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Traumatisiert, nicht unqualifiziert

Von Stefan Beig

Politik

Flüchtlingstraumata erschweren Integration. | Flüchtlingskinder sind teils hochqualifiziert. | Europäisches Zentrum für Migrationsforschung befasst sich damit. | Wien. "Bei Verhaftungen wird man vor den Augen der Verwandten geschlagen, die eigene Ehefrau vergewaltigt. Uniformierte nehmen Leute plötzlich weg, Personen verschwinden einfach", erzählt Aslan, ein tschetschenischer Asylwerber. Politische Flüchtlinge nehmen neben ihrem spärlichen Hab und Gut oft schwere Traumata mit in ihr Aufnahmeland. Die Anlässe für Verhaftungen sind dort mitunter banal: "Manchmal genügt es auf der Straße die Exekutive nicht anzulächeln, um festgenommen zu werden."


Zurzeit bilden Tschetschenen die größte Gruppe der Asylwerber in Österreich. Geschätzte 25.000 leben hier, 12.000 davon wurde Asyl gewährt. Viele wissen nicht, wie es ihren Eltern geht: "Es ist

gefährlich, mit den Verwandten zu telefonieren", berichtet Aslan, der seit 2006 in Österreich lebt.

Der Staat als Bedrohung

Österreich hat in den vergangenen Jahrzehnten Flüchtlingswellen aus verschiedenen Ländern erlebt. Mit den Traumata und ihrer Verarbeitung befasst sich schon seit 1982 das Europäische Zentrum für Migrations- und Integrationsforschung (Eumig) in Wien. "Oft geschieht beim Asylverfahren eine Retraumatisierung durch das Befragen", erzählt der wissenschaftliche Leiter Karl Bohrn. "Politische Flüchtlinge wurden in ihrem Herkunftsland nicht ausreichend geschützt, der Staat ist für sie etwas Bedrohliches. Die Befragung führt zur Wiederauslösung alter Traumatisierungen. Das Verhalten der Asylwerber macht dann schlechten Eindruck und erschwert es, den Asylstatus zu bekommen." Der Psychotherapeut kennt die Probleme aus der Praxis und hat sich im Rahmen seiner Forschungstätigkeit auch mit Langzeitfolgen von Folter und Exil befasst.

Als "kumulative Traumatisierung" beschreibt Sebastian Bohrn-Mena, Eumig-Geschäftsführer und Karl Bohrns Sohn, die Erfahrung politischer Flüchtlinge: "Erst Folter im Herkunftsland, das Verlassen der Heimat und Ablehnung im Aufnahmeland: Diese anhaltenden Retraumatisierungen beeinträchtigen die Aufarbeitung und erschweren die Integration massiv." In Österreich fehle meist die therapeutische Betreuung: "Es gibt keine langfristige Unterstützung, sondern nur eine kurze Krisenintervention."

Ein Augenmerk von Eumik gilt auch der angespannten Lage der Flüchtlingskinder. "Sie übernehmen oft Aufgaben und Funktion, die ihrem Alter nicht angemessen sind", berichtet Bohrn-Mena. Es passiere das, was in der Fachwelt "Parentifizierung" genannt wird - ein Rollentausch zwischen Eltern und Kind. "Junge Flüchtlinge kommen in ein Land, wenn sie noch in einer Entwicklungsphase sind. In der Schule lernen sie Deutsch und werden in die Gesellschaft eingegliedert. Die Eltern sind hingegen oft isoliert und unterbezahlt. Ihre Kinder werden zum Bindeglied zur hiesigen Gesellschaft. Sie begleiten etwa die eigenen Eltern zum Arztbesuch."

Solche Kinder sind frühreif und nach außen hin bestens integriert: "Sie passen sich an und haben früh gelernt, sich Sorgen um die Eltern zu machen. Sie kommen viel besser zurecht als ihre Eltern, orientieren sich an der neuen Gesellschaft, suchen sich neue Vorbilder. Das Rollenmodell der Eltern fehlt. Kinder übernehmen früh eine sehr hohe Verantwortung", analysiert Karl Bohrn.

Das präge auch ihre spätere Entwicklung: "Die emotionale

Abhängigkeit zu den Eltern bleibt bestehen, die bereits erwachsenen Kinder fühlen sich weiter für ihre Eltern verantwortlich. Das kann, aber muss nicht entwicklungshemmend sein." Dabei bilde sich im Inneren eine abgespaltene Persönlichkeit: "Einerseits stehen sie später voll im Leben, wurden integriert und assimiliert, sprechen sogar besser Deutsch als der durchschnittliche Österreicher, andererseits sind sie emotional über die Eltern ihrem Heimatland verbunden. Ein Chilenin erzählte mir einmal, sie sei im Herzen Lateinamerikanerin und mit dem Verstand Österreicherin."

Die hohen Anforderungen der Kindheit und die Beheimatung in zwei verschiedenen Kulturen macht einige Migranten der zweiten Generation daher später zu "hochqualifizierten und sehr leistungsfähigen Menschen", wesentliche Voraussetzungen "für Erfolg in der Aufnahmegesellschaft", so Bohrn. Gleichzeitig bleibe bei vielen eine Ambivalenz im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit bestehen.

Beide Wissenschafter räumen ein, dass auch andere Faktoren für eine geglückte Integration wichtig sind. "Kulturelle Unterschiede spielen eine Rolle: die Vergleichbarkeit, was Werte, Akzeptanz und Aussehen betrifft", so Bohrn. "Ein Afrikaner hat es a priori schwieriger. Zudem ist die Bildungsbewusstheit der Eltern entscheidend." Wichtig sei weiters eine Bezugsperson in der

Gesellschaft, "vor der man keine Angst hat, der man vertraut und von der man Anerkennung

erfährt." Im Hinblick auf das

Zusammenleben von Österreichern und Migranten meint Bohrn: "Beide Seiten haben Bilder und Konstruktionen über den anderen in ihren Köpfen."

Verklärung der alten Heimat

Ein weiteres Problem vieler Flüchtlinge ist die Verklärung

der Heimat in ihrem Kopf: "1973 haben viele Chilenen aus

politischen Gründen ihre Heimat verlassen", berichtet Sebastian Bohrn-Mena. "In Österreich

begannen dann einige, ihr Herkunftsland zu idealisieren. Als sie schließlich 1990 zurückkehrten, bemerkten sie, wie stark sich die Gesellschaft verändert hat. Das Idealbild wurde zerstört und das führte zur Frustration, nirgendwo zu Hause zu sein."

Gesund sei es auf jeden Fall, wenn sich Migranten sowohl mit ihrer eigenen Community beschäftigen als auch mit der neuen: "Dazu gehört auch die psychische Integration, es zuzulassen, Österreicher zu werden." Bohrn-Meta und sein Vater sind überzeugt: "Wenn es Zuwanderer schaffen, ihre Ressourcen freizusetzen, bedeutet das auch ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Ob das gelingt, hängt aber auch von der Förderung ab."