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"Politische Elite hat sich entschlossen, Provinz zu spielen"

Von Katharina Schmidt

Politik

Johannes Voggenhuber über den Zustand der Demokratie. | "So wie in Österreich ist es nur in Italien und in Ungarn."


"Wiener Zeitung": Warum starten Sie ausgerechnet jetzt diese Initiative? Was läuft jetzt mehr falsch als in den vergangenen Jahrzehnten?Johannes Voggenhuber: Jeder in Österreich weiß, was jetzt falsch läuft. Es ist der vollkommene Stillstand, die politische Paralyse. Die Parteien verbringen ihren Tag damit, sich gegenseitig zu blockieren, statt die großen Reformen anzugehen, die schon seit 20 Jahren debattiert werden, ohne jemals umgesetzt zu werden - etwa zu den Themen Bildung, Gesundheit, Landesverteidigung und Verfassung. Das ist in so dramatischen Zeiten wie jetzt völlig unerträglich. Und es ist kein Ende abzusehen. Denn wir haben nicht gelernt, aus dem Schoß der Zivilgesellschaft aufzustehen und die Politiker zur Verantwortung zu ziehen - das tun wir nicht einmal bei Wahlen. Die Wurzel allen Übels in Österreich ist der Mangel an Demokratie. Wir haben kein funktionsfähiges Parlament, wir haben eine Regierung, die sich alle Macht anmaßt und hinter verschlossenen Türen mit einer immer kleineren Gruppe von Funktionären agiert. Die Menschen, vor allem die jungen, entfremden sich in einem rasenden Ausmaß von der Politik.

Wem ad personam schreiben Sie diesen schlechten Zustand der Demokratie zu?

Wenn wir statt einer Demokratie einen Parteien-, Verbände- und Funktionärsstaat geschaffen und geduldet haben, dann dürfen wir uns nicht wundern, dass auch das Personal, das in die Politik geht, aus der dritten Reihe kommt. Und das tut es im Augenblick. Das ist weniger das Verschulden dieser Personen, sondern der Bürger, die die Demokratie nicht erzwingen. 60 Jahre danach sollten wir uns endlich die Demokratie zu eigen machen.

Wer war dann ein Politiker aus der ersten Reihe?

Das ist lange her. Ich kann in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich echte Leadership erkennen, von der großen Ausnahme Bruno Kreisky abgesehen. Die Schwächung des Parlaments ist ein jahrzehntelanger schleichender Prozess. In Bezug auf Europa nimmt das eine tragische Form an. Wir sind zwar ein kleines Land, aber alles wartet auch auf unseren Beitrag. Doch dort geschieht überhaupt nichts. Die österreichische politische Elite hat sich dazu entschlossen, Provinz zu spielen. Damit kann sie ihre feudalen Machtverhältnisse aufrechterhalten und muss nichts ändern, weil die wichtigen Entscheidungen ohnehin in Brüssel getroffen werden und man Brüssel dafür auch noch als Sündenbock vorführen kann. Das ist eine unerhört bequeme Stellung, den Preis dafür zahlt das Land: Statt im Herzen Europas zu sein, wird es hinterste Provinz.

Ist das ein spezifisch österreichisches Problem?

Das ist in diesem Ausmaß ein spezifisch österreichisches Problem. Es geht Europa im Augenblick nicht sehr gut, und es gibt viele politische Verhältnisse in Europa, die sehr fragwürdig und zum Teil gefährlich sind. Aber so wie hier ist es eigentlich nur in Italien und in Ungarn.

Welche Rolle spielt da aus Ihrer Sicht die Opposition?

Die Opposition sitzt im Wartezimmer der Macht und wartet darauf, dass sie durch irgendeinen arithmetischen Lotteriegewinn eines Tages ein paar Sitze in der Regierung hat.

Was erhoffen Sie sich von dem Volksbegehren? Ist nicht die Gefahr sehr groß, dass Sie als Muppet-Show abgetan werden und Ihr Anliegen dann wieder in einer Schublade landet?

Hier spielen die Medien eine gewisse Rolle. Anderswo werden Menschen mit gewisser politischer Erfahrung, die aus der Menge der Raunzer und Schimpfer heraustreten, nicht als Muppet-Show abqualifiziert. Dort heißen sie Elder Statesmen und sind ein wesentlicher Teil der öffentlichen Debatte. In Österreich sind die Entfremdung von der Politik und die Enttäuschung von der Demokratie so weit gediehen, dass man ein paar glaubwürdige und vielleicht mit Verdiensten versehene Menschen braucht, um zu vermitteln. Die Jugend ist genauso klug, intelligent und begeisterungsfähig wie immer. Es bedarf aber unter diesem Bleideckel der österreichischen Verhältnisse einer Ermunterung. Dazu sind wir vielleicht in der Lage.

Das will auch Hannes Androsch.

Das war seine Absicht in einem anderen Brennpunkt der österreichischen Fehlentwicklungen. Ob er mit seinem Volksbegehren alles richtig gemacht hat, ist eine andere Frage.

Androsch hat aus Ihrer Sicht Fehler gemacht?

Ich glaube, dass er zu stark in seinem alten Politikverständnis gehandelt hat. Darüber hat er die Brennpunkte - zum Beispiel die katastrophale Budgetierung der Universitäten - dann ein wenig aus den Augen verloren. Auch war zu wenig Begeisterung von unten spürbar. Wir können etwas anstoßen, aber es ist ganz klar, dass so ein Volksbegehren nur von den Menschen getragen werden kann. Das muss eine Funken sprühende Demokratiebewegung werden, die die Menschen dazu bringt, sich zu mobilisieren und dafür einzutreten. Ich hoffe, dass uns das gelingt. Wenn nicht, dann braucht es vielleicht mehrere Anläufe. Es gibt jetzt schon einige Initiativen in Österreich. Nach dem Ende der Bürgerinitiativenzeit habe ich schon fast nicht mehr daran gedacht, dass sich diese Zivilgesellschaft noch einmal bewegen lässt. Jetzt glaube ich wieder daran.

Sie glauben nicht, dass Ihr Begehren in der Schublade landet?

Alle Volksbegehren - vielleicht mit Ausnahme des ORF-Begehrens - sind in der Schublade gelandet. Aber ich glaube, dass diese Zeiten abgelaufen sind. Der derzeitige Umgang mit Petitionen und Bürgerinitiativen ist so nicht mehr machbar. Es würde den Abstieg der Großparteien beschleunigen, wenn sie noch einmal versuchen, mit einer Demokratiebewegung im Lande so umzugehen wie mit allen Volksbegehren zu bestimmten Sachthemen.

Da geht es um eine Verfassungsbewegung, eine Reform an Haupt und Gliedern, und darum, die Lähmung des Systems zu überwinden. Wenn sie das Begehren entsorgen und sich tot stellen, dann wird das den Verfall der Großparteien enorm beschleunigen. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, dass aus diesen zivilgesellschaftlichen Bewegungen neue Parteien entstehen - und dann zahlen die Großparteien.

Johannes Voggenhuber (61) ist ein grünes Urgestein. 1982 zog er in den Salzburger Stadtrat und damit als erster Grüner Europas in eine Stadtregierung ein. Nach langen Jahren als EU-Abgeordneter verwehrten ihm die Grünen 2009 die Wiederkandidatur.

"Die Opposition sitzt
im Wartezimmer der Macht und wartet
darauf, dass sie eines Tages ein paar Sitze in

der Regierung hat."

"Wenn sie das Begehren entsorgen und sich tot stellen, dann wird das den Verfall der

Großparteien enorm

beschleunigen."