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Von Ostanatolien zum Opernball

Von Stefan Beig

Politik

Özdek hatte zunächst "zwei linke Beine". Heute ist Tanzen sein Leben.


Wien.

Ismet Özdek ist durch das Tanzen "ein anderer Mensch geworden".
© © Andreas Pessenlehner

Wiener Walzer und Wiener Balltradition sind für Ismet Özdek fast so etwas wie ein Lebenselixier. "Der Tanz hat mich verändert. Er ist mein Leben", sagt er zur "Wiener Zeitung". Umso mehr ehrt es ihn, heuer die Choreografie der Opernballball-Eröffnung gestaltet zu haben. In einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren wurde seine Choreografie ausgewählt. Mit seinen 32 Jahren ist Özdek der jüngste Choreograf der Opernball-Geschichte. Dabei war ihm seine Tanzleidenschaft alles andere als in die Wiege gelegt.

"Dort, wo das Wilde Kurdistan von Karl May beginnt, bin ich auf die Welt gekommen", berichtet Özdek und lacht. Karl May habe seine Herkunftsgegend - die ostanatolische Provinz Bingöl - durchaus zutreffend beschrieben. Von technischem Fortschritt und Infrastruktur völlig abgeschnitten war sie, ohne Strom: "Unser Trinkwasser war der Bach, auf die Toilette gingen wir in den Wald, eine dunkle Kammer war unser Kühlschrank, eine Petroleumlampe das einzige Licht zu Hause. Dort waren die Berge, sonst nichts", erzählt Özdek. Von klein auf war er Ziegenhirte, weil "jedes Kind sofort Verantwortung übernimmt".

Gemeinsam mit drei Geschwistern lebte Özdek dort bis zu seinem siebenten Lebensjahr. Als "schön und idyllisch" empfand er seine naturverbundene Kindheit. Bei Sonnenaufgang begann die Arbeit, sobald der Schatten eines Baumes das Ende des Feldes erreichte, brachte es die Schafe zurück. "Die Stiefel haben wir getragen, bis die Sohle weg war."

Die erste große Umstellung erlebte er 1986, als seine Familie in die Westtürkei übersiedelte, nach Bursa, der viertgrößten türkischen Stadt. Aus dem Ziegenhirten wurde ein Schuhputzer. "Nach der Schule musste ich mit irgendetwas unseren Lebensunterhalt verdienen", berichtet Ismet Özdek. Später arbeitete er auf der Baustelle und wurde zum "Arbeiter für alles". 1990 folgte die Übersiedlung nach Wien.

Treibende Kraft hinter all den Ortswechseln war der Vater, der in Ostanatolien keine Zukunft für seine Kinder sah. Er wünschte sich für seine Familie etwas anderes. Ein paar Jahre vor jeder Übersiedlung war er bereits vorausgereist, um für die Familie "das Feld zu bereiten". Von 1986 an hatte er in Wien als Tellerwäscher gearbeitet. Vier Jahre später war genug Geld für eine Wohnung im zweiten Bezirk da.

Die Umstellung war für den Elfjährigen enorm. Er verstand kein Wort, holte die vierte Klasse Volksschule nach, die Nachbarn begleiteten ihn zur Schule, weil er es nicht gewöhnt war, auf der Straße zu gehen. Später besuchte er die Hauptschule und machte die Lehre als Elektroanlagentechniker. Doch der entscheidende Einschnitt kam mit 16 Jahren.

"Ein Nachbar, der mir bei den Hausaufgaben geholfen hat, riet mir, zur Tanzschule zu gehen. Dort würde ich Deutsch erlernen, Leute kennenlernen und Allgemeinbildung bekommen." Für Ismet Özdek war allein schon die Idee ein "rotes Tuch". Er sei das schüchternste und introvertierteste Kind in seiner Familie gewesen, hielt sich immer bei der Mutter auf, der er beim Einkaufen und im Haushalt half. Im Gegensatz zu seinen Kindern hatte er auch nie etwas für "Free Dance" übrig.

Doch der Nachbar zahlte ihm auch den Grundkurs bei der Wiener Tanzschule Watzek. "Nach fünf Wochen habe ich gesagt: Nie wieder", erinnert sich Özdek. Doch beim achten Tanzabend entdeckte er plötzlich den Reiz am Tanzen. Er setzte den Unterricht fort und half in den Grundkursen aus, obwohl ihm zunächst völlig das Rhythmus-Gefühl gefehlt habe. "Die Damen, die keiner wollte, tanzten mit mir und waren froh darüber, dass überhaupt jemand mit ihnen tanzte."

"Ich bin aufgegangen"

Bei einer Tanzprüfung im Jahr 1997 änderte sich auch das: Plötzlich wurde er zum begnadeten Tänzer. "Alles ist rausgekommen, was ich vorher kleingehalten hatte." Fortan war Özdek täglich in der Tanzschule, dort als Assistent auch von den Frauen sehr geschätzt, da er nicht nur sehr gut tanzen konnte, sondern auch sehr geduldig die Tanzschritte erklärte. Die Wiener Bälle - darunter bereits den Opernball - hat er nicht nur eröffnet, er tanzte sogar die aufwendigen Mitternachtseinlagen. Ab 1999 begann er die Tanzlehrerausbildung, die er drei Jahre später abschloss.

"Ich wurde von den anderen akzeptiert, habe Leute kennengelernt, war bei Familien und auf Partys eingeladen", erinnert sich Özdek zurück. "Ich hatte nur mehr mit Inländern zu tun. Durch die Tanzschule bin ich aufgegangen, ein anderer Mensch geworden." Sein Lieblingstanz ist der Wiener Walzer, da er abgesehen vom Ballett die einzige Möglichkeit sei, zur "klassischen Musik" zu tanzen. "Das verbindet mit Österreich und seiner Kultur."

Ab 2002 begann Özdek in Niederösterreich als selbständiger Tanzlehrer Kurse abzuhalten. Ganz hat ihn sein Hang zur Natur nicht verlassen: In Bruck an der Leitha fand er sein Zuhause und eröffnete dort seine Tanzschule "Isi-dance". "Isi" war seit seiner Ankunft in Wien sein Spitzname.

Mittlerweile wurde Özdek auch zum Botschafter österreichischer Tanzkultur. 2010 bereitete er den Opernball in Peking vor, und für Touristen des Club Magic Life in Ägypten machte er ein Tanzprogramm. Nebenbei engagiert er sich als Sanitäter beim Roten Kreuz. So lernte er seine Frau - eine Polizistin und leidenschaftliche Tänzerin - kennen.

Die Teilnahme am heurigen Opernball ist für Özdek ein Höhepunkt. Es sei eine aufwendige Choreografie, die er vorbereitet habe, berichtet der Tanzlehrer Roman Svabek, der das Konzept ausgewählt hat. Svabek will vorweg nur so viel verraten: "Man wird etwas Neues sehen. Özdek hat auf Choreografien der 50er Jahre zurückgegriffen. Das Konzept bleibt der Wienerischen Tradition verbunden." Özdek betont. "Mir ist es wichtig, dass diese Tradition in Österreich erhalten bleibt."

Website Tanzschule "Isi-dance"

Website Zusammen Österreich, Integrationsbotschafter Ismet Özdek