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"Einsparungspläne sind völlig illusorisch"

Von Katharina Schmidt

Politik

Schweizer Gesundheitsökonom Felder beäugt die geplante Reform skeptisch.


"Wiener Zeitung": Wo sehen Sie die größten Probleme im österreichischen Gesundheitswesen?Stefan Felder: Es gibt zu wenig Wettbewerb sowohl zwischen den Kassen wie auch zwischen den Leistungserbringern. Vor allem brauchen Sie konkurrierende Kassen, die individuell Verträge mit den einzelnen Leistungserbringern aushandeln können.

Stefan Felder hat VWL, BWL und Soziologie in Bern studiert seit 2011 ist er Professor für Health Economics in Basel. Felder ist Chef der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie.
© privat

Sie plädieren also für eine Versicherungspflicht statt des in Österreich herrschenden Systems einer Pflichtversicherung?

Exakt: So ist es in der Schweiz und in Deutschland verwirklicht. In beiden Ländern können die Versicherten mit den Füßen abstimmen: Wenn sie mit einer Kasse nicht zufrieden sind, können sie wechseln. Wettbewerb ist das A und O im Gesundheitsbereich.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Qualität sinkt?

Deutschland hat eine sehr gute Gesundheitsversorgung, die Schweizer haben eine noch bessere. Wichtig ist, dass der Gesetzgeber einen Leistungskatalog vorgibt. Derzeit besteht zwar noch ein Kontrahierungszwang: Ärzte oder Spitäler können nicht ausgeschlossen werden. Aber trotzdem kann man im Detail vieles regeln, in der Schweiz bei den Spitälern sogar individuell zwischen Kasse und Haus. Und wenn die Patienten nicht zufrieden sind, können sie wechseln. In Österreich ist man dagegen gefangen.

Problematisch erscheint in dem Zusammenhang auch das Hick-Hack zwischen Bund und Ländern, die sich gegenseitig die Patienten und damit die Kosten zuschieben. Wie kann man hier gegensteuern?

Wichtig ist die Finanzierung aus einer Hand. Statt es aber aus einem Topf zu machen - wie es derzeit geplant ist - könnte das Geld aus den Bundesländern an die Kassen fließen. Die Kassen sollen die Verantwortung bekommen, sowohl die Spitäler wie auch den ambulanten Bereich zu finanzieren. Mit ambulant vor stationär kann man sehr viel Geld gewinnen. Die Kasse wird überlegen, wo es günstiger kommt, wenn sie für die gesamten Kosten zuständig ist. Der Topf löst das Problem der Zuständigkeit nicht, weil dort immer noch Länder und Kassen drin sind.

Sie sind also dafür, dass die Kassen verantwortlich sind?

Das ist eine Möglichkeit. Natürlich kann man das Finanzierungssystem nicht von heute auf morgen umstellen. Das hätte große Konsequenzen, weil die Entscheidungskompetenz der Bundesländer stark beschnitten würde, aber es würde die Länder auch entlasten und dazu führen, dass eine Flurbereinigung etwa bei den Spitälern stattfinden könnte.

Glauben Sie, dass so etwas in Österreich funktionieren kann?

Offensichtlich liegt vieles im Argen und da muss man auch was unternehmen. Mit einer Aufhebung der Pflichtversicherung würden auch die Kassen viel mehr in die Pflicht genommen.

Ein weiterer Aspekt der geplanten Gesundheitsreform ist die Senkung der Ausgaben für das Gesundheitswesen auf die durchschnittliche Steigerung des BIP bis 2016. Ab dann sollen die Kosten auch nicht mehr steigen. Halten Sie das für machbar?

Das ist völlig illusorisch. In allen Industrieländern wachsen die Ausgaben für den Gesundheitsbereich in einem Ausmaß von einem bis zwei Prozentpunkten oberhalb des BIP-Wachstums. Das wird in Österreich auch nicht anders sein. Die Deutschen haben die Beitragssatzstabilität im Gesetz - das ist genau dasselbe - viel hat es nicht genutzt. Wenn die Menschen reicher werden, geben sie mehr Geld für Gesundheit, Medizin und gute Ernährung aus. Was soll daran schlecht sein?

Sie haben die Ambulanzen angesprochen: Immer wieder wird die Frage debattiert, was ein Spital leisten muss und wie viele Spitäler ein Land eigentlich braucht.

Wenn eine Kasse beides finanzieren muss, dann überlegt sie sich tatsächlich, wo es sinnvoll ist, ein Spital hinzubauen. Heute ist die Kasse demgegenüber froh, wenn Sie ins Spital gehen, weil dann die Kassenrechnung entlastet wird. In Deutschland wurden 2004, in der Schweiz heuer Fallpauschalen eingeführt - in dem Zuge kann man auch die Spielregeln in den Ambulatorien ändern. Sobald die Spitäler diagnosebezogene Pauschalen für Behandlungen bekommen, haben sie auch einen viel stärkeren Anreiz, sich zu spezialisieren. Da macht nicht jeder alles, sondern sucht nach Stärken, die er dann verbessert. Eine spezielle Operation kostet dann im ganzen Land beispielsweise 2000 Euro - wenn jemand einen Tag länger liegt, bekommt das Spital deshalb auch nicht mehr Geld. Ein Fixum, das an die Diagnosen geknüpft ist, gibt einen viel stärkeren Anreiz für die Spitäler, genau zu überlegen, wo sie ihre Stärken haben.

In Deutschland gibt es zehn Euro Praxisgebühr im Quartal, in Österreich lediglich die E-Card-Gebühr. Wie viel ist dem Patienten zusätzlich zu den normalen Versicherungsgebühren zumutbar?

Was nichts kostet, ist nichts wert. Die Menschen wollen die Segnungen der modernen Medizin, und es gibt auch eine hohe Bereitschaft, dafür zu bezahlen. Man muss die Versicherten an den Kosten beteiligen, damit sie sich mehr Gedanken machen. Denn es ist nicht jeder Arztbesuch lebensnotwendig. Die Schweizer zahlen die ersten 300 Franken (rund 250 Euro, Anm.) im Jahr voll und nachher zehn Prozent der Rechnungen. Das ist zumutbar und lenkt die Versicherten, damit sie sich überlegen, ob sie einen Arztbesuch nötig haben. Nur weil man die Prämien bezahlt hat, hat man nicht das Recht, jede Leistung in Anspruch zu nehmen.

Aber was bedeutet das für sozial Bedürftige?

In Deutschland gibt es Vergünstigungen für chronisch Kranken, in der Schweiz gibt es einen Deckel von 700 Franken im Jahr. Es muss aber spürbar sein.