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"Zeiten der Trennung"

Von Marina Delcheva

Politik

Balkanstaaten lassen keine "Wirtschaftsflüchtlinge" einreisen. Auch, weil sie dem Westen misstrauen.


Skopije/Belgrad. Am Balkan macht sich Angst breit. Weniger vor den Flüchtlingen selbst als vor dem weiteren Vorgehen des Westens in der Asylfrage. Denn die Sorge der Länder entlang der Balkanroute wächst, dass Deutschland, aber auch Schweden und Österreich, irgendwann genug von den Flüchtlingen haben. Und dann tausende Schutzsuchende in Serbien, Mazedonien, Slowenien und Kroatien stranden.

Es sind Schlagworte wie "Obergrenze für Flüchtlinge", Abschiebungen und "bauliche Maßnahmen", die den dortigen Regierungen Sorgen machen. Deswegen haben auch vergangene Woche Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien beschlossen, nur noch Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak die Durchreise zu gewähren. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge werden nicht mehr ins Land gelassen. Die Türkei verwehrt neuerdings sogar Syrern die Einreise in die Türkei.

Tausende im Niemandsland

Die Folgen dieser selektiven Grenzpolitik zeigen sich am mazedonisch-griechischen Grenzübergang bei Gevgelija. Dort haben mazedonischen Medien zufolge wieder hunderte Menschen die Nacht im Freien verbracht, weil ihnen mazedonische Grenzbeamte die Einreise verwehrt hatten. Es ist kalt und nass. Die Menschen sind erschöpft, unterkühlt und hungrig. Es handelt sich dabei um Zuwanderer aus dem Iran, Bangladesch, einigen Ländern Zentralafrikas und um Menschen ohne Papiere. Für die dortigen Behörden sind sie Wirtschaftsflüchtlinge und damit nicht schutzbedürftig. Umkehren wollen sie aber nicht.

Seit Tagen schon protestieren Menschen aus Bangladesch, Marokko und dem Iran. Sie haben die Bahngleise an der mazedonisch-griechischen Grenze blockiert und fordern Einlass, um weiter in Richtung Deutschland zu ziehen. "Erschießt uns oder helft uns", hat sich ein junger Mann auf die Brust geschrieben. Iranische Flüchtlinge haben sich aus Protest die Lippen zunähen lassen.

"Diese Menschen werden jetzt wahrscheinlich auf die grüne Grenze oder auf Schlepper ausweichen", sagt Melita Sujiz, Sprecherin des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Serbien. Unmittelbar nach der Grenzschließung habe man ihnen, etwa in Serbien, angeboten, dort Asyl zu beantragen. Die meisten hätten das aber abgelehnt, weil sie nach Deutschland und weiter in die skandinavischen Staaten reisen wollen.

Nach der Ankündigung Deutschlands im August, Schutzsuchende aus Syrien nicht mehr abzuschieben und der Verlagerung der Flüchtlingsroute über die Ägäis nach Griechenland und weiter über den Balkan, haben sich einige den Kriegsflüchtlingen angeschlossen. Die Mehrheit sind sie aber nicht. Laut dem Leiter des Belgrader Flüchtlingshilfezentrums, Rados Djurovic, kämen derzeit rund 2000 Menschen weniger ins Land. Das ist um ein Drittel weniger als vor dem Einreiseverbot.

Sunjic von der UNHCR erklärt, dass gar nur noch sieben Prozent der Schutzsuchenden auf der Balkanroute Angehörige anderer Nationalitäten sind. Eine deutliche Reduktion der Flüchtlingsströme ist das nicht. Warum also der Beschluss, nur noch "echte Kriegsflüchtlinge" durchreisen zu lassen?

Enttäuschter Osten

Wer ein echter Kriegsflüchtling ist und wer nicht, kann freilich nicht punktgenau von einem Grenzbeamten durch einen kurzen Blick in den Pass entschieden werden. "Es ist außerdem fast unmöglich, die Grenzen für Menschen zu schließen, die nirgends hinkönnen", sagt der Politologe Ivan Krastev vom Institut für die Wissenschaft vom Menschen zur "Wiener Zeitung". Die Regierungsbeschlüsse von Laibach bis Skopije hätten aber Symbolcharakter.

Nach den Anschlägen in Paris, der Einführung von Grenzkontrollen und Forderungen für eine Flüchtlingsobergrenze, misstrauten die Balkanstaaten den Westeuropäern. "Sie haben Angst, dass tausenden Schutzsuchenden die Weiterreise bald verwehrt wird und diese in Ländern wie Serbien und Mazedonien stranden", erklärt er. Und dafür würden sowohl die finanziellen Mittel, als auch die Akzeptanz in der Gesellschaft fehlen.

Alle Staaten entlang der Balkanroute haben die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert. Die Grenzen einfach dichtmachen geht also rein rechtlich nicht, erklärt Krastev. Jetzt lasse man eben nur jene rein, die eindeutig vor Krieg fliehen.

Mit der Flüchtlingskrise kehrt auch die Enttäuschung in die Balkanländer ein, vor allem in den neuen EU-Mitgliedsstaaten. "Man hat uns Touristen versprochen und gekommen sind Flüchtlinge", schreibt Krastev in einem Essay in der "New York Times". Nach dem Mauerfall und dem EU-Beitritt setzten die Länder große Hoffnung auf offene Grenzen und Reichtum. Der Wohlstand ist aber großteils ausgeblieben und die Grenzen gehen langsam wieder zu. "Deshalb auch das Misstrauen und die Enttäuschung", erklärt der Politologe. "Wir erleben Zeiten der Trennung." In der aktuellen Krise seien die Beziehungen zu den Staaten rund um die EU aber besonders wichtig.