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Unfaires Match, faire Fans

Von Bernd Vasari

Politik
Die Tunesier triumphieren am Ende doch noch. Wenig später verlassen die Algerier das Lokal.
© Jenis

Der "Arabische Frühling" hat auch das Verhalten der Fußball-Fans verändert.


Wien. "One, Two, Three, Viva L’Algerie!", schallt es durch die Sitzreihen im Vereinslokal vom "Verein von Immigranten Tunesiens in Österreich" in Wien-Leopoldstadt. Unter den 80 bis 100 Männern, die sich hier zum Auftakt ihrer Mannschaften Tunesien und Algerien beim Africa Cup of Nations eingefunden haben, sind Fans beider Mannschaften, auch ein paar Personen marokkanischer Herkunft sind da. "Wir sind wie Brüder", erklärt ein Tunesien-Fan. "Egal, aus welchem Land der Maghreb-Länder man kommt, man ist in diesem Lokal willkommen." Beide Mannschaften sind bereits zum 16. Mal dabei, beide gewannen je einmal.

Jeder gefährliche Pass in den Strafraum, jedes gute Tackling der algerischen Fußball-Nationalmannschaft wird mit Applaus bedacht. In der tunesischen Ecke ist es eher ruhig, die erste Hälfte gehört klar den Algeriern. Der Torhüter der Tunesier Moez Ben Chérifia bewahrt die Seinen öfters vor einem Rückstand. In der 29. Minute wäre auch er chancenlos gewesen, doch der Kopfball des Algeriers Islam Slimani knallt ans Lattenkreuz. Das Vereinslokal kocht, die Fans reißt es von den Sitzen. "Algerien ist viel besser", sagt ein Fan im Algerien-Trikot. "Ja, aber sie müssen die Angriffe besser zu Ende spielen. Nur mit Ballbesitz gewinnst du kein Spiel", entgegnet ein anderer. "Wir brauchen drei Punkte. Wer heute verliert, wird es sehr schwer haben, aufzusteigen." Der Favorit der Gruppe D, Elfenbeinküste, hatte bereits am Nachmittag gegen Togo gewonnen.

Noch vor zwei Jahren sei die Stimmung zwischen tunesischen und algerischen Fans, aber auch gegenüber Angehörigen anderer Maghreb-Staaten schlecht gewesen, erzählt ein tunesischer Fan der "Wiener Zeitung". Man wusste nicht, ob jemand von der Botschaft im Lokal war, der die Fans belauschte. Seit der Revolution und der neuen Regierung könne man über alles reden und es gäbe keinen Streit mehr mit den anderen Ländern. "Es ist heute nicht mehr so wichtig, ob wir gewinnen oder nicht."

Debatten in der Halbzeit

Kurz vor der Pause zwei plötzliche Angriffe der Tunesier, die für Gefahr sorgen. In der 43. Minute marschiert Saber Khelifa über die rechte Seite und zieht ab, der algerische Torhüter Rais M’Bolhi kann klären. Erstmals zeigt sich, wer den Tunesiern die Daumen drückt. Der Trainer von Algerien lasse sehr offensiv spielen, die Abwehr sei daher anfällig für Konter, erzählt ein Algerier.

Die erste Halbzeit ist um. "Viele Tore werden nicht fallen, vielleicht geht es 1:0 aus", meint ein älterer Mann. Für wen? "Na für Algerien natürlich", erwidert er mit breitem Grinsen. In der Halbzeit wird die erste Hälfte analysiert. Tunesien wird für sein hartes Einsteigen bei Zweikämpfen kritisiert. Auch müsse es schon längst 1:0 für Algerien stehen.

Anpfiff zu zweiten Halbzeit: Der Trainer der Tunesier wechselt und bringt einen zusätzlichen Stürmer. Das macht sich gleich bezahlt. Tunesien schafft es nun den Ball besser in den eigenen Reihen zu halten, Algerien wird zunehmend hektischer. Das Spiel ist ausgeglichen, eine knappe halbe Stunde lang passiert fast nichts, die Stimmung im Lokal ist sehr verhalten. Die Fehlpässe beider Mannschaften häufen sich, Kopfschütteln und Unverständnis bei den versammelten Fans.

Der erste Eckball für Tunesien sorgt wieder für mehr Stimmung. Die Tunesier rufen "Houa, houa, houa!", frei übersetzt: "Kommt Tor, kommt Tor, kommt Tor!" Die Algerier erwidern mit Schlachtgesängen.

Ab der 70. Minute gewinnt die Partie wieder an Fahrt. Algeriens Guédioura zieht aus 22 Metern ab und der Ball streicht nur knapp über die Querlatte. Drei Minuten später wird sein Mannschaftskollege Sofiane Feghouli im tunesischen Strafraum zu Fall gebracht, die Anhänger fordern lautstark "Penalty!", doch die Pfeife des Schiedsrichters bleibt stumm. Wieder zwei Minuten später eine Riesenchance für Tunesien, Hamdi Harbaoui ist völlig frei, verzieht aber aus zehn Metern. Das ganze Lokal ist nun auf den Beinen. Ein flottes Offensivspiel auf beiden Seiten entsteht.

In der 82. Minute wird der Tunesier Darragi im Strafraum der Algerier zu Fall gebracht. Wieder entscheidet der Schiedsrichter auf Weiterspielen. Im Lokal herrscht nun heilloses Durcheinander. "In Elfmeter-Fehlentscheidungen haben wir jetzt Gleichstand", sagt ein algerischer Fan.

Die nächste Riesenchance wird von Feghouli in der 87. Minute vertan, der Algerier trifft aus fünf Metern das Tor nicht. Die Algerier im Lokal toben: "Wie viele Chancen brauchen wir noch?" Und dann in der 91. Minute sorgt Youssef Msakni mit einem Traumtor für das 1:0 der Tunesier. Er lässt zwei Spieler aussteigen und trifft aus 25 Metern ins Kreuzeck. Die Tunesier im Lokal flippen aus, die meisten Algerier verlassen schimpfend und fluchtartig das Lokal.

"Bis vor zwei Jahren hätte es nach so einem Tor höchstwahrscheinlich eine Prügelei zwischen Tunesiern und Algeriern gegeben", erzählt ein tunesischer Fan. Diese Zeiten seien nun vorbei.