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Der Leichengeruch der Manipulation

Von Katharina Schmidt

Politik

Hofburg-Wahlanfechtung: Vor dem Verfassungsgerichtshof kamen die Parteienvertreter zu Wort.


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Wien. Zweieinhalb Stunden später war noch immer gar nichts klar. Nur, dass die 14 Verfassungsrichter "alles daransetzen werden, innerhalb der gesetzlich vorgesehen Frist, also bis 6. Juli, zu einer Entscheidung zu kommen".<p>Das sagte zumindest der Präsident des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Gerhart Holzinger, am Ende des fünften Verhandlungstags rund um die von der FPÖ angestrengte Anfechtung der Bundespräsidentenwahl am Mittwoch.<p>Nach den Einvernahmen von 67 Zeugen aus 20 Bezirkswahlbehörden vergangene Woche und einigen Tagen Klausur ließen die Richter nun die Parteienvertreter zu Wort kommen. Zu Beginn der Verhandlung durfte jeder ein höchstens halbstündiges Statement abgeben. Wie auch schon in der Anfechtungsschrift verwies FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer auf den Grundsatz der freien, geheimen und persönlichen Wahl. Die Briefwahl an sich sei missbrauchs- und manipulationsanfällig, außerdem sei es bei dieser Wahl durch die schiere Anzahl der eingelangten Wahlkarten möglicherweise zu einer Überforderung der Behörden gekommen, die das Innenministerium hätte vorhersehen müssen.<p>

"Unser Gegner ist die Bundeswahlbehörde"

<p>Generell sieht Böhmdorfer die Verantwortung für die Schlampereien in erster Linie beim Innenministerium: "Unser Anfechtungsgegner heißt nicht Professor Van der Bellen, der kann wie auch Norbert Hofer nichts dafür. Unser Anfechtungsgegner heißt Bundeswahlbehörde", sagte Böhmdorfer, bevor ihm verkühlungsbedingt die Stimme versagte. Für ihn sprang der Verfassungsexperte Michael Rohregger ein und bekräftigte, dass "das bestehende System Mängel" aufweise: "Wir haben es hier sicher nicht mit hunderten Straftätern zu tun", meinte er in Richtung der Wahlbeisitzer. "Aber diese Personen waren den Systemmängeln einfach nicht gewachsen." Und das Ausmaß der dadurch zustandegekommenen Fehler gehe "über das hinaus, was noch tolerabel ist. Es wäre das falsche Signal, einen solchen Befund durch den VfGH zu pardonieren", meinte Rohregger.<p>Auch, dass keiner der Zeugen Manipulationen bei der Auszählung der Briefwahlstimmen nach dem zweiten Wahlgang beobachtet hat, ist für den Anwalt kein Grund, die Wahl Bestand haben zu lassen. "Wenn am Boden eine Leiche liegt und alle Umstehenden sagen, sie haben nichts gesehen - die Leiche ist trotzdem da", betonte Rohregger.<p>

"Wahlmanipulation jenseits aller Lebenserfahrung"

<p>Der Anwalt der Grünen, Georg Bürstmayr, konterte, ein "an Genauigkeit kaum zu überbietendes Beweisverfahren" habe ergeben, dass es eben keine Manipulationen gegeben habe: "Wir haben nicht nur keine Leiche, es riecht auch nicht einmal im entferntesten nach einer", sagte er Richtung Rohregger. Natürlich "wollen und können wir die Vorgänge nicht beschönigen", aber es sei eine "spekulative Möglichkeit jenseits aller Lebenserfahrung", dass es in den von Gesetzeswidrigkeiten betroffenen Bezirken zusätzlich zu einer massiven Stimmzettelmanipulation gekommen sei.<p>Bürstmayrs Kollegin Maria Windhager betonte außerdem, dass die Ergebnisse in allen Bezirken "exakt dem Briefwahltrend" entsprächen. Zuvor hatte der Leiter der Wahlabteilung im Innenministerium, Robert Stein, noch einmal seinen bekannten Standpunkt dargelegt: Auch die Bundeswahlbehörde sei von den "Unzukömmlichkeiten" überrascht gewesen. "Es ist klar, dass Gesetze einzuhalten sind, auch wenn der Vollzug als schwierig empfunden wird. Und die Gesetze sind vollziehbar", sagte Stein. Der langjährige Grandseigneur der österreichischen Urnengänge geriet in der anschließenden Befragung durch die Richter am meisten ins Schwitzen. Denn diese prüften nun im Detail die Vorwürfe der Freiheitlichen in der Wahlanfechtung - etwa, ob es möglich sei, dass vom Innenministerium am Wahltag an Medien und Forscher weitergegebene Wahldaten schon frühzeitig an die Öffentlichkeit gelangten.<p>Auch Windhager befand sich kurz in der Defensive: Richter Johannes Schnizer fragte sie, warum der Verfassungsgerichtshof von seiner seit 1927 verfolgten Judikatur abweichen sollte, dass schon eine theoretische Manipulationsmöglichkeit ein Aufhebungsgrund sei. Die Entscheidung von damals zur Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl in Währing stammte übrigens von Hans Kelsen, dem Vater der Verfassung, selbst. Windhager meinte lediglich, davon müsse gar nicht abgegangen werden, da der Wahrheitsbeweis im aktuellen Fall geglückt sei.<p>Der VfGH zieht sich nun neuerlich zu Beratungen zurück. Zwar haben sich die Richter am Mittwoch ein klein wenig aus ihrer Deckung gewagt - hier ein Stirnrunzeln, dort ein Nicken, teilweise recht scharfe Fragen an die Parteienvertreter -, doch gingen die Signale ausgewogen in beide Richtungen. Und nicht einmal der 6. Juli ist in Stein gemeißelt.