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Völkergemisch seit jeher

Von Niklas Perzi

Politik

Die Stadt an der österreichischen Grenze hat eine bewegte Vergangenheit.


Nikolsburg. Stefan Kapicak beobachtet vergnügt das hektische Treiben am Hauptplatz von Nikolsburg (Mikulov). Ein Mongole baut gerade seinen Stand auf, während sich bei den Serben bereits zwei Spanferkel an den Grillspießen drehen. Auch Armenier sind da, ebenso der Stand mit Wiener Küche, wo bald Schnitzel und Torten serviert werden, die Roma mit ihren aus Gedärmen zubereiteten "Goja", das Shabbat-Brot der Juden und die süßen Verlockungen am Tisch der Mährer. Bulgarische, goralische, ukrainische, slowakische, walachische Köstlichkeiten werden noch folgen. Das 13. Festival der Thayavölker hat eben begonnen. Der Slowake Kapicak ist einer der drei Festivalgründer

Serbische Spanferkel und noch viele andere nationale Küchen bringen "die Leut zam".
© Niklas Perzi

1974 war Kapicak nach Nikolsburg gekommen, als das ganze Land nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Donröschenschlaf der politischen "Normalisierung" lag. Doch man ließ den damals 29-jährigen Nonkonformisten die Kulturarbeit in der Weinstadt an der Grenze zu Österreich gestalten. Den Serben Stefan Simovic und den Tschechen Premysl Janyr verschlug es erst nach der Samtenen Revolution 1989 hierher. Die drei verbindet ihre Liebe zur Stadt mit dem mächtigen Barock-Schloss.

Unterhalb des Schloss-Hügels liegt ein südländisch anmutendes Altstadt-Ensemble, dessen schmale Gässchen sich im Sommer zu einem pittoresken Gemisch aus Ateliers, schicken Cafés und Weinstuben verwandeln. Gegenüber ließ Franz Dietrichstein im Dreißigjährigen Krieg den heidnischen Tanzberg zum "Heiligen Berg" umfunktionieren mit einer Wallfahrtskirche und Kreuzwegkapellen.

Doch nicht die Vergangenheit, sondern die multinationale Gegenwart bewog die drei zur Gründung des Festivals. Kapicak zählte eines Tages allein in der Hus-straße im ehemaligen jüdischen Viertel 13 Ethnien. Doch man lebte eher neben- als miteinander. So wurde in einer weinseligen Nacht die Idee zum Festival geboren. Janyr dachte an Musikgruppen und Folkloreensembles der hiesigen Völkerschaften, Simovic schlug die Kulinarik vor. Es wurde eine Kombination aus beidem. Seit 2000 bieten (Hobby-)Köche der hier lebenden Nationalitäten einen Tag lang ihre Köstlichkeiten dar, während auf der Bühne ein bunter Mix aus Folklore und tschechischem Underground bis tief in die Nacht hinein die Gäste zum Freiluft-Tanzen animiert.

Zentrum für Zuwanderer

Multikulti hat in Nikolsburg Tradition, über Jahrhunderte war es Zentrum der Immigration. In der Reformation fanden protestantische Wiedertäufer hier Zuflucht, 1421 flohen die aus Niederösterreich vertrieben Juden her. Während die "Hutterer" im Zuge der Rekatholisierung die Stadt wieder verlassen haben, entwickelte sich die jüdische Gemeinde unter dem Schutz des Adelsherrn zur zweitgrößten der böhmischen Länder mit Synagogen, Schulen und einem großen Friedhof. Die Gründung der Tschechoslowakei brachte 1918 tschechische Lehrer und Zöllner in die deutschsprachige Weinmetropole. Das Zusammenleben funktionierte trotz der nicht gerade deutsch-freundlichen Politik einigermaßen, bis der Nationalsozialismus die Atmosphäre vergiftete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen nach Österreich vertrieben. Doch die "Wiederbesiedelung" der im Mai 1945 fast menschenleeren Stadt brachte nicht die von Prag erwünschte ethnische "Reinheit", sondern ein neues Gemisch aus Tschechen, Slowaken, Roma und vielen anderen Völkern, die hier nur langsam heimisch wurden. Nach 1989, als viele nach Österreich emigrierte Tschechen in das nahegelegene Nikolsburg übersiedelten, erwarb auch Janyr, der 1978 als Mitverfasser der Charta 77 ausgebürgert wurde, ein Wochenendhaus in Südmähren. Freunde aus Dissidententagen wurden damals zu Chefredakteuren und Ministern. Auch er dachte zunächst an eine dauerhafte Rückkehr, doch ernüchtert von der politischen Entwicklung entschied er sich zum Verbleib in Wien. Als Mitbegründer des Österreichisch-tschechischen Dialogforums macht er sich die Aufarbeitung heikler Fragen zur Aufgabe, wie die Vertreibung der Deutschen und deren (Nicht-)Aufnahme in Österreich.