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Die größte Minderheit Europas

Von Jérôme Segal

Politik

Die Roma-Kultur ist ein geschütztes Kulturerbe.


Wien. Roma kommen leider meistens in den Medien nur vor, wenn es um das Bettelverbot geht oder wenn über Verfolgungen in Ungarn, Italien oder Frankreich berichtet wird. Wenig wird über die Roma-Kultur geschrieben.

Die jugendliche Gruppe Kesaj Tchave ist auf internationalen Festivals präsent.

Etwa 25.000 Roma und Sinti leben in Österreich offiziell, wenn man die Flüchtlinge aus Exjugoslawien dazuzählt, dürfte ihre Zahl mindestens dreimal so hoch sein. Beide Volksgruppen kommen ursprünglich aus Indien, auf ihrer Flagge ist ein Speichenrad wie auf der indischen Flagge zu finden.

Die Sinti sind in Österreich eine Minderheit in der Minderheit. Die beiden großen Gruppen sind die "Lovara"-Roma mit ungarischen Wurzeln und vor allem die "Kalderasch"-Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien. Beide Minderheiten wurden massiv von den Nazis verfolgt und ermordet. Doch wurde der Völkermord an den Roma - Porajmos - nie im gleichen Ausmaß aufgearbeitet wie die jüdische Shoah. Der Präsident des Kulturvereins der Österreichischen Roma, Rudolf Sarközi, wurde selbst in einem KZ geboren und bekam erst sehr spät die ihm gebührende Anerkennung. Ihm ist es zu verdanken, dass die Roma 1993 als österreichische Volksgruppe staatlich anerkannt wurden.

In ganz Europa leben zwischen 12 und 20 Millionen Roma; sie sind die bei weitem größte Minderheit Europas. Als "Europäer par excellence" bezeichnete sie der deutsche Schriftsteller Günter Grass. In einer Rede im Jahr 2000 im europäischen Parlament beschrieb er ihren Beitrag zur europäischen Kultur und Geschichte: "Sie sind Europas beweglichste Bürger. Sie überwinden Grenzen. Sie sind mehr als alle anderen bewährte, weil leidgeprüfte Europäer." Vielleicht rufen sie auch manchmal Ängste hervor, wenn Nationalismen wieder hochkommen. "Die Verfolgung in Frankreich, im Sommer 2010, und die daraus resultierenden Massenabschiebungen wurden eigentlich zum Glück im Unglück", meint Gilda Horvath, die Obfrau des Roma-Vereins Lovara Österreich. Die "gebürtige Wiener Romni" - wie sie sich selber definiert - engagiert sich kulturell wie medial für die Roma. Kürzlich organisierte sie eine Demonstration vor dem Haus der Europäischen Union und bemerkte danach: "Es gab plötzlich Interesse für uns."

Von diesem Interesse hat auch die Roma-Kultur profitiert, vor allem in öffentlichkeitsrelevanten Aspekten. Die Unesco hat Roman, die Sprache der Burgenland-Roma, sowie das Lovara-Liedergut als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Es gibt heutzutage viele bekannte Roma, darunter Künstler wie den Gitarristen Harri Stojka, den Jazz-Musiker Zipflo Weinrich, die Schauspielerin Sandra Selimovic oder die Sängerin Ivana Ferencova. Im Jüdischen Museum Wien wird zurzeit Charlie Chaplin geehrt, ohne zu erwähnen, dass seine Mutter Romni war.

Der in Wien etablierte Verein Romano Centro fördert besonders Bildung und Kultur. Kostenlose Nachhilfestunden werden angeboten und eine "Vienna Gipsy Music School" wurde gegründet. Der Kulturverein der Österreichischen Roma ist der älteste Verein, er widmet sich besonders dem Gedenken und der politischen Vertretung, während sich der kleinere Verein "Lovara Österreich" dem Bild der Roma in den Medien widmet. Seit sechs Jahren ist Gilda Horvath von "Lovara Österreich" beim ORF, wo Roma als Volksgruppe eine Sendung haben (Radio Kaktus). Der Verein Roma Service im Burgenland, der von "Charly" Emmerich Gärtner Horvath gegründet wurde, ist vor allem auf akademischer Ebene - in der Bewahrung und Förderung der sprachlichen Identität sowie der Aus- und Weiterbildung junger Roma - aktiv. Der Verein gibt die Zeitschrift "dROMa" heraus.
<br style="font-weight: bold;" /> Roma-Konzert Ende März
Die Welt der Roma-Vereine ist nicht immer rosig und einfach. Etablierte Vereine, wie Romano Centro und der Kulturverein Österreichischer Roma, bekommen Subventionen direkt vom Bundeskanzleramt aus einem Sondertopf für Volksgruppen, andere Roma-Vereine, die meistens von Migranten betrieben werden, sind auf die Großzügigkeit der Länder angewiesen. Die Entscheidungen werden selten nach klaren Ausschreibungen getroffen und - wie es Gilda Horvath betont - es "entstehen dadurch auch interne Rivalitäten". Sie bedauert auch, dass das Bundeskanzleramt viele Ideen der "Roma-Strategie" zur Überwindung von Klischees, etwa durch Bearbeitung der Schulbücher, nicht übernommen hat.

Doch Roma bleiben richtige Europäer und zeigen sich solidarisch. Zwei Roma-Vereine haben sich mit Nicht-Roma-Vereinen zusammengetan, um Kesaj Tchave, eine Gruppe aus der Slowakei, einzuladen. Kesaj Tchave besteht aus Kindern und jugendlichen Roma, die in Barackensiedlungen in der Nähe von Kežmarok wohnen. Gemeinsam mit professionellen Musikern erarbeiten sie ihre Auftritte, die den Grundstein für ein selbstbestimmtes Leben legen sollen. Seit 2004 treten sie auf internationalen Festivals auf. In Wien werden sie am 30. März zum zweiten Mal tanzen und singen (19 Uhr, Längenfeldgasse 13-15, 1120 Wien, http://tinyurl.com/KesajTchave ). Der Eintritt ist frei, mit Einlass-Spende. Ein Stück Roma Kultur für alle.