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"Selbstverblödung des Staates"

Von Simon Rosner

Politik

Warum Österreichs Verwaltung Gefahr läuft, massiv an Qualität zu verlieren. Eine Initiative fordert Maßnahmen.


Im vorigen Sommer beschrieb der der Jurist und Organisationsentwickler Wolfgang Gratz in einem langen Beitrag für die "Wiener Zeitung" die "hohen Kosten der Banalisierung des Regierens". Der Verwaltungsexperte sezierte darin den schleichenden Qualitätsverlust der Ministerialbürokratie und seine Ursachen, speziell durch das Primat der Parteipolitik in Österreich. Am Ende des Textes schrieb Gratz: "Es wäre wünschenswert, dass sich einige kundige Menschen zusammentun, deren Besorgnis und Empörung groß genug ist, um das Risiko eines Engagements einzugehen." Wenige Tage danach erhielt der Autor zwei Anrufe.

Etwas mehr als ein halbes Jahr später präsentierte Gratz mit 15 weiteren namhaften Proponentinnen und Proponenten die "Initiative bessere Verwaltung", darunter sind ehemalige Spitzenbeamte wie Manfred Matzka, Thomas Wieser, Clemens Jabloner, Elisabeth Dearing sowie einige Forscher und Forscherinnen. Gemeinsam formulierten sie in sieben Kapiteln rund 50 konkrete Vorschläge. Deren Aufbereitung dem Verwaltungsmanagement entlehnt: Erst wurde der Status quo beschrieben und analysiert, im zweiten Schritt dann Ziele definiert und im dritten Schritt konkrete Maßnahmen angeführt. So sieht gute Verwaltung aus.

Chronisch schwaches Krisenmanagement

Oliver Scheiber, Richter in Meidling, gab zu: "Verwaltung klingt trocken", sein Nachsatz: "Sie bestimmt aber unsere Lebensqualität". Egal, ob Kinderbetreuung, innere Sicherheit oder schulische Bildung, all das ist Teil der Verwaltung. In den vergangenen drei Jahren ist ihr Wirken pandemiebedingt, für jeden und jede spürbar, weit in den privaten Bereich eingedrungen. Die Krise offenbarte für Gratz, dass "organisatorische und politische Unterbegabung zu einem Überschuss an Repression führte". Das habe auch zur Spaltung beigetragen.

Österreichs Bilanz nach drei Jahren Corona-Pandemie ist tatsächlich schwach. Die Kosten waren enorm, höher als in den meisten anderen Ländern Europas, und zwar sowohl budgetär als auch auch in Form der Maßnahmen, die tendenziell strenger und länger in Kraft waren als anderswo. Bei der Übersterblichkeit schnitt Österreich dagegen nur durchschnittlich ab, jedenfalls schlechter als Länder wie Schweden, Schweiz, Dänemark oder Irland. Und bei der Teuerungskrise zeigt sich Ähnliches: Wieder sind die Kosten extrem hoch, der Output aber nicht.

Krisen stellen Politik und Verwaltung vor besondere Herausforderungen. Gratz beschrieb mehrfach, auch in der "Wiener Zeitung", wie die heimische Bürokratie diesen Anforderungen immer weniger gerecht wird. Deshalb ist dem Krisenmanagement auch ein eigenes Kapitel im Thesenpapier gewidmet. Unter anderem soll es während solcher komplexen Krisen eine laufende Evaluierung geben, nicht erst danach, schlug Gratz vor. Das fehle auch im Entwurf zum Krisensicherheitsgesetz, das derzeit (bis Donnerstag) in Begutachtung ist.

Hohe Kosten des schlechten Verwaltens

Doch Krisen sind nur das Brennglas für die Qualität der Verwaltung, wenn deren Verminderung besonders spürbar ist. Scheiber nannte als Beispiel auch das "Kaufhaus Österreich", das zwar ein Lacherfolg im Internet wurde, aber eben auch Millionen verschlang. "Schlechte Verwaltung kostet Geld", sagte Verfassungsjurist Heinz Mayer bei der Präsentation im Presseclub Concordia.

Die Initiative konzentriert sich auf die Bundesverwaltung, speziell auf die Ministerialbürokratie. Clemens Jabloner, Verwaltungsjurist und Vizekanzler der Beamtenregierung, ortet die österreichischen Ministerien "in der Krise", wie er sagte, und er sieht ein Missverhältnis zwischen "politischer und fachlicher Leitung". Gemeint ist: Die Ministerkabinette werden immer größer, und das sei "schädlich", so Jabloner.

Erst kürzlich hat eine Anfragenserie der SPÖ ergeben, dass in den Büros der 14 Ministerinnen und Minister (inklusive Kanzleramt) knapp 250 Mitarbeiter tätig sind. Tendenz seit Jahren: steigend. Mit der Installierung der Generalsekretäre mit Weisungsbefugnis 2017, verstärkte sich die politische Steuerung aus den Kabinetten, für deren Mitarbeiter aber keine Qualitätserfordernisse gelten. "Es hat sich als Desaster erwiesen", urteilte Jabloner mit Verweis etwa auf den Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid. Wie dessen Chats, aber auch Nachrichten anderer Generalsekretäre offenbaren, dürften sich zumindest einige als parteipolitische Speerspitzen verstanden haben, nicht aber als Staatsdiener.

Parteipolitik soll zurückgedrängt werden

Die Initiative für bessere Verwaltung fordert eine Reduktion der Kabinette auf maximal sechs Personen pro Ministerium, Qualifikationserfordernisse auch für Büromitarbeiter, keine Doppelverwendungen, etwa als Kabinettchef und Abteilungsleiter, die Abschaffung der Generalsekretäre und eine Cooling-off-Phase für Kabinettsmitarbeiter, die in die Verwaltung wechseln.

In den vergangenen Jahren waren außergewöhnlich viele Personen aus Kabinetten in die Verwaltung "gedrückt" worden, wie es Jabloner formulierte. Organisationsreformen in Ministerien sind zwar manchmal geboten, doch die dann notwendigen Neubesetzung von Sektionen und Abteilungen stellen für Parteien oft erwünschte Nebenwirkung dar. Künftig soll das von Rechnungshof und Interner Revision begleitet werden.

Parteipolitische Besetzungen, mittlerweile bis auf Ebene der Referate hinunter, haben auch vielen Beamten Aufstiegschancen genommen. Für die Personalentwicklung ist das verheerend. Irmgard Griss, ehemalige Höchstrichterin, sagt: "Der Staat muss die besten Leute anziehen. Wir können nicht mehr so weiter tun." Jabloner sprach sogar von der "Selbstverblödung des Staates".

In den kommenden Jahren wird die Pensionierungswelle auch durch die Ministerien fegen. Es steht daher nicht gerade wenig auf dem Spiel. "Wir hoffen, dass im nächsten Regierungsprogramm einiges von den Forderungen aufgegriffen wird", sagte Griss. Erste Kontakte zu Parteien habe man bereits geknüpft, sagte Gratz.