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In der Erasmus-Falle

Von Fabian Kretschmer

Politik

Viele Austauschstudenten bleiben unter sich - trotz des intensiven Services.


Wien. "Auslandserfahrung ist immer auch ein Stück weit Selbsterfahrung", wirbt Heinz Faßmann für das Erasmus-Austauschprogramm. Der Vizerektor für Personalentwicklung und Internationale Beziehungen an der Universität Wien hält die Eröffnungsrede von "uni international 2012", der mittlerweile vierten Auslandsmesse der Uni Wien. Der Große Festsaal ist gesäumt von dutzenden Ständen, an denen internationale Studierende ihr Herkunftsland und dessen Austauschprogramme vorstellen. Im ganzen Raum hängen Flaggen europäischer Staaten.

Werben fürs Erasmus-Programm in Irland.
© © Fabian Kretschmer

Als das Erasmus-Programm vor 25 Jahren eingeführt wurde, hagelte es massive Kritik, besonders aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Im ersten Jahr nutzten nur rund 3000 Studenten den EU-weiten Austausch. Vor 20 Jahren wurde das Programm auch in Österreich implementiert.

Die Entwicklung seither war rasant: Bis 2013 sollen drei Millionen Studierende an einem Erasmus-Austauschprogramm teilgenommen haben. Allein die Universität Wien schickt jährlich rund tausend Studenten zu EU-Partnerunis und nimmt fast ebenso viele ausländische Studierende auf, seit 1992 waren es mehr als 25.000. "Durch einen Auslandsaufenthalt stärken Sie Ihre Kompetenz - fachlich wie sprachlich", führt Faßmann seine Rede fort. Neben sprachlichem Austausch geht es bei Erasmus aber vor allem um die Stärkung der europäischen Identität, indem junge Menschen andere EU-Länder kennenlernen. In der Praxis hakt es genau an diesem Punkt: Oft stecken sie in der Erasmus-Community fest und lernen von Land und Leute herzlich wenig kennen.

Das erlebte auch Chiara Petriconi, eine italienische Sprachstudentin in Wien. Sie hatte zwar zu Beginn ihres Aufenthalts über Lehrveranstaltungen und das abendliche Fortgehen Kontakt zu einheimischen Studenten, doch mittlerweile besteht der Freundeskreis der 21-Jährigen vor allem aus anderen Erasmus-Studenten. Dies sei schade, aber auch logisch, meint sie, schließlich säßen alle Erasmus-Studenten im gleichen Boot: "Wir kommen alle allein her und suchen fast überall nach Anschluss, während einheimische Studenten ihren Freundeskreis natürlich schon haben."

Sprachkurse, Buddy-System

Roman Schett von der Studierendenmobilität betreut Wiens Erasmus-Studierende. "Wir empfehlen, sich nicht zu sehr mit Studenten der gleichen Nationalität zusammenzusetzen, sondern es zu wagen, sich auf das Land einzulassen." Dafür werden regelmäßige Veranstaltungen, unzählige Infobroschüren, Sprachkurse, deren Kosten bei positivem Bestehen rückerstattet werden, und ein Buddy-System, bei dem einheimische Studenten Neuankömmlingen den Einstieg erleichtern, organisiert. Dennoch bleiben viele unter sich. "Letztlich ist es die Entscheidung der Studierenden, ob sie unsere Services in Anspruch nehmen", meint Schett.

Jeden Montag und Mittwoch veranstaltet das Erasmus Student Network (ESN) Partys in Discos, jeden Dienstag findet ein Erasmus-Stammtisch statt. Missglückt vielleicht das Zusammenleben gerade wegen der hervorragenden Betreuung? Sandra Gander hat die ESN-Events in Irland nur als Sprungbrett genützt - je mehr Freunde sie während ihres Aufenthalts gefunden hat, desto weniger ist sie zu den Veranstaltungen hingegangen, auf denen fast nur Erasmus-Studenten sind. Die 24-jährige Lehramtsstudentin ist seit einer Woche zurück aus Dublin. "Kontakt zu Austauschstudenten zu finden geht praktisch automatisch, aber wenn man wirklich will, kann man auch problemlos Einheimische kennenlernen. Man muss halt manchmal über den eigenen Schatten springen und offen auf Leute zugehen", meint sie.

Viele irische Freunde hat sie kennengelernt - und dabei Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und Irland entdeckt. Beides seien eher kleine Länder, die mit einem größeren Nachbarland der gleichen Landessprache verglichen werden. In Irland sei der Patriotismus wegen der Historie des noch recht jungen Inselstaats, der erst 1921 politische Unabhängigkeit erlangte, wesentlich stärker als in Österreich. Gerade jene persönlichen Erfahrungen sind für Roman Schett Anzeichen für einen gelungenen Austausch. Dass in der Erasmus-Zeit womöglich weniger Scheine absolviert werden, sei in Kauf zu nehmen.