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Der Streit ist im Fluss

Von Matthias Nagl

Politik

Wie groß soll das Natura-2000-Schutzgebiet an der Isel in Osttirol werden? | Diese Frage entzweit inzwischen selbst Tirols Landeshauptmann und seine Stellvertreterin.


Matrei in Osttirol. Planungsverband 34 ist keine Bezeichnung, die nach besonders aufregenden politischen Debatten klingt. Doch der Planungsverband 34, ein Verband von acht Osttiroler Gemeinden, sorgt aktuell dafür, dass der Tiroler Politsommer nicht langweilig wird und die Koalitionspartner ÖVP und Grüne ausführlich Gesprächsbedarf haben.

Denn durch das Gebiet der acht Gemeinden am Fuß des Großglockners in Osttirol fließt die Isel mit ihren Zubringerbächen. Der nach der Drau größte Fluss Osttirols ist Kandidat für die Ausweisung als Natura-2000-Schutzgebiet. Nach einer Beschwerde des Umweltdachverbandes verlangt die EU-Kommission von Österreich eine Verdoppelung der Anzahl dieser Naturschutzgebiete.

Zuständig für die Ausweisung sind die Bundesländer, eine erste Liste will die Kommission bis Ende September. Doch während dieser Vorgang in den meisten Bundesländern geräuschlos über die Bühne geht, belastet die Diskussion darüber in Tirol das Koalitionsklima zwischen Schwarz und Grün. Es könne nicht sein, dass in der Landespolitik "der Schwanz mit dem Hund wedelt", polterte Andreas Köll, nachdem die zuständige Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe von den Grünen ihren Vorschlag für das Natura-2000-Gebiet präsentierte.

Natura 2000 erschwertneues Kraftwerk

Köll ist ÖVP-Bürgermeister der größten Gemeinde des Planungsverbands Matrei in Osttirol. Er kritisiert den Koalitionspartner seiner Partei: "Die Grünen diktieren die Politik in Tirol. Es herrscht absoluter Stillstand." Besonders stört ihn das im Zusammenhang mit dem Schutzgebiet. "Wir akzeptieren Natura 2000 dort, wo es notwendig ist, um die Vorgaben der EU-Kommission zu erfüllen, und wir werden das auch umsetzen. Wir akzeptieren aber nicht, dass es als Vehikel verwendet werden soll, um Kraftwerke zu verhindern", sagt Köll zur "Wiener Zeitung".

Bis zu vier geplante Kraftwerke wären vom Natura-2000-Vorschlag Felipes gefährdet, glaubt Köll. Auf seinem Gemeindegebiet plant der Landesenergieversorger Tiwag ein Kraftwerk. Köll, der für die ÖVP auch im Bundesrat sitzt, gilt als Befürworter des Projekts. "Unser Problem sind aber nicht die Kraftwerke", erklärt Köll. Er argumentiert mit Problemen, die Natura 2000 in Form von Auflagen für Wirtschaft und Landwirtschaft in der gesamten Region bringen würde.

Der Gemeindeverband ist einer von 37 Tiroler Planungsverbänden, knapp 12.000 Einwohner leben aktuell dort, die Fläche deckt mehr als die Hälfte Osttirols ab. Ungefähr seit der Jahrtausendwende nimmt die Einwohnerzahl im Norden Osttirols ab, die Zahl der Erwerbstätigen in den einzelnen Orten ist in derselben Zeit konstant geblieben. Der Anteil an geschützten Gebieten ist aufgrund des Nationalparks Hohe Tauern, der mit Kern- und Außenzonen mehr als die Hälfte der Region abdeckt, schon jetzt überdurchschnittlich hoch.

"Wir sind schon seit nahezu 20 Jahren Natura-2000-Gebiet", sagt Köll mit Verweis auf den Nationalpark Hohe Tauern. Im Nachbartal plant die Gemeinde Kals am Großglockner eigenständig ein Kraftwerk, dort geht Bürgermeister Klaus Unterweger davon aus, dass ein Kraftwerk auch im Natura-2000-Gebiet möglich ist. Allerdings plant die Tiroler Landesregierung laut Koalitionspakt in Natura-2000-Gebieten keine oberirdischen Kraftwerksbauten mehr zuzulassen.

Ein seltenes Gewächs als Argument für den Schutz

Den Kraftwerksgegnern und Naturschützern geht es aber ohnehin um größere Zusammenhänge. Laut dem "Netzwerk Wasser Osttirol" ist die Isel der letzte alpine Gletscherfluss, der noch nicht energiewirtschaftlich erschlossen ist. Ein Natura-2000-Gebiet soll der Fluss aber wegen der Deutschen Tamariske werden. Das Strauchgewächs, das auf Schotterflächen im Flussbett wächst, gilt im Alpenraum als gefährdet.

Auch der Planungsverband 34 hat einen Vorschlag für die Natura-2000-Ausweisung gemacht. Dort, wo Kraftwerke geplant sind, soll es demnach keine Ausweisung geben. Laut Bürgermeister Köll würde man auch damit die Vorgaben der EU-Kommission, dass 60 Prozent des Vorkommens in Österreich geschützt sind, problemlos erfüllen. "Mit unserem Vorschlag kämen wir auf über 80 Prozent", sagt Köll.

Alle wollen wirtschaftliche Perspektive - nur wie?

Das sind die Details des Streits, längst geht es in der Diskussion aber auch um etwas anderes. "Eine weitere wirtschaftliche Perspektive für den Bezirk ist ganz entscheidend", sagt Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Schließlich sei Osttirol mit Abwanderung konfrontiert. Platter reiste kürzlich zum "Bürgermeisterdialog" mit den betroffenen Gemeinden nach Osttirol und brachte ein Versprechen mit: ein "zusätzliches Förder- und Entwicklungsprogramm des Landes im Hinblick auf Natura 2000".

Die wirtschaftliche Perspektive wollen auch die Kraftwerksgegner und Natura-2000-Befürworter nicht verhindern. Sie sehen diese freilich woanders, im naturnahen Tourismus, der schon mit dem Nationalpark Hohe Tauern erste wirtschaftliche Erfolge brachte. Der Kalser Bürgermeister Unterweger bezeichnet den Nationalpark als "Erfolgsgeschichte".

So weit ist man bei der Isel und Natura 2000 noch nicht. Platter kündigte weitere Gespräche mit den Gemeinden an. Die waren laut dem Büro seiner Stellvertreterin Felipe ohnehin geplant. Notfalls werde eben der September-Termin nicht halten, so Platter. Inhaltlich hält er nicht viel vom Vorschlag seiner Regierungskollegin. "Dieser Vorschlag scheint mir recht großzügig zu sein", zitiert ihn die "Tiroler Tageszeitung". Felipe geht davon aus, dass der Termin hält und dass ihr Vorschlag nur geringfügig adaptiert wird. Den finalen Vorschlag muss die schwarz-grüne Landesregierung aber gemeinsam einbringen.