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Schonungsloser Körpereinsatz

Von Solmaz Khorsand

Politik

Bis 17. August in Mankers "Wagnerdämmerung" zu sehen.


Wien. Weh tun muss es, und zwar allen, wenn Ulduz Ahmadzadeh zu tanzen beginnt. Wenn sie auf leeren Honiggläsern balanciert, bis sie zu zerbersten drohen. Wenn sie lautlose Schreie ausstößt durch ein schwarzes Tuch, das gefährlich eng um ihren Kopf geschnürt ist. Und wenn sie ihre Haut am Bauch mit Hühnerknochen aufritzt, so wie derzeit in Paulus Mankers "Wagnerdämmerung".

Zweieinhalb Stunden wandelt Ahmadzadeh dabei in dem labyrinthischen Kellergewölbe des ehemaligen k.u.k. Post und Telegrafenamts am Börseplatz 1. Der Besucher stolpert ihr nach in die unterirdischen Gänge. Vorbei an Maschinenräumen und Wasserbecken. Es ist verraucht und dunkel. Einige Fackeln weisen den Weg. Schreie sind zu hören. Und Wagnermusik. Ein schaurig schönes Höllenreich hat Manker hier erschaffen. Und mittendrin tanzt Ahmadzadeh, schmiert sich dabei Blut auf den Körper, balanciert nackt auf schmalen Holzbalken und lacht gelegentlich ihr Gegenüber hysterisch an.

"Ich mag es zu provozieren", sagt Ahmadzadeh und lächelt. Seit fünf Jahren lebt die gebürtige Iranerin in Wien. Und sie darf provozieren, ohne Wenn und Aber. Lange genug hat sich die 32-jährige Ausdruckstänzerin zurückhalten müssen. In ihrer Heimat sind tanzende Frauen tabu. Unsittlich sei es für die islamische Frau ihren Körper so zur Schau zu stellen.

"Ich muss Tänzern hier immer wieder sagen: ihr lebt in einem absoluten Luxus", erzählt sie, "ihnen ist nicht klar, dass es auch anders sein kann". Dass man als Mädchen auf Videokassetten von Bekannten aus dem Ausland hofft, um sich von den Choreografien bezaubern zu lassen, dass man als Jugendliche im verspiegelten kleinen Zimmern alter Damen im Geheimen Tanzstunden nimmt, im Wissen, die Schritte nie jemanden zeigen zu können. Und dass man als erwachsene Frau Guerilla-Tanzgruppen anführt, die schon einmal wegen unsittlichem Verhalten im Gefängnis landen können.

"Im Iran spielst du als Künstler mit deinem Leben", sagt sie. Sie spricht rasch. Die Ruhe liegt ihr nicht. Selbst im Sitzen, ist sie ständig in Bewegung, twistet ihre Füße von innen nach außen und wieder zurück.

Nicht länger verstecken

Der Iran war im Krieg mit seinem Nachbarland Irak, als Ahmadzadeh zum ersten Mal zu Tanzen begann. Die Stimmung war bedrückend in der jungen Islamischen Republik. Der Shah war gestürzt, die Theokraten hatten die Macht und die Frauen verschwanden plötzlich hinter dicken dunklen Umhängen.

In diesem Iran hat Ahmadzadeh zu tanzen gelernt. Ganz in Trance war die damals Siebenjährige, als sie sich auf einer Feier inmitten von Verwandten und Freunden in Ekstase wirbelte. Das damalige Gefühl von "Fliegen" hat sie nicht mehr losgelassen. Mit 13 Jahren traf sie auf ihre Mentorin, Farzaneh Kaboli, der Grande Dame des iranischen Volkstanzes. Das liberale Elternhaus sah das mit Wohlwollen. Einmal pro Woche pilgerte sie in das kleine verspiegelte Zimmer in Kabolis Privatwohnung in Teheran und übte eine Stunde lang an der Stange. Aus einmal pro Woche, wurde irgendwann jeden Tag, bis sie in Kabolis Tanzkompanie aufgenommen wurde. Fünf Jahre lang hat sie dort getanzt, durfte gar in Teherans berühmten Opernhaus vor Männern und Frauen auftreten, ihren Körper immer versteckt hinter mehreren Schichten Kleidung. Heute kann sie sich nicht mehr vorstellen im Iran auf der Bühne zu stehen. "Ich kann mich nicht wieder hinter diesem Scheiß verstecken", sagt sie. Visionen hat sie und will sie realisieren, so wie sie in ihrem Kopf sind, schonungslos , ohne rote Linie im Hinterkopf. Willkürlich wurde diese Linie im Iran immer gezogen. So wie damals, als sie plötzlich mit der ganzen Kompanie ohne Angabe von Gründen, direkt von der Bühne weg, für eine Nacht inhaftiert wurden.

Offiziell musste Ahmadzadeh dem Tanz abschwören, oder wie die Beamten sagten den "harmonischen Bewegungen", das Wort Tanz kam ihnen nicht über die Lippen. Inoffiziell erweiterte Ahmadzadeh ihr Feld. Sie begann zu choreografieren. Und leitete als 23-jährige Filmstudentin prompt ein 40-köpfiges Ensemble von Tänzern. Ein Jahr probten sie ihr Stück "Lady of Dream", gezeigt wurde es nur wenige Male. Die damalige Regierung unter Mahmoud Ahmadinejad setzte es ab. Ahmadzadeh machte weiter. Dieses Mal privat. Sie stellte eine Guerilla-Tanzkompanie auf die Beine, mitten im Wohnzimmer ihrer Eltern, als man sie aus dem Proberaum der Kunstuniversität, an der sie studierte, verscheucht hatte. Die Kopftücher ihrer Tänzer seien zu lasch gebunden gewesen. Aufgeführt wurde das Stück trotzdem und das ausgerechnet in dem Raum, aus dem man sie rausgeschmissen hatte. Offenbar hatte die Leitung vergessen, worum es sich handelt. "Das war ein absoluter politischer Widerstand. Ich habe gesagt, jetzt zeige ich es euch", sagt sie und ballt die Faust. Das war ihr letztes Projekt im Iran. Seit 2008 lebt Ahmadzadeh nun in Wien und studiert am Konservatorium zeitgenössischen Tanz. Vor zwei Jahren hat sie auch mit "tanz. labor. labyrinth" ihre eigene Tanzkompanie in Wien gegründet. Im Jänner ist ihr nächstes Projekt, Sieben Städte der Liebe, im Odeon Theater geplant.

Rebellin, die Angst macht

Unter ihren Kollegen hat sie einen Ruf. Man spricht von der "Rebellin", die ihrem Publikum immer Angst machen würde. "Obwohl es so hässlich ist, finde ich es schön, weil es so authentisch ist, weil es von mir, von innen kommt", erklärt sie. Klar könne sie auch ganz zart tanzen, doch ihre Solos seien eher düster und heftig.

Denn beim Tanzen kommt jede Erfahrung hoch, die sie in ihrem Leben gemacht hat. Jene, als neunjähriges Mädchen, als sie zum ersten Mal Fahrrad gefahren ist und das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit gespürt hat. Und jenes, als sie im selben Moment von einem Sittenwächter wegen ihres vermeintlich unzüchtigen Verhaltens geschimpft wurde. Wie sie jahrelang ihre Haare raspelkurz geschnitten hatte und weite Kleider trug, damit sie aussah wie ein Bub, nur damit sie im Park ungezwungen spielen konnte und ein paar Jahre länger Kind sein durfte. Die Vorschriften im Iran sehen es vor, dass sich jedes Mädchen ab dem neunten Lebensjahr verhüllt. Von da an gilt sie nämlich als Frau.

Heute muss sie keine weiten Kleider mehr tragen. In Mankers Wagner-Epos tanzt sie zum ersten Mal nackt, sie die Iranerin, die jahrzehntelang dazu erzogen wurde, ihren Körper zu verstecken. "Ich habe mich sehr stark gefühlt. Das war gut", sagt sie, "ich darf meine Freiheit nun ausleben".