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"Mehr als Mozart und Lipizzaner"

Von Bernd Vasari

Politik

Potenzial von Migranten soll in Zukunft verstärkt genutzt werden.


Wien. In Wien werden 250 Sprachen gesprochen, betont Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger, das sei ein Indiz für die Internationalität und Diversität der Stadt. Um diese Attribute in einer wachsenden Stadt gut zu verorten, brauche es Maßnahmen, die diese Verortung erlebbar machen, setzt sie fort. Das soll nun im neu gegründeten "forum wien. welt. offen" geschehen.

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Zweisprachige Schullaufbahnen sollten laut Experten selbstverständlich sein.
© Foto: Jenis

14 Personen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft werden bei regelmäßigen Treffen ihre Expertise einbringen. Inhaltliche Vertiefungen sollen dabei in Fachenqueten ermöglicht werden. "Wir wollen der internationalen Community zeigen, dass Wien mehr zu bieten hat, als Mozartkugeln und Lipizzaner", sagt Thomas Oliva, Vorsitzender des Forums und ehemaliger Geschäftsführer der Industriellenvereinigung Wien. Diskutiert werden soll unter anderem, wie das Potenzial der Wiener mit internationalen Wurzeln freigesetzt werden kann. Das Forum ersetzt die vor vier Jahren eingeführte Zuwanderungskommission (2009 bis 2011). Im Gegensatz zur Kommission, wo keine Politiker dabei waren, sind die drei Obleute des Gemeinderatsklubs von SPÖ, Grünen und ÖVP jetzt Teil des Forums. Die FPÖ hatte kein Interesse.

Spitzenforscher locken

Eines der Themen wird sich um die Aufwertung des Wissenschaftsstandorts drehen, wo Talente stärker gebunden und Spitzenforscher angezogen werden sollen. Derzeit habe man eher das Gefühl, dass die Universitäten Studierende fernzuhalten versuchen, kritisiert Oliva. Die derzeitigen internationalen Studierenden in Wien seien aber ein Schatz, den man etwa mit Alumni Klubs halten müsse. Zehn weitere inhaltliche "Stoßrichtungen" wurden Montagabend im Wiener Café Landtmann präsentiert.

Ein Szenarium soll entwickelt werden, wie Wien in zehn bis 20 Jahren aussehen könnte und wie die Bevölkerung zusammenleben wird. Eine Bewusstseinserweiterung hin zu den internationalen Wurzeln der Stadt, die "stets vom Talent und der Arbeitskraft Zugewanderter profitiert hat", wird als weiterer Punkt angestrebt. Dabei sei es wichtig die Integrations- und Zuwanderungsdebatte zu versachlichen, betont Frauenberger.

Eine stärkere Wahrnehmung hinsichtlich eines internationalen Wirtschaftsstandorts und Lebensorts soll hochqualifizierte Arbeitskräfte anlocken. Der Herausforderung einer wachsenden Mobilität müsste man sich stellen, um hier im globalen Wettbewerb mithalten zu können, sagt die Stadträtin. Sie regt etwa Informationsportale für Hochqualifizierte an. Als sogenannte Brückenköpfe in die alte Heimat möchte man künftig Migranten nutzen. Personen, die aus Wien auswanderten, sollen als Botschafter der Stadt erhalten bleiben.

Chancen auf Bildung und Bildungsaufstieg sollen von klein auf garantiert werden. "Wir haben die Verpflichtung, dass niemand verloren geht, auch wenn er etwa aus der Schule fliegt", unterstreicht Thomas Oliva. Die Schule könnte Schüler verstärkt durch Social Media einbinden, nennt er ein Beispiel. Konkret geht er allerdings nicht darauf ein.

Nicht wahlberechtigt

Ein zentraler Punkt des Forums ist das Forcieren von Teilhabe. 21,5 Prozent der Wiener sind, abgesehen vom Bezirk, vom Wahlrecht ausgeschlossen. Diese Zahl werde weiter anwachsen, ist sich Oliva sicher. Er prophezeit: "Ohne die Teilnahme am politischen Prozess werden wir Probleme bekommen." Auch der Klubobmann der Grünen, David Ellensohn, ist mit der jetzigen Regelung unglücklich. EU-Bürger würden in den Bezirksparlamenten sitzen, sie dürfen aber nicht aufsteigen. Das einzige demokratische Recht für alle Wiener sei das Petitionsrecht ab 16 Jahren, das seit Jänner gelte, sagt Ellensohn. Das Wahlrecht sei Bundesmaterie, erklärt Frauenberger, man werde aber versuchen das Thema als "Sideletter" an den Bund weiterzuleiten. Die 21,5 Prozent seien aber definitiv ein demokratisches Legitimationsproblem.

Ein weiterer Punkt des Forums umfasst den Umgang mit multiplen Identitäten. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft könnten diese gestärkt werden. Wertschätzung und Respekt unabhängig von Herkunft, Nationalität und Aufenthaltsdauer und das Managen von Diversität werden ebenfalls ins Blickfeld des Forums rücken. Einrichtungen der Stadt sollen mit Vielfalt kompetent umgehen können. Die erste inhaltliche Enquete des neuen Gremiums setzte sich mit der fehlenden Wertschätzung von Mehrsprachigkeit auseinander. "Wir wollen Sprachen anerkennen und in der Gesellschaft einen entsprechenden Stellenwert geben", sagt Frauenberger. Thomas Oliva ergänzt: "Eine zusätzliche Sprache muss in eine zusätzliche Qualifikation münden." Er verweist auf etwa 9000 Bürger, die chinesisch sprechen würden. "Stellen Sie sich vor, was das kosten würde, 9000 Bürger in Chinesisch auszubilden?"

Zweisprachig als Chance

Wenn es nach der Wissenschafterin Barbara Herzog-Punzenberger geht, sollen Zweitsprachen bereits in der Schule gefördert werden: "Zweisprachige Schullaufbahnen sollten in BKS und Türkisch selbstverständlich sein", betont sie. Es bräuchte aber Pädagogen, die diese Sprachen sprechen, ergänzt Ellensohn. Er könnte sich eine Kampagne vorstellen, die verstärkt Migranten anspricht, die Lehrerausbildung zu machen. Es müsste darüber hinaus ein eigenes Konzept in der Ausbildung geben, wie man mit Kindern, die eine Zweitsprache sprechen, umgeht.

Website Forum wien. welt. offen