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Wenn Vorzugsstimmen verpuffen

Von Wolfgang Zaunbauer

Politik

Politikwissenschafter Filzmaier für Reform nach deutschem Vorbild.


Wien. Für Martina Diesner-Wais hat sich der Wahlkampf gelohnt. Offiziell wird das Ergebnis der niederösterreichischen Vorzugsstimmen zwar erst heute, Dienstag, um 12 Uhr verkündigt, aber schon jetzt ist bekannt, dass die Landwirtin aus Pürbach dank der Vorzugsstimmen von Listenplatz drei auf Listenplatz eins der ÖVP im Wahlkreis Waldviertel vorgereiht wird. Damit hat die ehemalige Bundesrätin den Einzug in den Nationalrat geschafft.

Diesner-Wais ist freilich die große Ausnahme. Wenn es bei dieser Nationalratswahl aufgrund der Vorzugsstimmen zu Vorreihungen kam, dann nur für jene, die ohnehin ein fixes Mandat hatten. So tauschten im Weinviertel auf der ÖVP-Liste Eva-Maria Himmelbauer und Hermann Schultes die Plätze - was egal ist, weil die ÖVP in dem Wahlkreis zwei Mandate holte. Und wenn ein weiter hinten gereihter Kandidat mehr Vorzugsstimmen erreichte als die Listenersten, dann waren es in den meisten Fällen trotzdem zu wenige, um vorgereiht zu werden.

Die meisten, aberdoch zu wenig

So hat etwa Omar Al-Rawi, auf der Wiener SPÖ-Landesliste nur auf Platz 33, 3390 Vorzugsstimmen geholt. Unter den SPÖ-Kandidaten mit Abstand am meisten, aber zu wenige, um Rudolf Hundstorfer von Platz eins zu verdrängen. Viel zu wenige. Al-Rawi hätte 25.162 Vorzugsstimmen für eine Vorrückung gebraucht.

Dass die meisten zu wenig sein können, trifft auch auf den österreichweiten Vorzugsstimmenkaiser dieser Wahl zu. Heuer wurden erstmals auch auf Bundesebene Vorzugsstimmen vergeben. Mit sieben Prozent der für die eigene Partei abgegebenen Stimmen wurde man vorgereiht. Doch diese Hürde war selbst für Sebastian Kurz zu hoch. Der Integrationsstaatssekretär und JVP-Obmann schaffte - dank eines entsprechenden Wahlkampfs seiner Organisation - bundesweit 35.662 Vorzugsstimmen. Um die Sieben-Prozent-Hürde zu knacken, wären im Falle der ÖVP 78.811 Vorzugsstimmen nötig gewesen. Auch mit den meisten Vorzugsstimmen war Kurz also noch deutlich von einer Vorrückung entfernt und verblieb damit auf der ÖVP-Bundesliste auf Platz drei.

Wenn, dann in den Regionalwahlkreisen

Auch in Wien verpasste der 27-Jährige das Landeswahlkreisquorum von zehn Prozent der Parteistimmen deutlich. 11.532 wären nötig gewesen, um Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, von Platz eins zu verdrängen. Kurz, der auch auf Wiener Landesebene die meisten Vorzugsstimmen einheimste, kam nur auf 5423.

Wenn die Vorzugsstimmenhürde geknackt werden kann, dann in den Regionalwahlkreisen. Hier holten viele Kandidaten mehr als 14 Prozent der eigenen Parteistimmen - allerdings in den meisten Fällen die ohnehin an erster Stelle gereihten. So nutzte es Kurz auch wenig, dass er mit 10.272 Vorzugsstimmen statt der geforderten 14 sogar 39 der ÖVP-Stimmen im Wahlkreis Wien Süd-West als Vorzugsstimmen holte. Er war hier schon Spitzenkandidat der Schwarzen.

Für Politikwissenschaftler Peter Filzmaier liegt das Problem der Vorzugsstimmen darin, dass sich die Politik "nicht traut, konsequent zu sein". In den Anfängen der Zweiten Republik habe man keine zu starke Personalisierung des Wahlrechts gewollt, "was nach dem Führerkult und sieben Jahren Nationalsozialismus legitim war". Die Rekrutierung der Kandidaten durch die Parteien sei durchaus sinnvoll gewesen, "um obskure Figuren nicht an die Spitze zu lassen", so Filzmaier, "das ist jetzt aber nicht mehr zeitgemäß".

Die Karotte vor derNase der Kandidaten

Die Parteien profitieren von den Vorzugsstimmen. Vor allem sie. Weil jeder noch so weit hinten gereihte Kandidat - auf Bundesebene immerhin 2551 - die theoretische Möglichkeit hat, genügend Vorzugsstimmen zu sammeln, erhöht sich der Mobilisierungsgrad beträchtlich. Tatsächlich ist es aber eher die berühmte Karotte vor der Nase, der man vergebens hinterherjagt.

Daran wird sich auch nichts ändern, glaubt Politikexperte Filzmaier, denn "das würde die Rolle der Parteien schwächen", deren Einfluss auf die Kandidatenreihung damit deutlich geschwächt würde. Aus diesem Grund sieht Filzmaier auch die Senkung der Prozenthürden für Vorreihungen als "nicht realistisch".

"Kein Reförmchen,sondern eine Reform"

Aus Sicht des Politikwissenschafters braucht es zur Stärkung des Persönlichkeitswahlrechts "kein Reförmchen, sondern eine Reform", etwa die Schaffung eines Zweitstimmensystems nach deutschem Vorbild. Dort wird die Hälfte der Mandate über Direktwahlen in den Wahlkreisen vergeben - was die Bindung der Kandidaten an den Wahlkreis deutlich erhöht. Bis sich die Parteien zu einer Reform durchringen, bleiben Erfolge wie jener von Martina Diesner-Wais die Ausnahme und das Gros der Vorzugsstimmen verpufft wirkungslos.