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Frühlingserwachen

Von Solmaz Khorsand

Politik

Auf der Donauinsel lässt man das alte Jahr mit einem Feuersprung ausklingen.


Wien. Jeden März offenbart sich ein eigenartiges Schauspiel auf der Donauinsel. Von der Floridsdorfer Brücke bis hin zur Reichsbrücke wird man alle paar Meter ausgelassene Männer und Frauen treffen, die sich um ein kleines Lagerfeuer versammelt haben.

Mit dem Spruch "Dir meine Blässe, mir deine Röte" springt dann der betagte Universitätsprofessor genauso wie die junge Studentin über das Feuer. Es ist Tschahar Schanbe Suri, "die Mittwochsfeier" - die iranische Silvesternacht. Es ist der Startschuss für die persischen Neujahrsfestivitäten zu Frühlingsbeginn.

Jedes Jahr feiern mehr als 300 Millionen Menschen weltweit, vom Balkan über Zentralasien bis in den Nahen Osten, Newroz, das Frühlingsfest. In den persischsprachigen Ländern Iran, Tadschikistan und Afghanistan markiert der Frühlingsbeginn auch das neue Jahr. Auf die Sekunde genau berechnen Astronomen die Tagundnachtgleiche. Heute um 12 Uhr, 1 Minute und 56 Sekunden ist es dann so weit.

Dann wird Sanaz ihre neuen Gewänder anziehen, den persischen Satellitensender aufdrehen und ihre Eltern anrufen. Seit einem Jahr lebt die 24-jährige Musikstudentin in Wien. "Zu Newroz vergessen alle ihre Sorgen", erzählt die gebürtige Teheranerin.

Ein Fest des Widerstands

Es sind die wichtigsten Feiertage im Iran. Die Vorbereitungen laufen bereits Wochen davor. Es gilt, den Frühjahrsputz zu machen und das Neujahrsgedeck aufzustellen. Jede Familie deckt dann den Tisch mit den "Haft Sin" - den sieben "S": Apfel, Knoblauch, Münzen, das Gewürz Sumach, Essig, Hyazinthen und selbst gezogener Kresse. Im Persischen beginnen all diese Dinge mit dem Buchstaben "S". Symbolisch stehen sie für Fröhlichkeit, Schönheit, Erfolg und Gesundheit.

Der Ursprung des 3000 Jahre alten Festes geht auf den zarathustrischen Glauben zurück. Mit Irans Islamisierung haben viele Gelehrte versucht, das Fest abzuschaffen, es als Fest von Feueranbetern und Ketzern zu verteufeln. Ohne Erfolg. Nach der Islamischen Revolution 1979 erließen einige Gelehrte Fatwas, islamische Rechtsgutachten, dass wahre Muslime das Fest nicht feiern sollten, da es sich um ein heidnisches Fest handle. Auch sie sollten scheitern.

Manch einer begreift das Fest gar als Widerstand gegen die Theokratie. Insbesondere die "Silvesternacht" Dienstagabend birgt in Teherans Straßen ein rebellisches Momentum. Es gibt Feuerwerke und es wird geböllert. Mädchen und Burschen feiern ausgelassen auf den Straßen. Sie trinken Alkohol und tanzen. "Es ist die einzige Nacht, in der wir frei sein können", sagen viele. Die Behörden drücken in dieser Nacht meistens beide Augen zu.

"Sie könnten die Jugendlichen auch gar nicht kontrollieren", sagt Khosrow Pourhosseini. Der pensionierte Soziologe ist Vorsitzender der Iranischen Kulturgemeinde in Wien. Seit 22 Jahren feiert der 68-jährige Exiliraner das Fest in der Fremde. Mit dem Silvestergetue der Jugendlichen kann er nichts anfangen, lieber feiert er den Neujahresbeginn bei traditionellem Fisch und Reis im kleinen Kreis. In der Regel beginnen die Festivitäten nach dem neuen Jahr. Zwei Wochen lang besucht man dann Freunde und Verwandte. Am 13. Tag des neuen Jahres ist dann Schluss mit den Feierlichkeiten. Es ist "Sizdebedar" - "das Fest, um den 13. Tag loszuwerden". Um das Unglück, den 13., abzuwenden, feiern die Familien ein großes Picknick. Auch hier versammelt sich die iranische Community auf der Donauinsel. Hier wirft man die selbstgezogene Kresse ins Wasser. Junge Männer und Frauen verknoten das Gewächs meistens, löst sich der Knoten, finden sie die Liebe ihres Lebens, sagt der Brauch.