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Ein später Akt der Gerechtigkeit

Von Katharina Schmidt

Politik

Politikwissenschafter Emmerich Tàlos: Richtiger Schritt, aber keine Lösung.


Wien. "Ich werde mit meinem Optimismus langsam lächerlich. Ja, ich muss Optimist bleiben, auch hier drinnen", schrieb Bruno Kreisky Anfang 1935 in sein Gefängnistagebuch. Beinahe 77 Jahre später hat nun Kreiskys Optimismus eine späte Erfüllung erfahren. Denn nach jahrelangem Hin und Her hat der Nationalrat am Mittwoch ein Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer des Austrofaschismus verabschiedet. Damit ist auch die Verurteilung des späteren SPÖ-Bundeskanzlers (1970 bis 1983) wegen Hochverrats zu einem Jahr Kerker nichtig.

Mit dem "Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz 2011" gelten "alle Entscheidungen der Sonder- und Standgerichte sowie der ordentlichen Strafgerichte", die in der Zeit zwischen 6. März 1933 und 12. März 1938 - also zwischen der Außerkraftsetzung des Parlamentarismus durch den christlichsozialen Kanzler Engelbert Dollfuß und der Machtübernahme der Nationalsozialisten - gefällt wurden, als nichtig. Das gilt auch für verwaltungsrechtliche Bescheide, also zum Beispiel polizeiliche Anhaltung. In beiden Fällen verfallen die Urteile nur dann, wenn die Taten "im Kampf um ein unabhängiges, demokratisches und seiner geschichtlichen Aufgabe bewusstes Österreich" gesetzt wurden. Schließlich musste vermieden werden, dass auch die illegalen Nationalsozialisten rehabilitiert werden. Generell tritt die Rehabilitierung automatisch in Kraft, betroffene Personen oder auch deren Nachfahren können aber beim Wiener Straflandesgericht eine schriftliche Feststellung beantragen. Dieses wiederum kann in strittigen Fällen einen Rehabilitierungsbeirat, der im Justizministerium angesiedelt wird, beiziehen. Eine finanzielle Entschädigung ist mit dem Gesetz allerdings nicht verbunden.

Zahl der Betroffenen unklar

Wie viele Menschen von der Rehabilitierung betroffen sind, ist unklar - vor allem deswegen, weil die Zahl der Opfer des Austrofaschismus nicht feststeht. So ist in manchen Quellen von 10.000 Opfern die Rede, der Politikwissenschafter Emmerich Tàlos geht aber davon aus, dass es weit mehr sind, wenn man die Akten der Bezirkskommissariate und jene aus den Bundesländern miteinbezieht. Tàlos arbeitet derzeit an einer Monografie über die Zeit des Austrofaschismus, die im Herbst erscheinen soll. Für ihn ist das Rehabilitierungsgesetz ein wichtiger symbolischer Akt.

Die Differenzen der Großparteien in der Einschätzung der Zeit bestünden allerdings noch weiter. Auch, dass das Bild von Dollfuß immer noch im ÖVP-Klub im Parlament hängt, kann der Politologe nicht verstehen.

Die Bemühungen zur Rehabilitierung der Opfer datieren jedenfalls weit zurück: Bereits 2004 von SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim angeregt, haben die Grünen den Gesetzesentwurf im Jahr 2009 eingebracht. Dann scheiterte das Gesetz lange vor allem am Widerstand der Volkspartei. Erst im Herbst 2011 kam es zu einem gemeinsamen Entwurf von SPÖ und ÖVP, der wiederum Teilen der SPÖ nicht weit genug ging.

Prammer lobt Neugebauer

Das jetzt verabschiedete Gesetz wurde von allen Parteien mitgetragen, jedoch kommt darin - auf Wunsch der ÖVP - der Begriff "Austrofaschismus" nicht vor. Dafür werden die Verurteilungen jener Zeit als "Unrecht im Sinne des Rechtsstaats" bezeichnet.

Auch ÖVP-Verhandler Fritz Neugebauer hielt sich bei der Plenardebatte am Mittwoch an diese Worte: Das Gesetz sei eine "Anerkennung, die jenen gebührt, denen Unrecht im Sinne eines Rechtsstaates widerfahren ist". Nichtsdestotrotz zollte ihm Nationalratspräsidentin Barbara Prammer Respekt: Neugebauer habe "viel Mut besessen". Nun werde den Menschen, die ihr Leben verloren, "nachträglich und zweifellos sehr spät Gerechtigkeit zuteil". Für den Grünen Harald Walser ist das Gesetz ein Zeichen dafür, dass in dieser Frage nun "Normalität aufkommt".