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Eines der letzten Interviews mit Freda Meissner-Blau

Von Brigitte Pechar

Politik

"Wir sind am Ende des Wachstums": In einem ihrer letzten Interviews hat Meissner-Blau erklärt, ihr Herz sei immer noch rot-grün.


Wien. Sie war die Integrationsfigur der Grünen, ja deren Gründerin im Jahr 1986. Sie hat der Bewegung gegen Atomkraft 1978 und jener zur Rettung der Hainburger Au 1984 ein Gesicht gegeben: Freda Meissner-Blau (87) ist die Grande Dame der österreichischen Ökologiebewegung.

Die "Wiener Zeitung" hat Freda Meissner-Blau in ihrer Wiener Wohnung besucht und mit ihr darüber gesprochen, warum es eine Revolution statt nur Reformen braucht, damit der "Mensch nicht des Menschen Wolf wird".

Waren Sie sicher, dass die Grünen gekommen sind, um zu bleiben?

Es sah am Anfang eher unsicher aus, aber sie haben diesen Willen, durchzuhalten und Durststrecken durchzugehen - es ging wahnsinnig langsam, aber sie sind gewachsen. Und dann kam Alexander Van der Bellen. Der war ein gutes Aushängeschild. Er war kein Grüner, aber er war beliebt und man hat ihn gewählt. Das hat sehr geholfen. Jetzt nach 30 Jahren haben sie eine Stimme - nachdem die großen Parteien zu Mittelparteien abgesandelt sind -, die durchaus eine Chance hat, an die Regierung zu kommen. Ich wünsche es ihnen, aber unterwegs haben sie sehr viel Überzeugung verloren. Das wird ihnen übel genommen von den Bewegungs-Leuten. Die sind enttäuscht. Mir ist lieber, es gibt Grüne, als es gibt sie nicht. Dass nicht immer alles so gelingt, wie sich das mein rot-grünes Herz wünschen würde, das nehme ich zur Kenntnis. So ist es halt.
Meissner-Blau hat in ihrem 88. Lebensjahr eine Biografie aufgezeichnet. Man könnte auch von einer Autobiografie sprechen, weil Freda Meissner-Blau ihr Leben darin selbst erzählt - Gert Dressel hat ihre Erzählung niedergeschrieben. Dieses Erzählen ist es auch, was dieses Buch auszeichnet. Es ist die Sprache einer Frau aus bürgerlichem Hause, in dem auf humanistische Bildung - vor allem auf Literatur, Sprachen sowie Ausdruck und Musik - großer Wert gelegt wurde. Es ist eine präzise, eine vornehme Sprache. Eine Sprache, die die Herkunft widerspiegelt. Ihre Mutter gab "jours", Damentees. Im Haus der Großeltern im nordböhmischen Liberec, damals Reichenberg, gab es Hauskonzerte. Als sie klein war, durfte sie ihren Großvater in seinem Comptoir besuchen - eine besondere Auszeichnung für sie. Mit acht oder neun Jahren musste sie den "Simlicius Simplicissimus" lesen oder Lyrik von Einchendorff und Brentano.

Behütet fühlte sich Freda Meissner-Blau nicht. Der Vater, der sich für die Kinder nicht interessiert hat, hat die Familie verlassen, als Freda zwölf Jahre alt war, die Mutter, "die ihre Emotionen nicht in der Hand hatte". Und sie war als viertes Kind eigentlich ungewollt, sollte nicht geboren werden. Daraus bezog Freda Meissner-Blau ihren Widerstands- und Widerspruchsgeist.

Geboren wurde sie im März 1927 in Dresden, wo ihr Vater bei General Motors arbeitete. Sie übersiedelte schon als Kind mehrmals: nach Linz, Wien, später in das großelterliche Anwesen nach Reichenberg. Am Kriegsende floh Meissner als 18-Jährige alleine von dort quer durch Österreich und Deutschland. Es folgten Italien, England, Paris und schließlich Afrika: der Kongo. Damals schon mit ihrem zweiten Mann und dem ersten Kind - Sohn Ted. (Die Zwillinge Aleksandra und Nicolas wurden erst 1963 geboren.) Afrika habe ganz besonders zu ihrer Politisierung beigetragen - wie sie durch das Leben und nicht durch Organisationen politisiert worden sei.

Was sind für Sie die besseren Instrumente politischer Durchsetzungsfähigkeit? Sind das Grassroots oder politische Parteien?

Das Streben nach Mitsprache geschieht in einer Gruppe, die wählbar ist und danach strebt, ins Parlament zu gelangen. Der andere Weg, der mir mehr liegt als der strikte politische Weg, ist die außerparlamentarische Opposition. Ich würde sagen - obwohl ich das Werden zweier Grünparteien (Deutschland und Österreich, Anm.) hautnah miterlebt und mitgestaltet habe -, dass man außerparlamentarisch viel mehr erreicht.
Was macht Sie da so sicher?

Warum ich zu dem Schluss komme, dass die außerparlamentarische Opposition erfolgreicher ist, kann ich beweisen anhand von Zwentendorf. Zwentendorf wäre im Parlament nie gestoppt worden. Auch nicht, wenn damals schon Grüne im Nationalrat gewesen wären. Unsinnige, riskante und teure Projekte wie die Atomenergie konnten aber nur in einem demokratischen Staat verhindert werden. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky war klug genug, das Atomsperrgesetz in Verfassungsrang zu heben. Bei der folgenden Nationalratswahl holte er die absolute Mehrheit.Ebenso ist es beim Kampf um die Rettung der Hainburger Au verlaufen. Der damalige Bundeskanzler Fred Sinowatz war weise genug, den Weihnachtsfrieden auszurufen und hat so ein handgreifliches Aufeinandertreffen von Kraftwerksgegnern und Befürwortern beziehungsweise der Polizei verhindert. Hätte man damals in der Sowjetunion mit ähnlichen Protesten Atomkraftwerke zu verhindern versucht, wer weiß, wo man gelandet wäre. Ich will sagen: Es braucht einen demokratischen Rechtsstaat, damit eine außerparlamentarische Opposition überhaupt die Möglichkeit hat, sich durchzusetzen. Das war uns damals nicht so bewusst, wie es mir heute bewusst ist. Daher kommt auch eine gewisse Dankbarkeit, ein Bestehen auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Da unsere Demokratie sehr schleißig geworden ist, ist es kein Wunder, dass jetzt verschiedene Gruppen entstehen, deren Ziel die Wiederherstellung von Demokratie ist. Die Menschen spüren genau, woran es mangelt. So wie wir damals das Interesse an der Erhaltung einer natürlichen Umwelt hatten.Kann man heute noch - wie in den späten 1970er und den 1980er Jahren - die Massen bewegen?

Ganz gewiss nicht mit denselben Mitteln, wie wir das vor 30 Jahren getan haben. Wo ein Glaube an die Zukunft da war, eine Entschlossenheit in allen Schichten der Bevölkerung. Das war nicht eine Sache von Studenten und Wissenschaftern, von Linken oder Rechten. Heute ist durch die soziale Verelendung - sogar in unserem äußerst privilegierten Land - der Druck auf den Einzelnen sehr groß. Die Menschen haben alle Angst um ihren Job, sie wissen nicht, ob sie am Monatsende noch etwas zu essen haben - die materiellen, finanziellen Sorgen gehen jetzt schon bis in die Mittelschicht hinein. Und wenn man viele eigene Sorgen hat, ist es schwer, aufzustehen und auf einer höheren Dimension effektiv gegen Pläne zu arbeiten. Das geht heute nur mit viel Sachwissen und - das ist das, was mir bei den Parlamentariern fehlt - ganz konkret ausgearbeiteten Finanzierungsvorschlägen.Die großen Massen werden nie bewegt. Da gibt es einen Teil, der gar nicht fähig ist, sich zu wehren oder aufzustehen. Keine der großen Revolutionen ist mithilfe der Gesamtbevölkerung gemacht worden. Erst wenn die Menschen es unter ihrer Haut spüren, werden sie reagieren. Dann wird es hart, dann gibt es nicht die friedlichen Revolten, dann kommt sozialer Unfriede. Davor würde ich mich fürchten, wenn der Mensch des Menschen Wolf wird.
Was wären die adäquaten Mittel heutzutage?

Gegenargumente und deren Beweis; der Nachweis der finanziellen Sinnhaftigkeit; das sachlich Verfolgbare und zugleich ökonomisch wenn nicht Profitablere, dann Gleichwertige aufzeigen.Ich bin nicht zur Pessimistin geworden, ich bin zur Realistin geworden. Es geht nur mit einer Systemveränderung. Reformen sind nur Reförmchen.
Das wäre eine andere Stufe des Handelns.

Ja, unter Einbeziehung aller Lebensgrundlagen. Die Ausbeutung der Erde kommt zu einer Grenze, hinter der der Zusammenbruch steht. Ich glaube nicht, dass das friedlich abgehen kann. Das ist zwar meine Hoffnung. Aber ich zweifle daran, wenn ich unsere Entscheidungsträger anschaue, die nicht begreifen, dass es ein Zuviel, dass es ein Genug gibt - und das Genug ist schon längst eingetreten. Wir sind am Ende des Wachstums.
Sie glauben an gewaltsame Auseinandersetzung?

Die Gewalt spielt sich vor unseren Grenzen ab. Es sind Millionen von Flüchtlingen unterwegs. Das macht mir auch Sorgen für Österreich, wo der Zulauf nach Rechts von unseren Regierungen gefördert wurde. Anstatt zu sagen, die Zuwanderer, Asylanten sind unsere Freunde, sie machen unsere Arbeit, begrüßen wir sie, sind wir froh, dass sie unsere Kranken pflegen.Eine Einschränkung gibt es: Es gibt einen Grat, wo es zu viel wird. Das weiß auch ich aus der Soziologie. Ich würde nicht befürworten, dass 50 Prozent der Bevölkerung aus Flüchtlingen und Zuwanderern bestehen. Das verdaut ein Volk nicht. Und ich bin der Meinung, dass die Einwanderer Pflichten haben - das soll man ihnen ganz klarmachen.Ich bin auch nicht der Meinung, dass man sie nur mit Glacéhandschuhen angreifen soll - das sind nicht alles Helden. Deshalb sind es trotzdem oft Menschen in Not, denen man zu helfen hat.