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Was wir über Roma denken

Von Momcilo Nikolic

Politik
Den Roma fehlt es an Selbstbewusstsein und Organisation, meint Usnija Buligovic.
© Volkshilfe

Eine Umfrage der Volkshilfe zeigt Bewusstsein für vorherrschende Diskriminierung und Benachteiligung von Roma.


Wien. Innere Stadt. Eine Gruppe Fußballfans traf nach einer Niederlage des eigenen Vereins in der Innenstadt auf einen serbisch-stämmigen Vater und seinen Sohn, der ein Trikot der serbischen Nationalmannschaft trug. Die Männer schlugen den Vater nieder, gingen auf das Kind los und riefen: "Schau ihn an, den kleinen Zigeuner." Sie prügelten auf den Sohn ein, drückten ihn zu Boden und urinierten auf ihn.

Karlsplatz. Eine Familie aus der Slowakei, die in Wien Zeitungen verkaufte, wurde von der Polizei einer Kontrolle unterzogen. Während der Aktion wurde der 18-jährige Sohn aufgefordert zu verschwinden. Da er nicht gleich der Aufforderung nachkam, schlug ihn einer der Polizisten mit einem Knüppel. Der Polizist sagte zum Vater: "Du bist heute das letzte Mal in Österreich, das garantiere ich!" Auf der Polizeiinspektion ging die Tortur weiter. Beide Männer mussten sich nackt ausziehen. Der Vater wurde vom Polizisten mit Schlägen bedroht, mehrfach gestoßen und gefragt: "Hast du Angst, du dreckiger Zigeuner?" Die Familie erhielt als Abschluss acht Organstrafverfügungen wegen Übertretung des Rauchverbots, Ordnungsstörung, Lärmbelästigung und Anstandsverletzung und musste 168 Euro Strafe zahlen. Laut Strafverfügungen waren sämtliche vorgeworfenen Delikte an jenem Tag um exakt 12.55 Uhr begangen worden. Das Büro für Interne Ermittlungen hatte während einer eingeleiteten Untersuchung der Familie keinen Glauben geschenkt.

Dies sind nur zwei von 82 dokumentierten Fällen rassistischer Vorfälle im "Antiziganismus"-Bericht des Romano-Centro. Der Bericht erschien im Dezember 2013 und reicht zurück bis ins Jahr 2005. Nun hat das Volkshilfe Sozialbarometer eine repräsentative Umfrage unter 1065 Personen über 15 Jahren durchgeführt, um zu erfahren, was Österreich über Roma denkt. Die Ergebnisse wurden von Bundesgeschäftsführer Erich Fenninger und Thara-Projektkoordinatorin Usnija Buligovic präsentiert.

Schätzungen über in Wien ansässige Menschen mit Roma-Identität sprechen von zwischen 40.000 und 100.000 Personen. In Europa stellen die Roma mit neun bis zwölf Millionen die größte Minderheit dar. 2005 rief die Volkshilfe Österreich die Initiative Thara ins Leben, deren arbeitsmarktpolitische Projekte den Roma die Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt erleichtern sollen. 18 Prozent der Roma in Wien befinden sich in einem Leiharbeitsverhältnis, 41 Prozent arbeiten auf Teilzeitbasis und 13 Prozent sind arbeitslos.

Kriminelle und Bettler

Das Bild, das viele von Roma haben, zeichnet Menschen dieser Volksgruppe als Kriminelle und Bettler. Laut dem "Antiziganismus"-Bericht fügen sich hier noch rassistische Stereotype wie "Kinderreichtum", "Sozialtourismus" und "Unstetigkeit" nahtlos an. Aktuelle Ergebnisse der Sozialbarometer-Umfrage zeigen, dass in Österreich tatsächlich ein Bewusstsein für die Diskriminierung der Roma herrscht. 74 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass auch in der Gegenwart Roma und Sinti von Verfolgung, Vertreibung und rassistischer Gewalt betroffen sind.

Während 68 Prozent denken, dass Roma in Europa eine besonders benachteiligte Gruppe darstellen, sinkt diese Zahl auf Österreich bezogen auf 54 Prozent, bei 43 Prozent Gegenstimmen. Bei der Frage, ob man aufgrund der Benachteiligungen mit speziellen Maßnahmen wie Sozialberatung, Bildungsunterstützung und Arbeitsmarktprojekten entgegenwirken sollte, befürworten 59 Prozent so ein Vorgehen, 38 Prozent sind allerdings dagegen.

"Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, warum sie das ablehnen. Wenn ein Teil davon überzeugt ist, dass es keine Benachteiligung gibt, glaubt er auch, dass es keiner besonderen Maßnahmen bedarf. Es handelt sich um keine Wissens-, sondern um eine Glaubensfrage", erklärt Fenninger den relativ hohen Anteil der Ablehnung bei dieser Frage.

Fenninger begrüßt indes sehr, dass Österreich die "Europastrategie 2020" (fünf EU-Kernziele: Beschäftigung, Forschung & Entwicklung und Innovation, Klimawandel und Energie, Bildung, Armut und soziale Ausgrenzung) implementiert und im Bundeskanzleramt angesiedelt hat. "Die Union hat vorgeschlagen, dass es national eine Roma-Strategie geben muss. Wir sehen das als ein ganz wichtiges Instrument, über die Grenzen hinaus mit den Betroffenen und der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Es hat Priorität, hier etwas zu tun und Roma zu integrieren."

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Österreicher zwar wissen, dass Roma in Europa stark diskriminiert werden und unter Anfeindungen zu leiden haben. "Sie stellen aber auch fest, dass die Benachteiligung nicht so groß ist wie in anderen europäischen Ländern." So gebe es etwa keine Roma-Siedlungspolitik. "Wenngleich man nicht verschweigen darf, dass es auch hierzulande Übergriffe gibt", sagt Fenninger.

Besser ein "Jugo" sein

Die Gründe für die Vorurteile, denen Roma verstärkt ausgesetzt sind, sieht Usnija Buligovic zum Teil in der Wirtschaftskrise: "In Österreich ist der Nationalsozialismus zum Glück lange vorbei, aber es gibt immer noch Strömungen in diese Richtung. Grundsätzlich hängt es aber mit der Wirtschaftskrise zusammen."

Österreich habe eine Geschichte der Ausgrenzung diverser Volksgruppen aufzuweisen. Angefangen bei den Gastarbeitern aus Ex-Jugoslawien in den 1960ern, aus Afrika stammenden Menschen, Muslime und jetzt Roma. "Allein die Tatsache, dass in Wien viele Roma ihre ethnische Identität verbergen, zeigt, dass es eine Art Hierarchie des Rassismus gibt. Es ist viel besser, ein ‚Jugo‘ zu sein, als ein ‚Jugo‘ mit Roma-Hintergrund", meint Buligovic.

Die Thara-Projektkoordinatorin erzählt von einem Beispiel, bei dem ein Roma-Unternehmer nicht der Thara-Plattform beitreten wollte. Er sorgte sich, dass alles, was er bisher aufgebaut und erreicht hatte, gefährdet wäre, würde er sich als Roma zu erkennen geben. "Das heißt aber auch zugleich, dass der Österreicher vielleicht tagtäglich mit einem Roma zu tun hat, quasi im selben Raum mit ihm lebt, und es nicht einmal weiß."

"Zu wenig organisiert"

Diese Handlungsweisen erklärt Buligovic unter anderem mit der mangelhaften Organisation. "Die Serben in Wien haben eine Bewegung und sind damit den Roma weit voraus. Auch, was das politische Engagement betrifft. In Serbien gibt es Roma-Parteien und Vertreter im öffentlichen Parlament. Hier ist noch nicht einmal die Rede davon. Da herrscht großer Nachholbedarf."

Trotz des Hinweises auf diesen Entwicklungsrückstand ist es Buligovic und Fenniger wichtig, dass es in Zukunft nicht zu Parallelgesellschaften kommt, sondern zu einer aktiven Teilnahme der Roma an der österreichischen Gesellschaft. "Eine unserer Aufgaben wird es sein, die positiven Beispiele herauszustreichen, um der negativen Wahrnehmung und Darstellung entgegenzuwirken. Die neue Generation der Roma ist gut ausgebildet, politisch vernetzt und erfolgreich", weiß Buligovic und meint abschließend: "Österreich muss merken, dass es auch andere Roma gibt."