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Halbtags-Reform

Von Marina Delcheva

Politik
In den meisten Schulen ist zu Mittag Schluss, auch nach der Bildungsreform. Danach sind die Kinder auf sich gestellt.
© Stanislav Jenis

Die Ganztagsschule wäre laut Experten ein notwendiger Beitrag zur Integration und Chancengleichheit.


Wien. Jeder und jede vierte 15-Jährige in Österreich kann nicht sinnerfassend lesen. Laut einer Studie der OECD erreichen nur 21 Prozent der Jugendlichen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern. Jeder dritte Jugendliche mit Migrationshintergrund zwischen 15 und 24 Jahren ist nicht in Ausbildung und hat höchstens einen Pflichtschulabschluss, so das IHS. Gleichzeitig hat Österreich die höchsten Bildungsausgaben in Europa.

Müsste man angesichts dieser Fakten dem heimischen Bildungssystem eine Note geben, läge sie irgendwo in der Nähe des Nichtgenügend. Dass die Vorschläge der Bildungsreformkommission unter Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Staatssekräter Harald Mahrer (ÖVP) mit der Bildungsmisere aufräumen, bezweifeln manche Bildungsexperten. Denn ein wichtiger Punkt fehlt im am Dienstag vorgestellten Paket: die Ganztagsschule. Ein starker Ausbau dieser ist im 18-seitigen Papier mit keinem Wort erwähnt. Und auch im Integrationspaket aus dem Haus von Integrationsminister Sebastian Kurz, das am Donnerstag vorgestellt wird und zu einem guten Teil auf die Integration von Schülern abzielt, fehlt die Forderung nach einer ganztägigen, umfassenden schulischen Betreuung.

Nur 2,4 Prozent in echtenGanztagsschulen

Laut dem Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (IBW) besuchen lediglich 2,4 Prozent der 6- bis 14-Jährigen eine echte Ganztagsschule mit einem Wechsel aus Lern-, Unterricht- und Freizeit. Damit ist Österreich ein Nachzügler in der EU. Schließt man die reine Nachmittagsbetreuung etwa in Horten ein, sind es 17 Prozent der Schüler. Eindeutig zu wenig, sagen die Bildungsexperten Heidi Schrodt, Buchautorin und frühere AHS-Direktorin, und Mario Steiner vom Institut für Höhere Studien (IHS). Anfragen an das Bildungsministerium, wie viele Ganztagsschulen es in Österreich genau gibt, wo die meisten sind und in welcher Schulform, blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

"Es ist ein riesen Versäumnis", sagt Steiner vom IHS. "Unser Bildungssystem lagert einen Großteil des Lernvolumens ins Privatleben aus. Der Bildungserfolg ist dabei stark von der Familie geprägt." Eine ganztägige, integrierte schulische Betreuung würde dem entgegenwirken.

In seiner Studie zum Thema Schulabbrecher kommt Steiner zum Ergebnis, dass zwölf Prozent der Jugendlichen nach der Pflichtschule ihre Ausbildung abbrechen. Unter Schülern mit Migrationshintergrund beträgt die Quote 30 Prozent. Würden Kinder aus sozial schwachen Familien ganztägig betreut, läge diese Quote weit darunter, sind sich Schrodt und Steiner einig. Letzterer kritisiert auch, dass das neue Paket keine konkreten Maßnahmen zu einer besseren sozialen Durchmischung an Schulen beinhaltet.

Kein Geld für mehrganztägigen Unterricht

"Ich fürchte, das hat mit fehlenden Ressourcen zu tun, und das ist sehr bedauerlich", sagt Schrodt. Heuer muss das Finanzministerium 300 zusätzliche Millionen für Bildungsaufgaben zuschießen. Für 2016 müssen 106 Millionen Euro mehr für höhere Lehrergehälter budgetiert werden. Gleichzeitig muss Ressortschefin Heinisch-Hosek sparen, und das bei der Ganztagsschule.

"Die beschlossenen Maßnahmen wie gezielte Sprachförderung, ein Lernkompass und das zweite Gratiskindergartenjahr sind sehr gut", sagt Steiner. Um die Chancengleichheit zu Erhöhen und die Integration von Schülern mit nicht-deutscher Muttersprache zu fördern, brauche es aber mehr ganztätige Betreuung und Gesamtschulen. Letztere scheitert aber am Widerstand der Bundes-ÖVP.

Theoretisch wäre beides im Rahmen der beschlossenen Modellregionen möglich. Die Schulversuche sind aber auf zehn Jahre beschränkt und dürfen höchstens 15 Prozent aller Schüler in einem Bundesland umfassen. "Zu wenig", meint Heidi Schrodt.