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Parlamentarische Zäsur

Von Simon Rosner

Politik

Fünf Parteien beschließen Minderheitsrecht für die Einsetzung von U-Ausschüssen.


Wien. Am 21. Dezember 1867 hat alles begonnen. Die "Wiener Zeitung" druckte in ihrer Sonntagsausgabe tags darauf den gesamten Text des von Kaiser Franz Joseph abgesegneten Gesetzes "betreffend die allen Ländern der österreichischen Monarchie gemeinsamen Angelegenheiten und die Art ihrer Behandlung". Das Delegationsgesetz schreibt erstmals die Möglichkeit der parlamentarischen Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuss fest.

Wörtlich heißt es: "Die Delegation hat das Recht, an das gemeinsame Ministerium oder an ein einzelnes Mitglied desselben Fragen zu richten und von demselben Antwort und Aufklärung zu verlangen, ferner Commissionen zu ernennen, welchen von Seite der Ministerien die erforderlichen Informationen zu geben sind."

Im Wesentlichen gab es also schon 1867 im "Reichsrath" die Möglichkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Allerdings wird erst das Jahr 2014 als jenes in die Geschichte eingehen, in denen einer Minderheit das Recht eingeräumt wird, einen solchen U-Ausschuss einzusetzen. Im Oktober soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden, die Entscheidung dafür fiel aber am Donnerstag.

Schon 1920 diskutiert

Schon 1920 fand sich in einem Entwurf für die Verfassung der Ersten Republik ein Minderheitsrecht für Kontrollausschüsse, doch das scheiterte am Widerstand der Sozialdemokraten. Die SPÖ sollte dann aber später dem demokratiepolitischen Zauber eines Minderheitsrechts erliegen, als Josef Klaus Ende der 60er Jahre eine ÖVP-Alleinregierung anführte. Die Volkspartei lehnte das jedoch ab, wurde aber ihrerseits einige Jahre danach zum glühenden Anhänger dieser Idee. Bruno Kreisky hatte nämlich das Kanzleramt übernommen und wenig später die absolute Mehrheit für die SPÖ errungen.

Das Für und Wider eines Minderheitsrechts zur Einsetzung eines U-Ausschusses verläuft historisch nicht entlang ideologischer Grenzen, sondern pragmatischer Machtinteressen: Die Opposition forderte, die Regierung verhinderte, egal welche Partei gerade in jenen Positionen war. Selbst die FPÖ fand nach Jahrzehnten in der Opposition, in denen sie immer wieder die Forderung nach einem Minderheitsrecht erhob, wenig Gefallen an dessen Umsetzung.

Ein Viertel reicht künftig

Nun aber ist es tatsächlich so weit. Fünf Parlamentsparteien konnten sich am Donnerstagnachmittag auf eine detaillierte Verfahrensordnung einigen, das Team Stronach sieht das Minderheitsrecht als "zahnlos" an und verweigert die Zustimmung. Dies ändert aber nichts daran, dass künftig ein Viertel der Abgeordneten einen U-Ausschuss einsetzen kann.

Es ist nun der dritte seriöse Anlauf. Bereits 1999, unmittelbar vor Schwarz-Blau, hatte es eine grundsätzliche Einigung aller Parteien gegeben, ehe die Wenderegierung eine Kehrtwende unternahm. Zehn Jahre später unterschrieben dann SPÖ und ÖVP ein Papier mit den Oppositionsparteien, in denen das Minderheitsrecht als Ziel von "intensiven Verhandlungen" definiert wurde. Doch nie gelangte man dort an, wo man im Jahr 2009 hin wollte.

Nun standen offenbar die politischen Sterne so günstig wie noch nie. Die Regierungsparteien waren bei den jüngsten Wahlen gebeutelt, die Opposition gestärkt worden und das Hypo-Desaster hatte das Volk dermaßen erzürnt, dass sogar aus Spaßvögeln plötzlich Wutbürger wurden. Und es brachte auch Mandatare der Regierungsparteien in Argumentationsnöte in ihren Wahlkreisen, wie Dieter Brosz, der für die Grünen das Gesetz verhandelte, sagt. "Ich glaube, dass der Druck in den Klubs schon sehr groß war, auch der öffentliche Druck", sagt der Grüne Abgeordnete.

"Historisches Ereignis"

Noch ist die Einigung kein Gesetz, allerdings ist politisch alles im Detail vereinbart, die legistische Ausarbeitung soll bis Herbst erledigt sein, dann kann das Gesetz beschlossen werden. Ein Untersuchungsausschuss zur Hypo wird dann nicht lange auf sich warten lassen, doch der dürfte aus Gründen der Gesichtswahrung ohnehin von allen Parteien gemeinsam eingesetzt werden.

Nach der letzten Verhandlungsrunde am Mittagnachmittag jubelte die Opposition über die erzielte Einigung, die zwar seit Monaten im Raum stand, angesichts der Zähigkeit dieser Diskussion in den vergangenen Jahren aber doch irgendwie überrascht. "Gut Ding braucht Weile", sagte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

Es ist ein Kompromiss, mit dem alle leben können. Die Opposition hat die Aufwertung von Minderheitsrechten, die ÖVP erhält den von ihr geforderten Verfahrensrichter und die SPÖ den Vorsitz durch das Präsidium des Nationalrats sowie eine zeitliche Befristung. Für Brosz ist die Einigung "ein historisches Ereignis", wie er sagt, was am 21. Dezember 1867 begann, erfuhr 147 Jahre danach, am 10. Juli 2014, eine doch einschneidende Zäsur.

Die U-Ausschuss-Reform

Künftig kann ein Viertel der Abgeordneten einen U-Ausschuss einsetzen. Zwar dürfen mehrere U-Ausschüsse gleichzeitig laufen, jedoch nur, wenn die übrigen von einer Mehrheit des Nationalrats unterstützt werden.

Der Untersuchungsgegenstand muss konkret definiert sein und ein "abgeschlossener Sachverhalt" sein. Läuft parallel ein Strafverfahren, darf dieses durch Ausschüsse nicht gefährdet sein.

Den Vorsitz führt die Nationalratspräsidentin, die sich auch durch die anderen Präsidenten vertreten lassen kann.

Ihr zur Seite steht ein Verfahrensrichter, der eine Beratungsfunktion hat, aber auch die Erstbefragung von Auskunftspersonen vornimmt. Dies soll der Verrechtlichung des Verfahrens dienen.

Die Dauer eines Ausschusses ist mit 14 Monaten begrenzt, kann aber von einer Minderheit um drei Monate und einer Mehrheit um weitere drei Monate verlängert werden. Er kann damit maximal 20 Monate dauern, danach muss ein Bericht an den Nationalrat verfasst werden.

Nicht nur bei der Einsetzung, sondern auch im Ausschuss erhält die Minderheit mehr Rechte. So darf ein Viertel eine Auskunftsperson zweimal laden, beim dritten Mal ist ein Mehrheitsbeschluss nötig. Die Befragung darf die Dauer von vier Stunden nicht überschreiten. Für den Fall des Nichterscheinens wurden die Beugestrafen deutlich nach oben geschraubt (bis zu 30.000 Euro).

Beim Streitthema Beweismittel sieht die Einigung vor, dass vor einem Ausschuss eine Liste mit den nötigen Akten von einer Mehrheit beschlossen wird, wobei sich die Minderheit - wie in anderen Streitfällen auch - in einem Eilverfahren an den Verfassungsgerichtshof wenden kann. Im Ausschuss darf dann die Minderheit Beweismittel beantragen, wogegen wiederum die Mehrheit vor den VfGH ziehen kann.

Die Immunität wird künftig nur beim Tatbestand des "bewussten Geheimnisverrats" und "absichtlicher Verleumdung" aufgehoben. Die zuletzt heftig kritisierte Informationsordnung sieht nur strafrechtliche Konsequenzen bei Verletzung der beiden höchsten Vertraulichkeitsstufen ("GEHEIM", "STRENG GEHEIM") vor, die dann zur Anwendung kommen, wenn die Sicherheit des Landes bei Kenntnisnahme Unbefugter gefährdet wäre.