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Heilen durch Zuhören

Von Petra Tempfer

Seit fünf Jahren muss jeder Medizinstudent soziale Kompetenz erlernen - Mediziner fordern, dass diesem Punkt noch mehr Beachtung geschenkt wird.


Wien. "Es war für mich schwierig, die richtigen Worte zu finden", sagt die Medizinstudentin Eva Wallner über ihre Erfahrung mit einer Bewohnerin des Hauses der Barmherzigkeit, "die gesundheitliche Probleme hatte und gerade eine traurige Phase durchlebte." Im Zuge ihres Studiums musste Wallner im ersten Semester im Haus der Barmherzigkeit die Pflichtlehrveranstaltung zum Thema soziale Kompetenz absolvieren - und fühlte sich "im ersten Moment überfordert. Ich wusste nicht, ob ich die Bewohnerin reden lassen sollte oder ihr Mut zusprechen sollte." Sie entschied sich für Ersteres. "Weil ich sah, dass es wichtig war, einfach nur zuzuhören und zu zeigen, dass man an dem Menschen interessiert ist."

Dass Studenten soziale Kompetenz im Umgang mit Patienten erlernen müssen, war nicht immer so. Viele Jahre stand der Erwerb der fachlichen Fähigkeiten im Vordergrund. Erst seit fünf Jahren ist die Lehrveranstaltung "Soziale Kompetenz" verpflichtend. Vor vier Jahren wurde zudem die "Gesprächsführung" mit Schauspielpatienten, die bis dahin nur ein Wahlfach war, ins Pflichtprogramm aufgenommen. Heute durchziehen Lehrveranstaltungen zum Empathie-Training und zur Patientenkommunikation das Studium und gipfeln im Klinisch-Praktischen Jahr im Spital, das seit diesem Semester erstmals das letzte Studienjahr umfasst.

Schauspieler als Patienten

Für Henriette Löffler-Stastka, Associate Professor an der Klinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der MedUni Wien, ist das dennoch nicht genug. Sie war an der Genese der Lehrveranstaltung "Gesprächsführung" mit Schauspielpatienten und deren Aufnahme ins Pflichtprogramm federführend beteiligt und kritisiert, dass der Umgang mit Patienten nur punktuell gelehrt werde. "Eigentlich sollten die Studenten eine kontinuierliche Lernerfahrung in der Gruppe machen", sagt Löffler-Stastka zur "Wiener Zeitung". Vor allem auch deshalb, weil das Erkennen psychischer Störungen wie Depressionen zunehmend an Bedeutung gewinne. "Depression wird 2030 die zweithäufigste Erkrankung nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein."

Im Zuge der "Gesprächsführung" lernt jeder angehende Arzt, wie er seinem Patienten die Gefahren einer Operation oder die Überlebenschancen bei einer Krebserkrankung mitteilt. Die Schauspielpatienten selbst werden zuvor umfassend geschult und geben dem Studenten danach Feedback aus Sicht des Patienten. Außerdem verfolgt der Lehrveranstaltungsleiter das Szenario und gibt Tipps auf fachlicher Ebene.

Auf die Frage, ob die Schulung im Umgang mit Patienten für Allgemeinmediziner oder Fachärzte wichtiger ist, antwortet Löffler-Stastka prompt: "Für alle." Denn jede Art der Krankheitsverarbeitung sei etwas extrem Emotionales. "Wenn sich ein Patient nicht wertgeschätzt fühlt, kränkt er sich. Und Kränkung macht krank." Gleichzeitig könne man allein durch Zuhören helfen - und mitunter auch heilen.

Anleitung zum Selbstschutz

Als Arzt läuft man dadurch allerdings Gefahr, sich zu sehr hineinzusteigern. Im Zuge der Lehrveranstaltungen zum Umgang mit Patienten wird daher auch besprochen, wie es dem Studenten in der Situation ergangen ist und welche Abwehrmechanismen er für sich entwickeln kann.

Vielleicht überfordert ihn die Situation generell. Vielleicht mehr, als er gedacht hatte - und er bereut, sich für das Medizinstudium entschieden zu haben. Die Vizerektorin für Lehre, Gender und Diversity der MedUni Wien, die Psychiaterin Karin Gutiérrez-Lobos, schlägt daher vor, dass angehende Studenten noch vor Beginn des Studiums ein Praktikum in sozialer Kompetenz absolvieren. Dieses soll zum fixen Bestandteil des Aufnahmeverfahrens werden, den sich Studenten später anrechnen lassen können.

Das Wissenschaftsministerium bremst allerdings. "Aufgrund der hohen Zahl an Studienwerbern (jährlich rund 8000, Anm.) und der damit verbundenen finanziellen Auswirkungen sehen wir diesen Vorschlag schwer umsetzbar", heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung". Eine stärkere Gewichtung sozialer Kompetenzen während des Studiums sei indes "grundsätzlich denkbar und sinnvoll". Die einzelnen Universitäten gestalteten ihren Lehrplan jedoch autonom. Studentin Wallner hat ihre Studienwahl jedenfalls nicht bereut. Selbst in schwierigen Situationen während der Lehrveranstaltung im Haus der Barmherzigkeit habe sie "keinen Moment daran gezweifelt, Menschen helfen zu wollen".