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Zwistigkeiten im geeinten Europa

Von Ali Cem Deniz

Politik
Nach Eric Papilayas erfolglosem Auftritt boykottierte Österreich drei Jahre lang den Song Contest.

Angeblich nimmt den Song Contest niemand ernst - dennoch schafft er es jedes Jahr, für Wirbel zu sorgen.


Wien. "Oh Erdöl, mein liebes Erdöl", sang die türkische Diva Ajda Pekkan 1980 beim Song Contest. Das obskure Liebeslied an das Öl "Petr’oil" lieferte den Soundtrack zur damaligen Ölkrise. In einem Wettbewerb, den mehrheitlich Schnulzen und billige Spaßlieder dominieren, wollte die Türkei eine echte Innovation beisteuern.

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Der Song hatte aber nicht den erwünschten Erfolg. Die Türkei erhielt nur 23 Punkte, drei davon kamen aus Österreich, und belegte damit den 15. von insgesamt 19 Plätzen. Noch heute wird das Lied in der Türkei belächelt und zählt neben "Opera", von "Cetin Alp & The Short Waves", zu den peinlichsten türkischen Eurovision-Auftritten. "Opera" war eine bizarre Mischung aus Soul, Operngesang und verrückten Fantasiekostümen und bescherte der Türkei 1983 in München punktelos den letzten Platz.

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"Petr’oil" mit reduzierter Romantik und erhöhter Dosis Politik war zwar erfolglos, passte aber ganz gut zum eigentlichen Charakter des Song Contests. Der Wettbewerb ist politisch aufgeladen wie sonst nur Olympiaden während des Kalten Kriegs. Jedes Jahr seit 1956 sind auch politische und nationale Interessen beteiligt. Das Spannendste - die Punkteverteilung - wird damit oft vorhersehbar. Da sind die üblichen Verdächtigen wie Türkei und Armenien. Für die Türkei ist der Song Contest ein Weg, guten Willen zu beweisen und sich vorsichtig anzunähern. So gibt es häufig zehn Punkte für Armenien. Allerdings kommt zum Ärger der türkischen Song-Contest-Fans selten was aus Armenien zurück.

In anderen Fällen ist die geographische Nähe von Vorteil. Mehr als politische Gemeinsamkeiten spielen dabei kulturelle eine Rolle. Konstellationen wie Skandinavien, Baltikum, Osteuropa oder Balkan finden sich auch in der Punkteverteilung wieder.

Zwei wichtige politische Ereignisse haben das Schicksal des Song Contests nachhaltig beeinflusst: der Zerfall der Sowjetunion und jener Jugoslawiens. Die neu entstandenen Länder traten der "European Broadcasting Union" bei und damit erhöhte sich seit den 90er Jahren die Zahl der Teilnehmer. Bis dahin dominierten westeuropäische Staaten den Wettbewerb, während Länder wie die Türkei oder Marokko die exotischen Außenseiter waren.

In den letzten Jahren erscheinen hingegen ehemalige Eurovision-Supermächte wie Großbritannien oder Frankreich zunehmend als Außenseiter. Die "Eurovision-Kultur" dieser Länder stagniert und ihre Beiträge sind musikalisch wie visuell unzeitgemäß. So schickte Großbritannien mit Scooch eine Dance-Pop-Gruppe in Piloten- und Stewardess-Kostümen auf eine Zeitreise in die 70er Jahre. Das Publikum schickte sie dafür auf den vorletzten Platz.

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Das neue Publikum der Eurovision bereitet auch Österreich Kopfschmerzen. Nachdem 2007 der ehemalige Starmania-Teilnehmer Eric Papilaya wenig überraschend den vorletzten Platz belegte, verzichtete ein beleidigtes Österreich von 2008 bis 2010 auf die Teilnahme. Der damalige ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz bezeichnete den Wettbewerb als "politisches Exerzierfeld" und sah darin sogar einen Indikator für eine komplizierte europäische Einigung.

Dabei ist auch Österreichs Song-Contest-Beteiligung nicht frei von Politik und Ideologie. Der Kabarettist Alf Poier versuchte 2005 mit seinem umstrittenen Lied "Good old Europe is dying" Österreich zu vertreten, schied allerdings in der österreichischen Vorentscheidung aus.

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Die Zeile "und weil sich Mohammed so gut vermehrte, singt schon bald in Rom der Muezzin" ersetzte Poier bei seinem Auftritt durch ein "buddhistisches Schweigen". Selbst unter der Berücksichtigung der "Narrenfreiheit", auf die sich Poier berief, wirkt das ganze Lied ideologisch motiviert.

Dass Politik aber nicht alles ist und auch musikalische Qualität mit Punkten belohnt wird, bewies die Horror-Hardrock-Band Lordi aus Finnland. Sie gewannen mit ihren Monsterkostümen und einem eingängigen Hardrock-Ohrwurm 2006 den Song Contest. Auch die Türkei überschritt bei ihrem Eurovision-Sieg 2004 politische Konflikte und erhielt Punkte von Griechenland und Zypern.

Österreich darf heuer hoffen

Heuer darf Österreich wieder hoffen: Es schickt die Trackshittaz mit "Woki mit dem Popo" ins Rennen. Doch auch dieses Lied sorgt für Aufregung. "Club 2" widmete dem Lied eine ganze Sendung, wo Gäste wie Alfons Haider oder eine ÖH-Vertreterin über sexistische Aussagen diskutierten.

Dieses Jahr steht auch der Austragungsort im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nach der Olympiade in China und der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika kommt jetzt der Song Contest nach Aserbaidschan. Westliche Medien berichten bereits im Vorfeld über Menschenrechtsverletzungen und das autoritäre Regime.

Für eine oft belächelte und wenig ernst genommene Veranstaltung ist der Song Contest stark politisiert. Wieder einmal zeigt sich, dass auch populäre Kultur nicht von Politik zu trennen ist. Aber Politik allein gewinnt nicht, wie westeuropäische Länder häufig behauptet haben. Denn im Gegensatz zu den ehemaligen Song-Contest-Schwergewichten geben sich die neuen Länder mehr Mühe und entscheiden mit Bedacht, wen sie ins Rennen schicken. Spaßlieder waren die Ausnahme, temporeiche Lieder dafür visuell eindrucksvoll inszeniert und Schnulzen getragen von kräftigen, einprägsamen Stimmen.

Österreichs diesjähriger Beitrag ist zumindest temporeich, einprägsam und hoffentlich auch begleitet von einer aufregenden Bühnenshow. Damit stehen trotz der Kritik die Chancen nicht schlecht, das neue Eurovision-Publikum zu beeindrucken.