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Schleierhafte Berührungsängste

Von Stephanie Lehner

Politik
Frauen mit und ohne Migrationshintergrund kommen bei Station Wien zusammen.
© © Station Wien

Diverse Programme in Wien lassen neue Freundschaften entstehen.


Wien. "Reich und Schön" und "Die Barbara Karlich Show" - im ersten Jahr ihres neuen Lebens in Österreich dienten Frau T. vor allem Fernsehserien als tägliche Deutschlektion. Die ehemalige Buchhalterin kam vor zehn Jahren aus der Westtürkei zu ihrem Mann nach Wien. Zwar lernte er mit ihr Deutsch und motivierte sie, ihre Sprachkenntnisse im Alltag anzuwenden - "Mein Mann war der beste Deutschkurs." - doch eines fehlte der zweifachen Mutter auch noch Jahre nach ihrer Ankunft: Freunde als Gesprächspartner. "Ich habe Angst vor dem Sprechen mit Österreichern gehabt."

Der Austausch zwischen Migranten und Einheimischen scheitert oft an der Kontaktscheu auf beiden Seiten. In vielen Wiener Parks sitzen Frauen mit Kopftuch oft in einer Ecke beisammen - weit entfernt von ihnen sitzen die Anderen. Die Sprache allein ist es nicht, die trennt. Dass es auch ihr Kopftuch ist, das ihre Wahrnehmung auf Wiener stark verändert, kann Frau T. aus Erfahrung bestätigen. Erst seit dem Frühjahr 2011 trägt sie den Schleier. Vorher hat sie sich das nicht getraut, aus Angst vor den geringschätzigen Blicken, die sie im Alltag bereits beobachtet hatte.

"Als ich das Tuch noch nicht getragen habe, hat im Bus einmal eine alte Dame über verschleierte Frauen neben sich den Kopf geschüttelt - und mir dann freundlich zugenickt", berichtet Frau T. Vor einiger Zeit ist sie auch gemeinsam mit einer Freundin angewiesen worden, sich nicht auf eine Bank in einer Wohnanlage zu setzen. "Ohne Kopftuch ist mir das noch nicht passiert."

Um den Austausch zwischen Migrantinnen und Nicht-Migrantinnen zu fördern, wurden mittlerweile einige Projekte in Wien gestartet. Auch viele muslimische Frauen treten über solche Initiativen mit anderen Frauen in Kontakt. Frau T. besuchte 2008 einen "Mama lernt Deutsch"-Kurs. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie vom Verein Station Wien in Margareten und von dessen Kontaktepool, der Kontakte zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund vermittelt.

Zielgruppe sind einerseits zugewanderte Menschen, die ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen, andererseits Einheimische, die Menschen von anderen Kulturen besser kennenlernen wollen. In einer Datenbank tragen sich alle Interessierten ein - die meisten davon sind Frauen. Die Station vermittelt danach Freundschaften, und achtet dabei auch, ob die Weltbilder der Eingetragenen gut zusammenpassen.

Ihre Kontaktfreundschaft können die Teilnehmer dann frei gestalten. Seit vier Jahren trifft Frau T. nun ihre pensionierte Freundin regelmäßig. Sie gehen ins Museum, spazieren in Parks und laden sich gegenseitig ein, gemeinsam mit der ganzen Familie. Zurzeit lesen sie zusammen ein Buch der SPD-Politikerin Lale Akgün, die in Istanbul geboren wurde. "Es tut so gut und motiviert mich zum Lernen. Ich finde, jede Frau sollte das nützen", meint Frau T.

Ob der religiöse Glaube in der Kontaktfreundschaft eine Rolle spielt, entscheiden die Teilnehmer selbst, sagt die Projektleiterin, Martina Sinowatz. Es gebe Österreicher, die nicht mit sehr religiösen Menschen zusammen sein wollen. "Andere betonen von sich aus, dass sie das nicht stört", erzählt Sinowatz. Bei Konflikten könne der Islam schon zum Thema werden. "Manche Österreicher haben das Gefühl, sie werden missioniert." Und manchen Muslimas werde das Kopftuch ausgeredet. Doch solche Konflikte passieren vielleicht einmal in zwei Jahren, sagt Sinowatz. "Meine Freundin fragt mich viel über den Islam. Ich kann aber noch nicht alles so gut auf Deutsch erklären", berichtet die Kindergärtnerin Frau T. lachend.

Begleitend zu den vermittelten Freundschaften besuchen die überwiegend weiblichen Kontaktfreundinnen - darunter sind zum Beispiel auch Afrikanerinnen - gemeinsame "Talenteabende", bei denen sie ihre traditionellen Kleider vorstellen und ihre persönlichen Talente unter Beweis stellen, wie etwa Singen und Tanzen. Es wird auch gemeinsam gekocht. In ungezwungener Atmosphäre binden sie sich gegenseitig die Kopftücher. Gemeinsame Picknicks finden ebenfalls statt und einmal im Monat steht cinemama auf dem Programm: Vormittagskino im Filmcasino. Gemeinsam schauen sie sich Kinofilme mit in- und ausländischen Migrationsgeschichten an. Ermöglicht wird das durch eine kostenlose Kinderbetreuung zur gleichen Zeit.

Auch andere Institutionen führen solche Projekte zum Austausch durch. Die Wiener Magistratsabteilung 17 (Integration und Diversität) stellt in vier ihrer fünf Regionalstellen Frauenvernetzungsplattformen zur Verfügung. Die MA17 spricht dabei Frauen in den bereits existierenden Vereinen an und lädt sie zu den gemeinsamen Aktivitäten der jeweiligen Regionalstellen ein. Von Vorträgen zu Fortbildung oder Gartengestaltung bis zu Exkursionen reicht das Angebot.

Das Kopftuch wird dabei nicht als Thema forciert, sagt Kathrin Lipowec von der Regionalstelle Ost. "Natürlich gibt es auftretende Diskussionen. Aber wir halten es nicht für sinnvoll, ein Stück Stoff in den Vordergrund zu stellen." Lipowec betreut auch das MA17-Projekt "Sei dabei". Auch hier kommen Frauen aus verschiedenen Kulturkreisen - mit und ohne muslimischen Glauben - beim Essen und bei Ausflügen in Wien zusammen, erzählt Lipowec.

Das Kopftuch - ein Hindernis für Akzeptanz?

Das Familienzentrum "friends" der Kinderfreunde Leopoldstadt hat diverse Angebote für Frauen auf der Suche nach Begegnungen. Dazu gehört etwa das Projekt "Friends Deutsch Power", eine Sprachwerkstatt, die sehr niederschwellig angesetzt ist. "Alle sind eingeladen, es sind sehr viele Kopftuch Tragende dabei", erzählt Bernadette Mayrhofer, die Koordinatorin für Elternbildung bei "friends". "Wir wollen den Frauen ihre Kompetenzen als Hausfrauen bewusst machen. Einige sind bildungsferne Personen. Wir wollen sie motivieren, sich weiterzubilden." Dann könnten sie später auch in einen "normalen" Deutschkurs einsteigen.

Auch ein Eltern-Kind-Café bietet "friends" an, bei dem "alle Bevölkerungsschichten" zusammenkommen, sagt Mayrhofer. "Hier findet ein Austausch statt. Wir nehmen Frauen mit Kopftuch einfach alle gleich wahr, aber sie sind alle so unterschiedlich. Weil wir sie über einen Kamm scheren, nehmen sie sich auch selbst so wahr." Das "Demokratiemonitoring" der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft hat ergeben: 67 Prozent der Österreicher sehen vor allem im Kopftuch ein "großes" Hindernis, um von der Mehrheitsbevölkerung akzeptiert zu werden. In ihrem "Rassismus-Report 2010" spricht die Initiative Zara von immer mehr Angriffen auf Kopftuchträgerinnen in der Öffentlichkeit.

Frau T. sitzt in der Station Wien und trinkt lächelnd ihren Tee aus. Sie fürchtet sich nicht mehr davor, Kontakt zu Österreicherinnen aufzubauen und zu halten. "Meine Freundin ist wie ein Familienmitglied. Wir werden uns immer sehen."