitrag zu leisten". Für den Verteidiger führte die bloße Anwesenheit im Umkreis des Attentäters zur Anklage gegen B. In einem Rechtsstaat reiche das nicht, so der Verteidiger, der für einen Freispruch plädierte.

"Unabhängig von dieser fürchterlichen Tat" müsse man freisprechen, wenn es Zweifel an den Darstellungen der Staatsanwaltschaft gebe, argumentierte auch der Verteidiger des Drittangeklagten. Ihm wird vorgeworfen, dass er versucht hat, K.F. gefälschte Identitätsdokumente zu vermitteln, und dem Attentäter bei der Zielauswahl geholfen zu haben. Hinweise, dass K. bei der Auswahl der Ziele geholfen habe, seien äußerst gering, so Mayer. Die Staatsanwältin behielt sich ein Detail bis zu ihrem Schlussplädoyer vor: Sie war auch die Staatsanwältin, die den Attentäter und den Drittangeklagten wegen der versuchten Ausreise zum IS anklagte. Auch damals habe K. gesagt, er hätte sich von der islamistischen Ideologie abgewandt.

Beide sind auch wegen der Verbreitung von IS-Propaganda angeklagt. K. gestehe hier seine Schuld ein, sagt sein Verteidiger. Der Zweitangeklagte sagt, er habe diese Videos nicht verschickt, sondern nur gespeichert.

Spuren des Viertangeklagten auf allen Waffen

Dem Viertangeklagten H. Z. wirft die Staatsanwältin vor, den Attentäter psychisch bestärkt, und bei der Planung mitgeholfen zu haben. Z. hat mehrere Wochen in der Wohnung des Attentäters gewohnt und sein DNA-Profil wurde auf allen bei dem Anschlag mitgebrachten Waffen gefunden. Sein Verteidiger Elmar Kresbach hat die DNA-Spuren mit Sekundärübertragungen zu erklären versucht. Weil Z. in der Wohnung gelebt hat, sei seine DNA überall verteilt gewesen und so auf die Waffen gekommen. Die DNA-Expertin der Universität Wien hielt dies in ihrer Befragung für äußerst unwahrscheinlich.

Kresbach rief im längsten Abschlussplädoyer des Tages einmal mehr die Ermittlungsfehler vor dem Anschlag in Erinnerung. Es könne sein, dass man versucht habe "Beitragstäter und Unterstützer aus dem Hut zu zaubern", um als Behörde gut dazustehen, meinte er mit Blick auf den Verfassungsschutz. "Die Hypothese der Staatsanwaltschaft stimmt so nicht", meinte der Verteidiger, der keine Beweise für einen engen Kontakt zwischen seinem Klienten und den Attentäter sah. "Wenn er nicht dort geschlafen hätte, wäre er nicht hier", so Kresbach. Es seien nicht alle Zweifel ausgeräumt worden und sein Klient damit freizusprechen.

Der Fünft- und der Sechstangeklagte besorgten Waffen

Der Sechstangeklagte I.I.F.S hat den Attentäter an den Fünftangeklagte Adam M. vermittelt. Er war mit K.F. befreundet und kannte ihn aus dem Gefängnis. Auch F.S. ist wegen IS-Sympathie schon vorbestraft. Er habe auch gewusst, dass K.F. schon im Gefängnis von einem Anschlag fantasierte, so die Staatsanwältin. Sein Verteidiger Wolfgang Mekis sprach die meiste Zeit über Ermittlungsfehler des Verfassungsschutzes vor dem Anschlag. Sein Mandant hätte nach der Haft kaum Kontakt zu K.F. gehabt.

Der Fünftangeklagte hat neben der Kalaschnikow auch die Pistole und die Munition besorgt und im Juni und September dem Attentäter übergeben. Das stellt der Angeklagte auch nicht in Abrede. Nur das Wissen über einen geplanten Anschlag bestreitet M. genauso wie alle anderen Angeklagten. Die Staatsanwältin bezweifelt das. "Was macht ein rechtskräftig verurteilter Anhänger des IS mit einer Kalaschnikow?", fragte sie rhetorisch. Der Fünftangeklagte habe in Kauf genommen, dass jemand sterben könnte und "jedenfalls zu vier Morden beigetragen".

Er habe die Waffen besorgt, "aber freilich hat mein Mandat nichts gewusst", sagte seine Anwältin Astrid Wagner. Er habe auch nichts von der Vorstrafe des Attentäters gewusst. Er bereue, dass er Waffen "an diesen Wahnsinnigen verkauft hat". Die Ermittlungen des Verfassungsschutzes hätten auch nicht ergeben, dass der Fünftangeklagte etwas mit der islamistischen Szene zu tun hat. Die Kernfrage sei, ob der Fünftangeklagte vom Anschlag gewusst hat. Für Wagner sei diese Frage zu verneinen, ihr Mandant freizusprechen.

Heute, Mittwoch geht der Prozess weiter, dann können sich die Angeklagten zu Wort melden, bevor die Geschworenen beraten. Mit einem Urteil wird am späten Abend gerechnet.