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Turnstunden Opfer der Autonomie

Von Barbara Sorge und Petra Tempfer

Politik
Der Turnunterricht soll Kindern Zugang zu Sport geben, die sonst nicht damit in Berührung kommen.
© © © Ocean/Corbis

Österreichs Kinder werden dicker und unbeweglicher. | Weniger Sport aufgrund der Schulautonomie. | Sportangebot an Schulen soll durch ganztägiges Angebot steigen.


Wien. Mit der Kinder- und Jugendgesundheit sieht es in Österreich nicht gut aus. Laut Studien der OECD und der Unicef liegt Österreich in den Bereichen "Gesundheit" und "Risikoverhalten" von Kindern und Jugendlichen an der letzten Stelle aller europäischen Länder. Gleichzeitig gibt es keine genauen Daten, die einen Überblick geben über die Entwicklung zum Beispiel von Übergewicht oder Haltungsschäden über mehrere Jahre hinweg. Eine große Forderung unter anderen der Schulärzte ist daher eine einheitliche Datenerfassung über den Gesundheitszustand der Schüler.

Subjektive Erfahrungen gibt es hingegen viele. Brigitte Vincze, Sportlehrerin an der Informatik-Hauptschule in Sankt Andrä-Wördern beklagt zum Beispiel, dass Kinder gar nicht mehr daran gewöhnt sind, Sport zu machen. Einerseits haben Eltern oft zu wenig Zeit, um mit dem Kind Radfahren zu gehen oder Ähnliches. Gleichzeitig gibt es auch an der Schule zu wenige Sportstunden. "Wir haben zumeist bewusst Einzelstunden, damit die drei Turnstunden aufgelockert über die gesamte Woche verteilt sind." Dadurch sinkt auch die Gefahr, dass zu viele geblockte Turnstunden aufgrund von Feiertagen ausfallen.

Weniger Sportstunden durch Schulautonomie

Verantwortlich für die Stundenkürzungen ist einerseits das Bildungsministerium - und andererseits die Schulen selbst, die ihre Schulautonomie ausnützen. Aus einem Rechnungshofbericht von 2008 geht hervor, dass es seit 2001/2002 zu Stundenkürzungen für Bewegung und Sport von bis zu fünf Prozent gekommen ist. Zwar sei das Angebot an unverbindlichen Übungen angestiegen, allerdings wirke dieses den Kürzungen nur zum Teil entgegen.

Für die Sekundarstufe 1 (10- bis 14-Jährige) sind 13 (Hauptschule) beziehungsweise 14 (AHS) Stunden Turnen vorgesehen. Die Schulen haben aber die Möglichkeit, die in den Lehrplänen vorgesehenen Stunden innerhalb eines Rahmens zu verändern.

Für Martin Molecz, Vorsitzender des Verbands der Lehrer Österreichs für Bewegung und Sport an höheren Schulen und Fachinspektor für "Bewegung und Sport" in Wien, ist die Schulautonomie ein großes Problem, wenn es um den Stellenwert von Sportunterricht geht. Viele Schulen würden mehr Wert auf Sprachen oder Mathematik legen und so die Bandbreite der Schulstunden am unteren Rand halten. Die geringe Anzahl von Sportstunden wird vor allem in den letzten Schulstufen zum Problem, wenn es vor allem in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen oft nur noch eine Stunde bis zwei Stunden Sportunterricht gibt, diese geblockt werden - und dann ausfallen. Dadurch kann es sein, dass manchmal nur zwei Turnstunden im Monat stattfinden.

Josef Galley, Pressesprecher von Unterrichtsministerin Claudia Schmied, erklärt dazu, dass das Ministerium die Autonomie der Schulen in keinem Maß beschränken möchte. Außerdem gebe es für alle Schultypen eine Bandbreite.

Abstrakte Ziele in den Lehrplänen

Die Vorgaben im Lehrplan sind sehr allgemein definiert. So heißt es zum Beispiel für die Sekundarstufe1, dass die Schüler fähig sein sollten, "Kunststücke an Geräten zu zeigen" oder die Möglichkeit haben sollen, "Erfahrung mit rollenden und gleitenden Geräten" zu sammeln. Kontrolliert wird das laut Molecz allerdings nicht.

In seinem Bericht aus dem Jahr 2008 hat der Rechnungshof empfohlen, dass überprüfbare Bildungsstandards zu definieren und regelmäßig zu überprüfen wären. Galley führt dazu aus, dass in der Zwischenzeit komplett neue Wege im Unterricht beschritten würden. Mit dem neuen Berufsbild des Freizeitpädagogen für die schulische Tagesbetreuung, die ab diesem Herbst startet, stehe Sport und Bewegung in der Schule auf einer anderen Basis. "Das Sportangebot wird sich automatisch flächendeckend ausweiten", ist er überzeugt.

Dass Sportvereine das Angebot an Schulen ergänzen sollen, sieht Klaus Vavrik, Kinderarzt und Präsident der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, zwiespältig. Einerseits seien das sicher Profis, die etwas von der Sache verstehen. Andererseits stünde in den Vereinen der Leistungsgedanke im Mittelpunkt. Sport an der Schule sollte aber gerade auch jenen einen Zugang zu Sport und Bewegung geben, die diesen zum Beispiel aufgrund von Übergewicht oder motorischer Beeinträchtigung weniger oder gar nicht haben. Auch Molecz unterstreicht die Wichtigkeit von Sport an der Schule, um gerade bei jenen, die wenig Kontakt zu Sport im Alltag haben, ein Bewusstsein für die Wichtigkeit von Bewegung zu schaffen.

Ausreichend Lehrer und tolle Turnstätten

Sportlehrer gibt es ausreichend, heißt es aus dem Bildungsministerium. Bei den Bundesschulen gab es 2010 einen ganz leichten Überschuss - und auch die Länder meldeten, dass sie alle ausgeschriebenen Posten besetzen konnten.

Grundsätzlich wird laut Galley darauf geachtet, dass tolle Sportanlagen zur Verfügung stehen. Daher gebe es auch ein Schulbauprogramm. Mitunter kann das dazu führen, dass Schüler auf Fitness-Center ausweichen müssen, solange der Turnsaal umgebaut wird - oder Billardspielen gehen, wie etwa eine Schülerin berichtet. So etwas sei aber zeitlich begrenzt, meint Galley dazu.