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Mitreden können

Von Ljubisa Buzic

Politik
Einmal pro Woche kommen Sebastian, Thomas, Klara und Nadine zu Suzana Zivkovic (2.v.l.), um "BKS" zu lernen.
© Buzic

An der VHS Wien haben im vergangenen Jahr 800 Personen Bosnisch/Kroatisch/Serbisch gelernt.


Wien. "Ja sam iz Gmundena" - "Ja sam iz Rudolfsheim-Fünfhausa" - "Ja sam iz Meidlinga", so beginnt die Vorstellungsrunde der BKS-Gruppe in der Volkshochschule Margareten. Hier in einem kleinen Seminarraum im ersten Stock treffen sich jede Woche die Teilnehmer des Kurses BKS (Bosnisch, Kroatisch, Serbisch). Es ist ein Intensivkurs mit vier Teilnehmern, einmal pro Woche. Nadine, Klara, Sebastian und Thomas lernen seit drei Monaten nicht nur Vokabeln und Grammatik, sondern auch etwas über die Kultur der Länder des ehemaligen Jugoslawien, deren Sprachen seit einigen Jahren unter der Abkürzung BKS zusammengefasst werden.

Jede Woche werden von den Teilnehmern kurze Referate vorbereitet. Klara referiert heute über Lepa Brena. Das ist eine Sängerin - eine "pevacica" oder auch "glazbenica", wie man in Kroatien sagen würde. Und welche Lieder kennt sie von ihr? "Hajde da se volimo" (Lass uns Liebe machen) und "Mile voli disko" (Mile liebt die Disko), antwortet Klara. Ein ermutigendes "Odlicno" (Ausgezeichnet) von der Kursleiterin Suzana Zivkovic folgt auf den Fuß.

Die Pop-Diva mit der blonden Dauerwellenmähne und den engen Glitzerkleidern ist seit den 1980er Jahren absoluter Kult in der Region des ehemaligen Jugoslawiens. Sie selbst würde wohl nicht ahnen, dass sie hier im Kurs zum Unterrichtsstoff gehört.

Ex-jugoslawische Stars sind den Kursteilnehmern mittlerweile ebenso ein Begriff wie Vuk Karadzic, der Reformator der einstigen serbo-kroatischen Sprache, oder Petar Prerodovic, der kroatische Nationaldichter. Natürlich kennen sie die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Landeshauptstädte, auch wenn die Aussprache von Namen wie Skadarlija, Medvecak oder Bacarija ab und zu etwas schwer fällt.

Die richtige Aussprache von international gebräuchlichen Worten wie Laptop mit bosnisch/kroatisch/serbischer Betonung (mit "a" natürlich) sorgt dagegen regelmäßig für Schmunzeln bei den Schülern. Die Tatsache, dass drei Sprachen in einem einzigen Kurs gelehrt werden, sorgt nur am Anfang für Verwirrung, erklärt Suzana Zivkovic, die seit zwei Jahren BKS-Kurse an der Volkshochschule leitet.

Insgesamt 85 BKS-Kurse hat die Volkshochschule Wien im vergangenen Jahr angeboten. Zusätzlich widmeten sich 23 Kurse nur dem serbischen und 120 dem kroatischen Standard. Zusammengenommen wurden die Kurse von mehr als 800 Teilnehmern besucht. Alles in allem hat die VHS Wien 60 verschiedene Sprachen im Programm.

Polyzentrische Sprache

Dass Sprache weniger etwas natürlich Gewachsenes, als das Ergebnis von Diskursen und Verwerfungen ist, merkt man auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien besonders deutlich. Hier kann man seit knapp zwei Jahrzehnten das Entstehen neuer Sprachen praktisch in Echtzeit mitverfolgen.

Die Diskussion darüber, ob das jetzt eine einzige Sprache mit mehreren Dialekten ist, gibt es bei Suzana Zivkovic nicht. "Für mich sind das auf jeden Fall drei Sprachen mit einer gemeinsamen Wurzel", sagt die Sprachlehrerin. Genauer gesagt handelt es sich um eine polyzentrische Sprache mit mehreren Standardvarietäten und mehreren Zentren. Verständigen kann man sich allerdings immer noch problemlos.

In ihren Kursen bemüht sich die Lehrerin, alle drei Standards möglichst gleichberechtigt zu vermitteln. Die Kursteilnehmer können dann selbst entscheiden, welcher Sprache sie den Vorzug geben. Es gibt aber auch Schüler, die bewusst versuchen, alle drei Sprachen zu lernen, erklärt sie. Dabei können ganz wilde Mischungen entstehen, die es in der Form nirgendwo in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien geben würde.

Bei der Frage, welche Sprache die BKS-Lehrerin privat spricht, wird es schon komplizierter. "Das kommt darauf an, mit wem ich spreche", sagt sie. Aufgewachsen in einer gemischten Familie - der Vater Bosnier, die Mutter Serbin -, ist es ihr ein Ansporn, auch außerhalb der Familie in der Sprache ihres Gegenübers antworten zu können.

Unterschiedliche Motivationen

Seit drei Monaten bemühen sich Nadine, Klara, Sebastian und Thomas, die Tücken dieser gar nicht einfachen Sprachen zu bewältigen. "Wo es im Deutschen für eine Sache nur ein Wort gibt, gibt es hier zwanzig unterschiedliche", sagt Nadine. "Französisch und Spanisch waren da viel leichter", fügt die medizinische Informatikerin schmunzelnd hinzu. "Ganz zu schweigen von der Grammatik." Was an der Grammatik das Schwierigste ist? "Der Lokativ mit seinen hunderttausend Ausnahmen", weiß der Student Thomas zu berichten.

Tatsächlich ist die grammatikalische Struktur komplizierter als etwa im Deutschen oder im Englischen. Statt vier Fällen gibt es sechs, die Konjugation der Verben wird erschwert, weil man anders als im Deutschen auch das Geschlecht des Sprechenden einbeziehen muss. Schwierigkeiten gibt es viele, trotzdem haben alle vier schon den Kurs für das nächste Semester gebucht.

Die Motivation für das Lernen der Sprache ist ganz unterschiedlich, erklärt Suzana. Das können berufliche Gründe genauso sein wie Beziehungen oder einfach ein Interesse für die Kultur. Manche Teilnehmer haben geschäftlich viel mit der Region zu tun. Es gibt viele österreichische Unternehmen, die schon seit Jahren in Südosteuropa aktiv sind. Andere kommen in den Kurs, weil sie gute Freunde haben, die aus Bosnien, Kroatien oder Serbien stammen.

Bei drei der vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern in diesem Kurs sind es private Gründe. "Es ist natürlich auch schön für die Familie meines Freundes, wenn ich die Sprache kann", sagt Klara, die mit einem Bosnier in einer Beziehung lebt.

Die junge Frau mit der Brille kennt Sarajevo mittlerweile ganz gut und auch in Belgrad war sie schon zu Besuch bei Freunden. Von den Sehenswürdigkeiten der Stadt hat sie nicht so viel gesehen. Dafür hat sie aber das Belgrader Nachtleben umso mehr genossen.

Integration einmal umgekehrt

Dass Integration keine Einbahnstraße sein muss, beweisen die Teilnehmer in Suzanas Kurs eindrucksvoll. Thomas, der junge Politikwissenschafter, ist ein gutes Beispiel. Er ist der Einzige in der Gruppe, der nicht mit einer Bosnierin, Kroatin oder Serbin liiert ist.

Warum er die schwierige Sprache trotzdem lernt? "Ich wohne im Fünfzehnten", sagt der Student mit der Adidas-Jacke und lacht. Irgendwann einmal mitreden können, sich mit Menschen, die hier leben, in ihrer Muttersprache zu verständigen, das ist das Ziel des 27-Jährigen. Oder kurz zusammengefasst: "Sich eines Tages ins Cream (ein beliebter Wiener Nachtclub, Anm.) in der Märzstraße hineintrauen", sagt er scherzend.