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Das Ende eines langen Terrorprozesses

Von Patrick Krammer

Politik

Vier Angeklagte wurden des Mordes schuldig-, zwei freigesprochen, fünf wegen der Unterstützung des IS verurteilt.


Nach rund einer Stunde zogen sich die Geschworenen am 15. und letzten Verhandlungstag zu ihren endgültigen Beratungen zurück. Sie sollten bis tief in die Nacht dauern. Die Urteilsverkündung begann nach 23 Uhr und dauerte knapp eineinhalb Stunden. Die acht Geschworenen mussten entscheiden, ob die sechs Angeklagten dem Attentäter K.F., der am 2. November 2020 vier Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt hatte, bei der Planung seines Anschlags geholfen haben. Ihnen wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen, was genauso zu bestrafen ist wie Mord. Vier der sechs Angeklagten drohte lebenslange Haft, den beiden jüngsten 10 bis 20 Jahre, weil sie zum Zeitpunkt der Tat unter 21 Jahren alt waren.

Strafen von 24 Monaten bis lebenslänglicher Haft

Nach über neun Stunden langen Beratungen kamen die acht Geschworenen zu einer Entscheidung. Allein die Urteilsverkündung dauerte über eine Stunde, der Prozess war erst um 0.30 Uhr offiziell beendet. Vier von sechs Angeklagten wurden im Hauptpunkt, der Beihilfe zum Mord, noch nicht rechtskräftig schuldig gesprochen. Die Erst- und Zweitangeklagten wurden in diesen Punkt freigesprochen.

  • Der Drittangeklagte B.K., der den Attentäter am Tag vor dem Anschlag besucht hatte und ihm gefälschte Identitätsdokumente besorgen wollte, wurde des Mordes schuldiggesprochen, außerdem der Verbreitung von IS-Propagandamaterial und Unterstützung der Terrormiliz. Der Richter verurteilte ihn zu 20 Jahren Haft. Ob er gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen wird, ist noch nicht entschieden. Sein Verteidiger Rudolf Mayer meinte auf Anfrage der "Wiener Zeitung", dass er dies erst mit seinem Mandanten besprechen müsse.

  • Der Viertangeklagte H.Z., dessen DNA auf der AK-47, der Pistole und der Machete gefunden worden war, wurde wegen Mordes, der Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS und der Verbreitung von Propaganda verurteilt. Er bekam lebenslänglich. Sein Verteidiger kündigte Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an.

  • Der Fünftangeklagte A.M., der die Waffen bei einem slowenischen Waffendealer bestellt und dem Attentäter übergeben hatte, wurde zwar wegen Mordes verurteilt, die Geschworenen strichen allerdings die Verbindung zur Terrormiliz IS aus der Schuldfrage. Eine kosmetische Änderung, die aber zeigt, wie ernst die Geschworenen ihre Aufgabe genommen haben. Daneben wurde er auch wegen des Waffendeals verurteilt, den er im Vorfeld schon gestanden hat. Auch er fasste eine lebenslange Haftstrafe aus, und auch seine Verteidigerin Astrid Wagner kündigte Rechtsmittel an.

  • Auch der Sechstangeklagte I.I.F.S. wurde des Mordes schuldiggesprochen. Er hatte den späteren Attentäter K.F. mit dem fünftangeklagten Waffenhändler in Verbindung gesetzt. Der wegen Terrordelikten schon mehrfach Vorbestrafte bekam nur deshalb keine lebenslange Haft, weil er zum Tatzeitpunkt noch unter 21 Jahre alt war. Sein Strafmaß liegt bei 19 Jahren. Auch sein Verteidiger hat sofort Rechtsmittel eingelegt.

  • Des Mordes freigesprochen wurden hingegen die Erst- und Zweitangeklagten. Der Erstangeklagte A.F. fuhr mit dem Attentäter zu einem Waffenshop in die Slowakei, wo K.F. vergeblich versucht hatte, Munition zu kaufen. De Zweitangeklagte I.B. besuchte K.F. am Tag vor dem Anschlag gemeinsam mit dem Drittangeklagten. Die beiden wurden allerdings nicht gänzlich freigesprochen, sondern müssen sich der Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS und der Verbreitung von IS-Propaganda verantworten. A.F. wurde darüber hinaus für das Teilen von Al-Qaida-Videos verurteilt. Das Strafmaß bei beiden liegt bei 24 Monaten, wobei 16 Monate bedingt nachgesehen wurden. Sie bekamen eine dreijährige Bewährungsfrist.

Der Erstangeklagte wurde schon vor Prozessbeginn am 18. Oktober 2022 enthaftet, wie der Zweitangeklagte verließ er das Gericht unmittelbar nach der Urteilsverkündung als freier Mann.

Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, die Verteidiger und Staatsanwaltschaft haben drei Tage Zeit, um Rechtsmittel einzulegen. Die Staatsanwältin behielt sich diesen Schritt vor und gab keine Stellungnahme ab.

Weinende Angehörige im vollen Saal

Trotz später Stunde war der große Schwurgerichtssaal am Straflandesgericht Wien bei der Urteilsverkündung vollgepackt. Neben Medienvertretern aus Österreich, Deutschland und Frankreich waren auch Angehörige und Freunde der sechs Angeklagten im Saal. Vor der offiziellen Verkündung bereiteten die Anwälte die Angehörigen schon auf die Urteile vor, während der Richtersenat noch über die Strafbemessung beriet.

Das änderte aber nur wenig an der Verzweiflung, als die Schuldsprüche tatsächlich verkündet wurden. Mehrere Personen beteten stumm, während die Geschworenen die Schuldfragen verlasen, und brachen in Tränen aus, als die Angeklagten des Mordes schuldiggesprochen wurden. Sie verließen auch mehrmals den Saal, um sich wieder zu fangen.

Es gab auch einen Zwischenfall, als der Richter den Schwurgerichtssaal betrat. Als Zeichen des Respekts müssen sich dabei alle im Saal befindlichen Personen erheben. Doch ein Zuschauer verweigerte dem Gericht diesen Respekt. Er wurde von zwei Polizisten schnurstracks aus dem Saal verwiesen. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden für die Urteilsverkündung wieder erhöht, es befanden sich zwölf Polizisten der Spezialeinheit Wega und der Justizwache im Raum. Teilweise mit Sturmgewehren, alle mit schuss- und stichfesten Westen. Dazu kamen noch Beamte des Verfassungsschutzes.

Emotionale Schlussworte der Angeklagten

Zu Beginn des letzten Verhandlungstages am Landesgericht für Strafsachen in Wien bekamen die Angeklagten vor der Urteilsverkündung noch einmal die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen und dem Prozess zu äußern. Die Jugendfreunde des Attentäters, I.B. und B.K., schlossen sich lediglich den Worten ihrer Verteidiger vom Vortag an.

Der des Mordes freigesprochene Erstangeklagte A.G., der mit dem Attentäter in die Slowakei gefahren ist, wo K.F. Munition kaufen wollte, gab ein längeres Statement ab, das er mehrmals unterbrechen musste, weil er mit den Tränen kämpfte. Er sprach den Opfern des Anschlages zu Beginn sein Mitleid aus, "sie sind hier bisher zu kurz gekommen", meinte er. Die Fahrt in die Slowakei sei "wie ein schlechtes Date" gewesen, A.G. habe die Reise sofort bereut. K.F. habe nichts geredet, es sei eine unangenehme Stimmung gewesen. "Wie soll jemand wie ich ihn intellektuell motiviert haben, der zweimal versucht hat, ins Kriegsgebiet auszureisen", fragte er die Geschworenen. Hätte er vom Versuch, Munition zu kaufen, etwas mitbekommen, hätte er es gemeldet. "Aber so was von." Er distanzierte sich abschließend von jeglicher extremistischen Ideologie.

Der zu einer lebenslangen Haft verurteilte Viertangeklagte, dessen DNA-Spuren auf allen Waffen gefunden worden waren, erzählte weniger von seinen Lebensumständen, sondern brachte noch einmal die Argumente seines Verteidigers vor. Er sprach vor allem darüber, wie seine DNA-Profile seiner Meinung nach auf die Tatwaffen gekommen sind. Er habe mehrere Wochen bei K.F. gewohnt, weil er Streit mit seiner Frau hatte. "Man kann es Pech nennen, man kann es Schicksal nennen. Im Leben passieren Dinge, auf die man keinen Einfluss hat", versuchte er zu erklären.

Der ebenfalls mit einer lebenslänglichen Haft schuldiggesprochene Fünftangeklagte gestand, dass er die Waffen an K.F. übergeben hatte, widersprach aber der Darstellung der Staatsanwältin, wonach er Teil einer islamistisch extremistischen Szene sei. In seinem Beruf als Sicherheitsmann habe er Hollywood-Stars und Prominente beschützt.

Der wegen Mordes verurteilte Sechstangeklagte hielt sich kurz: "Hätte ich je geahnt, dass der Attentäter zu so etwas fähig ist, hätte ich die verdammte Nummer nie weitergegeben."

Umstände des Anschlags noch nicht restlos aufgeklärt

Außergewöhnlich war der Schritt des Richtersenats. Der entschloss sich, bei den Beratungen der Geschworenen teilzunehmen, vertreten durch den Vorsitzenden. Eigentlich sind Geschworene bei ihren Beratungen unter sich. Der Richter begründete das mit der Menge an Akten und der Komplexität des Verfahrens. Die Verteidiger sagten, dass dieser Schritt zwar ungewöhnlich, in Anbetracht des großen Aktenumfangs aber gutzuheißen sei.

Auch um einen mittlerweile rechtskräftig zu 27 Monaten Haft verurteilten Islamisten, der in St. Pölten eine eigene Wohnung anmietete, in der er radikale Ideologie predigte, sind Fragen weiter offen. Er war am 31. Oktober und 1. November beim Attentäter, nach eigenen Angaben, um ihm Geld zu borgen. Verurteilt wurde er, weil er das Gedankengut des IS verbreitete und dem Attentäter das geistige Rüstzeug mitgab, mit dem er den Anschlag durchführte. Eine direkte Verbindung zu den Anschlagsplänen konnte ihm bis dato allerdings noch nicht nachgewiesen werden, die Staatsanwaltschaft ermittelt hier noch. Bei seiner Verurteilung meinte der Richter, der auch den Terrorprozess leitete: "Sie sind ein IS-Mann. Davon sind wir überzeugt."