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Wider den Zugriff der Parteien

Von Simon Rosner

Politik
Illustration: getty images / sesame
© Illustration: getty images / sesame

Warum aus der Verwaltung Hilferufe zu vernehmen sind und pessimistische Zukunftsszenarien gemalt werden.


Wenn Thomas Wieser ins Erzählen kommt, kann man es mit der Angst zu tun bekommen. Der Ökonom war über Jahrzehnte im Finanzministerium tätig, bis 2012 als Sektionschef für Wirtschaftspolitik. Danach wechselte er nach Brüssel, war auch dort Spitzenbeamter und Koordinator der Gruppe der Finanzminister der Euro-Staaten inmitten der Schuldenkrise. Wieser ist unzweifelhaft ein Kenner der österreichischen Verwaltung sowie auch anderer europäischer Bürokratien. Sein Befund über Zustand und Zukunft der heimischen Ministerien ist düster.

Der langjährige Sektionschef beschreibt nämlich ein Bild einer Verwaltung, die, im Würgegriff der Parteien, bereits massiv an Qualität eingebüßt hat. Immer größer gewordene Kabinette seien zu Parallelverwaltungen geworden, die an den Beamten vorbei regieren. In den Ministerbüros fehle es den meist jungen Mitarbeitern an Fachwissen und Erfahrung, es zähle Loyalität zur Partei, nicht zum Gemeinwesen. Werden Leitungsposten in der Verwaltung frei, werden sie oft durch ebendiese Mitarbeiter besetzt, Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Verwaltung werden verbaut. Das bedingt Demotivation und senkt die Qualität. Und sind einmal keine Stellen frei, wird zum Stilmittel der "Organisationsreform" gegriffen. Dadurch entstehen neue Abteilungen und Sektionen, die auch neu besetzt werden müssen.

Das ist keine Exklusivmeinung Wiesers. Auch Manfred Matzka, lange Jahre Spitzenbeamter in Innenministerium und Bundeskanzleramt, hat sich in jüngerer Vergangenheit in Interviews ähnlich geäußert. Die "Wiener Zeitung" hat auch weitere, teils hochrangige Personen aus Ministerien befragt, die diese Beschreibungen teilen. Unter anderem deshalb hat sich auch die "Initiative bessere Verwaltung" gefunden, die ihren konstruktiven Hilferuf mit rund 50 konkreten Maßnahmen und Forderungen versehen hat. Auch Wieser und Matzka sind Teil dieser Initiative.

Dass die Kabinette der Ministerinnen und Minister immer größer werden, ist tatsächlich so. Bereits 247 Mitarbeiter sind in den Regierungsbüros tätig. Und dass diese Kabinette auch wirklich zu Eingangstoren für die Verwaltung werden, zeigte eine Auswertung der mittlerweile eingestellten Rechercheplattform "Addendum". Von 154 Kabinettsmitarbeitern in ÖVP geführten Ministerien und 181 in SPÖ geführten landeten zwischen 2008 und 2018 41 bzw. 35 Prozent in der Verwaltung. Auch die beschriebenen Organisationsreformen finden auffallend häufig statt. Die jüngste Dienststellenreform beim Heer war aber auch der Hofburg zu viel. Am Ende musste die Umstrukturierung zu großen Teilen wieder zurückreformiert werden.

Das parteipolitische Agieren der 2017 in ihrer jetzigen Form installierten Generalsekretäre ist dank der Ermittlungen gegen den späteren Öbag-Chef Thomas Schmid ausführlich dokumentiert worden - und er war nicht der einzige Generalsekretär, dessen Kommunikation öffentlich wurde.

Erschütternde Berichte des Rechnungshofs

Dass die einst hochgelobte heimische Verwaltung mittlerweile echte Defizite aufweist, ist auch an den Ergebnissen zu ermessen. Die Covid-Krise offenbarte erhebliche Probleme, und auch aus den Berichten des Rechnungshofs ist zu entnehmen, mit welch geringer Qualität politische Vorhaben umgesetzt werden. Das "Kaufhaus Österreich" dient hier als eine Art Mahnmal, aber erst in der Vorwoche zeigte der Rechnungshofbericht über die Handy-ID, wie es offenbar läuft. Bei der Umsetzung vertraute man vor allem auf Externe statt auf die Beamtenschaft, die Kosten wurden massiv überschritten, es gab keine Gesamtprojektleitung, am Ende fehlten sogar Akten.

Addiert man nun die Erzählungen ehemaliger Spitzenbeamten mit diesen Wahrnehmungen der jüngeren Vergangenheit und bedenkt, dass in den kommenden fünf bis sieben Jahren ein hoher Anteil des Leitungspersonals in den Ruhestand eintreten wird, lässt sich vielleicht besser ermessen, warum einen die Angst beschleichen kann und ein Experte wie Wieser pessimistisch ist. Viel Know-how wird aus den Ministerien verschwinden und der Staat Schwierigkeiten haben, am kompetitiven Arbeitsmarkt der Spitzenkräfte zu reüssieren.

"Wenn man die Verwaltungen Europas auflistet mit Holland an der Spitze und Griechenland am Ende, sind wir schon nahe an Griechenland", sagt Wieser.

Eines der zentralen Anliegen der Initiative ist es, den parteipolitischen Durchgriff zu unterbinden. Die Kabinette sollen auf maximal sechs Personen pro Ministerium reduziert werden. Auch EU-Kommissare kommen damit aus. Das ist die nachhaltigste Maßnahme, da sie bedingt, dass sich nur schwer Schattenverwaltungen mit informellen Hierarchien bilden können. Auch eine Folge: Später müssten dann auch weniger Posten für die Kabinettsmitarbeiter gefunden werden.

Hypo-Desaster als Folge des Versagens

Die Initiative verlangt auch ein Ende von Doppelverwendungen in Verwaltung und Kabinett, dazu Cooling-off-Perioden, damit nicht mehr direkt Personal aus den Büros der Minister zu Sektionschefs werden kann. Bei Organisationsreformen soll der Rechnungshof eingebunden werden, damit nicht die Parteipolitik die Hauptrolle spielt. Die Generalsekretäre sollen gänzlich gestrichen werden (teilweise werden sie das bereits, aber nicht gesetzlich). Bei Bewerbungsprozessen sollen bei Personalkommissionen, die Vorsitzenden gelost werden, um Hindernisse für politisch gewünschte Besetzungen einzuziehen.

Ein Mehrbedarf an Personal soll künftig über die reguläre Verwaltung statt über Kabinette abgedeckt werden. Wieser berichtet aus seiner Zeit im Finanzministerium: Als in Europa die Bankenkrise ausbrach, wurden in den Niederlanden 40 hochqualifizierte Fachleute eingestellt und ein Kompetenzzentrum wurde eingerichtet. In Österreich kam einer. Wie das am Ende für den Staat ausging, ist unter anderem in der Aufarbeitung der Kommission von Irmgard Griss nachzulesen. Kurz: Es kam dem Staat sehr teuer.

Auch Griss hat sich übrigens der "Initiative bessere Verwaltung" angeschlossen. Nachdem die Inhalte in der Vorwoche präsentiert wurden, haben sich nun schon mehr als 60 Interessierte gemeldet. Erste Gespräche mit politischen Vertretern stehen bevor. Das gibt vielleicht doch ein bisschen Anlass zu Optimismus.