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"Aus dir wird eh nix!"

Von Nada Andjelic

Politik
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Wenn Kinder in der Schule diskriminiert werden, sind sie auch weniger motiviert zu lernen.
© Jenis

Die Größe der Klassen sind "das Problem in den Ghettoschulen".


Wien. "Sie sehen aber eh nicht türkisch aus. Außerdem sprechen sie sehr gut deutsch." Oft hat Melih M. Gördesli diesen Satz gehört und sich geärgert. "Ich wohne mein Leben lang in Wien, warum sollte ich schlechter deutsch sprechen als irgendjemand anderer", sagt der junge Mann in perfektem Schriftdeutsch. In seinem neuen Buch "Integration" beschreibt der 27-Jährige auf ironische Weise seinen Alltag mit dem ganz normalen Rassismus. Womit er in Wien konfrontiert ist, wenn er einen AMS-Kurs besucht, sich einen Döner kauft oder mit der U-Bahn fährt.

"Es ist normal, dass man in der U-Bahn nicht auf Serbokroatisch oder Türkisch telefonieren darf, wenn man nicht schief angeschaut werden will", erzählt er. "Typisch türkische Machos! Typisch österreichische Proleten", schreibt Gördesli und nimmt kein Blatt vor den Mund. In- und Ausländer bekommen in seinem Buch ihr Fett ab.

Geboren in Deutschland, kam Gördesli mit drei Jahren nach Wien. Als Sohn eines türkischen Drehers und einer Putzfrau hat er "mehr aus sich gemacht", so wie es sich die Eltern gewünscht haben. Er hat Medizininformatik studiert und zwei Bücher veröffentlicht. In seinem Erstlingswerk "Ohne Heimat" hat er seine Erinnerungen als Gastarbeiterkind in Österreich dokumentiert.

Interkulturelle Kompetenz als Schulfach

In seinem aktuellen Buch geht Gördesli auch mit der heimischen Bildungspolitik hart ins Gericht. Viele Migrantenkinder würden während ihrer Schulzeit mit viel Spott konfrontiert werden, weil sie anders aussehen, Deutsch nicht perfekt beherrschen oder aus einer bildungsfernen Schicht stammen. Es sei für Gördesli nicht verwunderlich, wie demotiviert diese Kinder sind, wenn man die Kommentare der Lehrer, Mitschüler und Erziehungsberechtigten hört, wie beispielsweise "Aus dir wird eh nix".

Gördesli kennt sich aus in Wiens Schulen. Seit zwei Jahren ist er Integrationsbotschafter von "projektXchange", einer Initiative, die die Überwindung der "Angst vor dem Fremden" in Schulen zum Ziel hat. "Der Klassenzusammenhalt ist das Wichtigste für die Schüler", erklärt Gördesli, "dort, wo Schüler miteinander und füreinander arbeiten, da ist auch die Gesamtleistung der Klassen größer."

Dabei spiele der Ausländeranteil in den Klassen keine wesentliche Rolle. Er war in Handelsakademien, Gymnasien und HTLs, in denen der Ausländeranteil pro Schulklasse über 90 Prozent betrug. "Die Jugendlichen sprachen akzentfreies Hochdeutsch und jeder wusste, sich höflich auszudrücken", erzählt er. Es "graust" Gördesli vor der Bezeichnung "Ghettoklassen". Mit Ghetto verbinde man kriminell und gewalttätig. Die betroffenen Klassen seien schlichtweg zu groß. Bei über 30 Schülern könne man sich keinen Zusammenhalt erwarten. "Automatisch bilden sich da Gruppierungen", erklärt er.

Anprangern möchte der Autor niemanden, doch er hinterfragt die soziale Kompetenz mancher Lehrer. Sie müssten besser ausgebildet werden vor allem in puncto Integration. Neue Fächer und reformierte Lehrpläne könnten Projekte wie projektXchange obsolet machen.

"Ausländer plündern unseren Staat", hörte Gördesli etwa vor kurzem in einer HTL in der Donaustadt. Ein Fach wie "Interkulturelle Kompetenzen" könnte einem solchen Gedankengut entgegenwirken, glaubt er. Er klingt schon beinahe wie ein Politiker, wenn er seinen Forderungskatalog präsentiert. Und so weit ist das gar nicht hergeholt, Gördesli strebt durchaus eine politische Karriere an, vor allem um sich verstärkt dieser Themen anzunehmen.

Seinen Job in den Schulen will er aber nicht missen. Der Autor will den Kindern weiterhin als "Motivator" und "Rolemodel" dienen und ihnen aufzeigen, wie weit sie es bringen können. "Aufgeben kam für mich nie infrage", sagt er. Genau das möchte er den Mädchen und Burschen in den Klassen weitergeben.

Durch seinen Einsatz konnte er einige Schüler mit Migrationshintergrund auf ihrem Weg zur Matura begleiten. Darauf ist er besonders stolz. Sein Buch wird nun in vielen Wiener Schulen im Unterricht behandelt. Förderungen vom "Österreichischen Integrationsfonds" gab es trotz Ansuchen für Gördeslis Buch nicht.